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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Tageshimmels erhielt, aber durch ästhetisch schön geordnete Wolkenformen und Wolkengruppirungen an verschiedenen Punkten des Horizontes einerseits eine unaussprechliche Lebendigkeit, andererseits eine solche Fremdartigkeit der Erd- und Himmels-Landschaft, daß selbst in den ruhigsten Momenten keine Schilderung im Stande ist, ein völlig naturgetreues Bild von diesem Wolkenschauspiel und seiner magischen Beleuchtung zu entwerfen. Dort steht im Norden ein Wolkenthor mit doppelten Portalen; nicht fern von ihm ein Teich, ein kleiner Himmelssee – der unbefangene Sinn erblickt in jenem Streif von seltener Form ein wunderbares Thier, – es ist ein Fisch, der jenen See bewohnt. Und weiter schweift der Blick umher in diesem Wolkenhimmel. Ein dunkler Cumulus hat still sich aufgebaut – er stellt die Berge dar, die hier nicht fehlen dürfen. Nicht weit von diesem niedrigen Gebirge erhebt sich im Südwest ein mächtiges, schneebedecktes Wolkenland, während im fernen Westen mehr denn tausend Fuß unter uns ein großer Wolkenwald vom Sonnenlicht übergossen wird. Dort funkeln selbst Sterne auf Erden, es ist das Bild der Sonne, die in einem fernliegenden, rundlichen See sich spiegelt. Und hoch über uns zerstreut weiden die Schäfchen; in tiefem, reinem Blau blickt der Himmel auf vielen Stellen mit seinen Augen hindurch, die hier befreit sind von dem Dunstschleier der untern, trüben Luftschichten. O, unaussprechlich schönes Bild! Ich sog es auf in meine Seele, um es treu und lebendig wieder hervorrufen zu können; doch jetzt erst empfinde ich, daß dies so ganz unmöglich ist.

So hatten sich in diesen heiligen Höhen Himmel und Erde mit einander verbunden zu einem großen Wundertempel Gottes. Aehnliche Wolkenschauspiele waren mir aus meinem längern Aufenthalt im Hochgebirge nur zum Theil bekannt. Ihre eigenthümlich großartige Wirkung liegt einerseits in ihrer seitlichen Darstellung so wie in einer Betrachtung von oben herab, andererseits aber vorzugsweise in den reinen Farbentönen der obern Luftschichten die ihnen einen ganz besondern Reiz und eine unaussprechliche Anmuth verleihen. Aus der Vergleichung eines großen Panoramas vom Luftballon mit dem Panorama eines besonders hohen Berggipfels ergeben sich wesentlich verschiedene Charaktere. Zu den am meisten auffallenden Erscheinungen eines Luftballon-Panoramas gehört unstreitig die physiognomische Gestaltung der Erdoberfläche. Ein Blick aus der Gondel in die furchtbare Tiefe und von hier nach dem Horizonte erzeugt die Vorstellung, als ob man in einer riesenmäßigen, ausgehöhlten Schale stände, obgleich sich die Erde in Wahrheit convex erhebt. Diese optische Täuschung ist als eine natürliche Wirkung der Perspective zu betrachten; denn schon in niedrigen Höhen erhebt sich der Horizont mit dem Auge stets in gleicher Höhe; in großen Höhen wird diese mit den Augen gleichmäßig fortschreitende Erhebung so beträchtlich, daß die Erde im freien Luftraume das wunderbare Ansehen eines concaven Körpers erhalten muß.

Eine nähere Betrachtung der mittleren Theile dieses Panoramas bietet ebenfalls eine Erscheinung dar, die im Rundgemälde eines hohen Berggipfels nicht vorkommen kann. Diese Theile erscheinen in vollständig perspektivischer Wirkung sämmtlich flächenartig, im Grundriß, vollständig geebnet, und erst in weitern Kreisen sieht das Auge die körperlichen Gegenstände wirklich körperlich. Wenn ich über den höhern Naturgenuß nachdenke, den mir der Anblick dieser beiden Panoramas gewährte, so darf ich bei aller Anerkennung ihrer specifischen Schönheiten doch nicht unbemerkt lassen, daß jedes Gebirgspanorama eines hohen Gipfelpunktes in seinem lebendigen Relief namentlich des Vorder- und Mittelgrundes Momente enthält, welche ihm unzweifelhaft einen noch höhern Reiz verleihen. Was aber speciell das vielgepriesene Montblanc-Panorama anbetrifft, welches bei einem Flächenraume von beinahe 4000 Quadratmeilen alle zweiundzwanzig Cantone der Schweiz, sowie ansehnliche Theile von Frankreich, Italien und Deutschland einschließt, so folgt schon aus den größeren Höhenverhältnissen und aus der Gruppirung der herumliegenden Alpenwelt, daß damit das beschriebene Ballon-Panorama nicht in Vergleich gestellt werden kann. Dieser Umstand vermag aber den specifischen Schönheiten des Ballon-Panoramas durchaus keinen Abbruch zu thun.

Wir wenden uns nun zu denjenigen Beobachtungen, welche von allgemeinem Interesse sein dürften. Das Thermometer stand in der größten Höhe 10 Minuten vor 7 Uhr auf 4 ° R. Das Barometer zeigte 498 Millim. = 220,7 Par. Linien als den niedrigsten Standpunkt. Die Farbe des Himmels erschien tiefblau; und zwar zeigte mein Cyanometer, welches ich zur Vergleichung gebrauchte, im Zenith Nummer 18 an. (S. oben.) An Athembeschwerden hat Niemand gelitten. Das Heraustreten von Bläschen in den Mund durch die Eustachische Röhre habe ich auch dieses Mal an mir nicht wahrgenommen.

