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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

ich konnte den Glanz Ihres Blickes nicht ertragen. Sie nannten mich einen Elenden, und ich senkte das Haupt. Ich preßte mein Herz mit beiden Händen, um das Pochen desselben zum Schweigen zu bringen. Ich verlachte mich selbst, ich versuchte es sogar, Sie zu hassen, aber Alles war vergebens. Ich liebe Sie! Ich liebe Sie! Ich liebe Sie!“ Und halb lachend, halb weinend griff Königsmark nach der Hand der Prinzessin.

Sophie Dorothea zog sie rasch zurück, ehe noch seine bebenden Lippen dieselbe berühren konnten. Aber ihre zürnende Miene verschwand, ihr helles Auge ruhte fast mitleidig auf diesem schönen, jungen Manne, welcher da vor ihr kniete. Etwas wie ein Lächeln spielte um ihre Lippen, und eine Thräne glitzerte in ihrem Auge. Dann wandte sie sich rasch ab und trat einen Schritt zurück. „Fort!“ rief sie, indem sie ihr Antlitz mit ihren weißen, zarten Händen bedeckte. „Fort! fort!“

Ein Zittern lief über den Körper des Grafen. „Sie stoßen mich von sich?“ rief er mit dem dumpfen Tone der Verzweiflung. „Sie glauben mir nicht?“

„Ja! ja!“ rief sie mit einem Schrei des Jammers. „Ja, ich glaube Ihnen, Philipp! Aber sehen Sie denn nicht, daß Sie mit Ihren Worten selbst einen unausfüllbaren Abgrund zwischen uns gebracht haben? Warum mußten Sie mir von Liebe sprechen?! Ich glaube Ihnen, daß Sie mein Freund sind, ich weiß, daß Ihr ritterliches Herz noch edler Gefühle fähig ist, ich glaube Ihnen, daß Sie, gerührt von meinem Jammer und meiner Verlassenheit, Ihr Blut für mich vergießen würden – o ich glaube es! Ich weiß und fühle es! – Aber Sie haben von Liebe gesprochen, Unglücklicher – von Liebe! Und ich darf Sie nicht länger anhören, ich darf Sie nicht wiedersehen, ich darf Ihnen nicht danken!“ – Und indem sie sich mit einem halberstickten Schluchzen abwandte, flüsterte sie fast unhörbar: „Ich bin ja kein Weib wie andere Weiber, Philipp -– ich bin die Gemahlin des Prinzen Georg und trage eine Krone an der Stelle des Herzens!“

Königsmark stieß einen Schrei des Entzückens aus. „O wenn’s nur das ist!“ rief er strahlend in seiner Hoffnung und in seiner Liebe, „dann ist ja Alles gut! Es ist kein Liebhaber, welcher vor Ihnen kniet, Prinzessin, es ist nur ein Freund, ein ergebener Freund! Meine Liebe für Sie ist keine Beleidigung, kein Verlangen, kein niedriges, menschliches Gefühl, es ist ein Cultus, es ist eine Religion! Nie will ich auch nur die Spitze Ihrer Finger oder den Saum Ihres Kleides berühren, wenn ich Ihnen nur dienen und Sie von fern anbeten darf! Glauben Sie denn, daß ich selbst das Heiligenbild zerstören würde, welches ich in Ihnen verehre? Ich liebe Sie ja nicht mit den Sinnen, ich liebe Sie mit dem Herzen! Ich liebe Sie wie einen Strahl der ewigen Allmacht, der mich aus meinem Todesschlafe geweckt hat - wie einen Engel, der mich auf schneeigen Fittigen in höhere Sphären trägt! Mein ganzes Sehnen, mein Streben soll darin bestehen, Ihnen zu dienen. Die verfolgte, unglückliche Frau will ich beschützen, und diese gute That soll meine ganze Vergangenheit auslöschen! Stoßen Sie mich nicht von sich, Prinzessin, denn wir würden dann Beide verloren sein!“

Sophie richtete sich langsam auf, reichte ihm mit einem himmlischen Lächeln ihre Hand und flüsterte: „Mein Freund!“

Königsmark sandte einen Blick der Liebe und der Dankbarkeit zu diesem milden Antlitz empor und drückte einen heißen Kuß auf ihre Hand, welcher wie ein feuriger Strahl bis in ihr Herz drang und in den kleinsten Fibern ihres Körpers nachzitterte.

In diesem Augenblicke trat Frau von Nassau – welche bisher lauschend an der Portiere gestanden hatte – einen Schritt näher. „Sie wollen unserer Fürstin dienen, Herr Graf?“ sagte sie. „Dann ist also das, was Sie uns in ihrem Billete gemeldet haben, keine Fanfaronnade?“

„Sie stehen irgendwie in Verbindung mit meiner Mutter?“ fragte Sophie.