Die interessanteste physiologische Erscheinung dagegen, welche uns alle Drei fast zur selbigen Zeit schon bei einer Höhe von 10,000 Fuß in hohem Grade fesselte, war ein empfindlicher Druck in den Ohren, den das Trommelfell von innen her erfuhr, verursacht von der eingeschlossenen Luft. Ein Sausen war mit diesem Drucke nicht verbunden; es drängte aber die in der Trommelhöhle eingeschlossene Luft so stark nach außen, daß der Gehörnerv empfindlich afficirt wurde, denn wir fühlten sämmtlich einen gewissen Grad von Taubheit, der sogar noch einige Stunden nach der Landung anhielt. Diese physiologische Erscheinung habe ich an mir schon auf meiner ersten Luftreise wahrgenommen; sie trat dagegen weder bei meiner ersten Montblanc-Besteigung ein, noch bei meinem vorjährigen längeren Aufenthalte daselbst. Der Grund hiervon kann nur in einer allmählichen Ausgleichung der in der Trommelhöhle eingeschlossenen Luft gegen die äußere atmosphärische Luft liegen, welche bei der langsamen Besteigung eines hohen Berges erfolgt, während ein schnelles Hinaufziehen in die obern Regionen eine solche Ausgleichung verhindert.

Noch einer optischen Täuschung gedenke ich; sie bezieht sich auf die überraschende Deutlichkeit der Gegenstände im mittleren Theile des Panorama’s. Wer selbst nur auf der Schneekoppe oder dem Rigi das liebliche Landschaftsgemälde in seinen einzelnen Theilen, mit den verschwindend kleinen Gegenständen zu bewundern Gelegenheit gehabt hat, wird im Ballon bei doppelter Höhe durch die verhältnismäßige Größe der Gegenstände in der That so überrascht, daß er bei einem Vergleiche beider Bilder hier weniger hoch zu stehen wähnt, als auf dem niedrigem Gipfel eines Berges. Diese Täuschung rührt von einem Trugschluß her. Bei dem Panorama eines Berggipfels fallen die zunächst liegenden Dörfer und Städte am Fuße des Berges zuerst in’s Auge. Im Ballon-Panorama fesseln ebenfalls zuerst die zunächst liegenden Ortschaften; in beiden Fällen ist aber der Gesichtswinkel für diese Gegenstände ein sehr verschiedener, kleiner auf dem Berge, größer dagegen im Ballon, woraus in natürlicher Weise jene Ueberraschung und Täuschung hervorgeht. Außerdem ist für die Beurtheilung der Sichtbarkeit eines Gegenstandes in Betracht zu ziehen, daß derselbe dem unbewaffneten Auge immer noch erreichbar ist, wenn er unter dem Gesichtswinkel von einer Bogenminute erscheint, oder wenn die Entfernung des Auges von ihm etwa das 3600fache seines wahren Durchmessers beträgt. Ein Gegenstand selbst nur von 6 Fuß Größe ist demnach noch in einer Entfernung von 6 Mal 3600 Fuß = 21,600 Fuß mit bloßem Auge, freilich nur als verschwindend kleiner Punkt, wahrnehmbar.

Aus dem reinen Aether dieser höhern Regionen traten wir nun endlich unsere Rückreise zur Erde an. Wenige Secunden nur, so lange der Ballon mit der umgebenden Luft im Gleichgewicht stand, zog uns der Wind in der erreichten größten Höhe mit sich fort. Ermüdet fängt der Ballon an ganz allmählich zu sinken. Wir steigen mit größter Vorsicht hinab. Eine einzige Hand voll Sand genügt, um dem Aërostaten für einige Minuten wieder eine horizontale Bewegung zu geben. 800 Fuß unter dem erreichten Gipfel sinkt die Temperatur überraschend von 4 ° auf 3 ° R. hinab, der niedrigste Standpunkt, den das Quecksilber während der ganzen Fahrt erreicht hatte. Noch eine Hand voll Erde wird über Bord geworfen, damit die Geschwindigkeit während der Niederfahrt sich nicht zu stark vergrößere – wir schwimmen weiter in horizontaler Richtung. Der Horizont wird enger – die irdischen Gegenstände fangen an zu wachsen – bis auf 6000 Fuß hat uns die Attractionskraft der Erde bereits angezogen. Recognoscirend spähet unser erfahrner Führer umher – in seiner Hand den einzigen Regulator, den unschätzbaren Sand, der ihm gleichzeitig als Ruder, Steuer und Segel dient. „Dort,“ ruft er, „jenseits jenes Städtchens wollen wir landen, auf jener großen Ebene, die weithin sich auszubreiten scheint.“ Er wirft die leichte Last hinaus, und noch zwei Hände voll – der ermüdete und willige Ballon erhebt sich noch einmal und treibt uns wirklich in der Richtung nach jener Stadt weiter fort. Regenti fordert mich auf, die Instrumente in Sicherheit zu bringen.

„Meine Herren,“ fuhr er fort, „machen Sie sich bereit –

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 587. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_587.jpg&oldid=- (Version vom 17.5.2022)