Königsmark neigte das Haupt. „Noch ehe Sie mich gewürdigt haben, Ihr Freund zu heißen, Prinzessin, habe ich alle Schritte gethan, um Ihnen zu dienen. Sie haben neulich geäußert, Ihr ganzes Sehnen und Streben gehe dahin, diesen Hof zu verlassen und in ihr väterliches Schloß zurückzukehren. Dieser Wunsch soll erfüllt werden.“

Sophie stieß einen leisen Schrei aus. „Ist es möglich, Graf? Sie vergessen, daß der Kurfürst und mein Gemahl nie ihre Einwilligung geben werden – ihrer Ansicht nach ist eine freundschaftliche Trennung unmöglich. Oder sollte Ihr Einfluß auf Georg groß genug sein, um …“

„Wir brauchen ihre Einwilligung nicht!“ unterbrach sie Königsmark. „Sie entfernen sich heimlich aus Hannover, und einmal in Celle, an der Seite Ihrer Mutter, wird sich der Kurfürst wohl hüten, Sie mit Gewalt zurück zu holen. Sie entfliehen ganz einfach.“

„Eine Entführung!“ stammelte Frau von Nassau.

„Nein,“ flüsterte Sophie mit einem unaussprechlichen Blicke auf Königsmark, „eine Flucht. O, Sie geben mir das Leben wieder, Graf! Endlich hat also meine Mutter eingewilligt, dieses Mittel zu ergreifen, welches ich ihr schon so oft vergebens vorschlug! Endlich erhört sie meine erfolglosen Bitten, die ich in so vielen Briefen wiederholte! Aber wie kam es, daß Sie zu ihrem Bevollmächtigten, just Sie …“

Königsmark lächelte bitter. „Nicht jene Briefe waren es, Prinzessin, welche Ihre fürstliche Mutter dazu bestimmt haben, denn keiner derselben gelangte an seine Adresse.“

„Wie??!“

„Es ist, wie ich Ihnen sage. Der Kurfürst ist gut bedient. Jene zahlreichen Briefe, worin Sie all den Jammer Ihres Herzens und die Verzweiflung Ihrer Seele in den Busen einer Mutter ausschütteten und welche Sie durch geheime Boten absandten, wurden auf Befehl Ernst August’s aufgefangen, ehe sie noch die Grenzen der Stadt passirt hatten, und dienten Ihrem Schwiegervater als Amüsement in seinen Mußestunden. Einst sandte er einen dieser Briefe dem Prinzen Georg, als wir uns eben mitten in einem Gelage befanden, und da – “

Sophie Dorothea hatte sich hoch aufgerichtet, und die Leichenblässe ihres Antlitzes machte einer Purpurröthe Platz. Ein verächtliches Lächeln spielte um ihre zitternden Lippen. „Genug, Herr Graf,“ sagte sie. „Wenn aber meine Mutter keinen jener Briefe erhielt, wie kam es …“

„Das ist ganz einfach. Ich schrieb an meine Schwester, die Gräfin von Löwenhaupt, und schilderte ihr Alles, was ihr zu wissen nöthig. Sie benachrichtigte Ihre fürstliche Mutter von den hiesigen Zuständen und von Ihrem Entschlusse zu entfliehen. Die Fürstin von Celle erwartet Sie. Alles ist bereit. Uebermorgen um diese Zeit wartet ein Wagen an dem dritten Thore des Parkes. Sie halten sich mit Frau von Nassau bereit, besteigen den Wagen und in kurzer Zeit sind Sie außerhalb der Stadt. In der Villa Walden erwarte ich Sie und bringe Sie wohlbehalten nach Celle. Sind Sie mit dem Plane einverstanden, Prinzessin?“

Sophie wandte sich zu ihrer Freundin und umarmte sie weinend. „Wir sollen heim, Johanna! Hörst Du wohl? Heim! Ob ich einverstanden bin, lieber Graf! Und Sie fragen noch? Was wage ich denn dabei? Im schlimmsten Falle vertausche ich ein Gefängniß mit dem andern. Auf übermorgen also! – Aber jetzt eilen Sie, Graf. Auf Wiedersehen! Man könnte die Schildwache wechseln.“

Königsmark drückte einen Kuß auf die Hand der Prinzessin, verneigte sich leicht vor Frau von Nassau und eilte nach der Thür.

„Ist Alles ruhig, Jürge?“ fragte er, ohne die Portiere zu erheben.

„Ja!“ gröhlte es von draußen.

Nun erst öffnete er die Thüre und schlüpfte in den Corridor, während Sophie und Frau von Nassau ängstlich lauschend in der Mitte des Zimmers standen.



7. Combinationen.

Das kleine Spiel des Kurfürsten hatte begonnen. An den Spieltischen saßen nebst dem Kurfürsten und der Prinzessin Sophie Dorothea die Gesandten der auswärtigen Höfe und einige Kammerherren und Ehrendamen. Georg, welcher das Spiel haßte, hatte sich mit einigen Intimes in einen Winkel der Orangerie zurückgezogen und ließ die Chronique scandaleuse der letzten Tage die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 595. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_595.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)