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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

es in dem angesteckten Getreidehaufen wie in einem Bienenstocke: die den Insecten eigenthümliche Wärme häuft sich so an, daß man sie mit der Hand fühlt. Hohe, luftige Getreideböden und Speicher, häufiges Umschaufeln und Werfen, große Reinlichkeit und Vertünchung aller Ritzen mit frischgelöschtem Kalk im Beginne des Frühlings dürften die besten Mittel zur Beseitigung des Käfers sein.

Hinsichtlich der übrigen Rüsselkäfer, die im Raps, in Kirschkernen und Haselnüssen, in den Apfelblüthen, in den Baumschulen, in Kirschen, Pflaumen und den Schossen der Obstbäume, man kann fast sagen in allen unsern Nutzgewächsen hausen, verweise ich auf die landwirtschaftlichen Bücher, die freilich oft mit vielen Verwechslungen der Arten die Lebensweise behandeln und meist mit ziemlich unverständigen Vorbeugungs- und Zerstörungsmitteln sich plagen, die im Ganzen ebensoviel nützen, als die Bannflüche des Mittelalters.

Ich erwähne nur die Holzbohrer (Xylophagi), die Borkenkäfer (Bostrichus), Stutzkäfer (Scolytus), Bastkäfer (Hylesinus), die in Splint, Bast, Rinde und Holz theils selbst bohren, theils dort ihre Eier ablegen und durch ihre Larven, namentlich in den Waldbäumen, oft entsetzliche Verwüstungen anrichten, die niedlichen Bockkäfer (Cerambyx) mit den langen Fühlhörnern, von welchen ich persönlich wohl ein langes Capitel erzählen könnte, da ich schon seit Jahren mit einer ihrer Larven im Kriege lebe, die in dem Marke der Schossen meiner Zwergbirnbäume bohrt und dieselben zu unförmlichen Knollen anschwellt, welche später abbrechen und eine glatte kreisrunde Narbe lassen. Die Art, welcher sie angehören, zu bestimmen, ist mir freilich bis jetzt noch nicht möglich gewesen, da ich vergebens dem erwachsenen Insecte nachgejagt habe.

Den Maikäfer (Melolontha vulgaris) aber, diesen bekanntesten aller Käfer, der in allen Ländern Europas das Spiel der Jungen und der Aerger der Alten ist, dürfen wir uns wohl ein wenig näher betrachten. Er erscheint bekanntlich, je nach der Witterung, in Süddeutschland und der Schweiz häufig schon in der Mitte April, wo er aus tiefen Erdlöchern hervorkriecht, die besonders in sandigen Gegenden sich oft in ungeheuerer Menge finden und die weit genug sind, daß man mit dem Finger in die Oeffnung eindringen kann. Tief in der Erde lag der Maikäfer schon betäubt und bewegungslos seit dem Herbste, und nicht selten findet man deshalb beim Umstechen im ersten Frühjahre lebendige Maikäfer, welche indeß nur wie im Traume die Glieder bewegen und auch in der Stube kaum zu regerem Leben erwachen. An lauen, warmen Abenden kommen die Käfer hervor, fliegen auf Bäume und Gesträuche und fressen namentlich in der Nacht Blätter und Knospen fast aller baum- und strauchartigen Gewächse ohne Unterschied ab, mit Ausnahme wohl des Birnbaumes, der Nußbäume und der echten Kastanien, die sie erst dann angreifen, wenn alles Uebrige kahl abgefressen ist. An lauen Abenden fliegen sie umher; – Tags über, namentlich beim Aufgange der Sonne, hängen sie fast erstarrt an den Zweigen und lassen sich dann leicht herabschütteln. Das Männchen, das sich durch die größeren Fühlhörner auszeichnet, bringt sein Leben höchstens auf 14 Tage, das Weibchen, das für die Eier sorgen muß, auf einen Monat. Da aber nicht alle Maikäfer zu gleicher Zeit aus der Erde hervorkommen, so kann die Flugzeit häufig über zwei Monate, ja selbst länger sich hindehnen.

Nach der Begattung sucht das Weibchen einen geeigneten, am liebsten leichten, sandigen Boden, in welchen es ein Loch, oft wohl bis zu einem halben Zoll Tiefe bohrt, um darin seine Eier bis zu dreißig und mehr abzulegen. Bald nach dieser Operation stirbt es, häufig in dem Loche selbst. Die jungen Larven kriechen vier bis sechs Wochen später, also im Juni oder Juli, aus dem Ei. Gelber Kopf mit starken, scharfgezähnten Kiefern, gekrümmter, weißgelblicher Leib, lange, gelbe Beine, schmutziger, sackförmiger Hinterleib, durch welchen der dunkelgefärbte Koth durchschimmert, charakterisiren diese Larven hinlänglich, die allgemein unter dem Namen der Engerlinge bekannt sind. Während der Dauer des ersten Sommers halten sich die aus einem Eierhaufen gekrochenen Engerlinge noch ziemlich zusammen und suchen sich in der Nähe des Nestes zu ernähren. Im Herbste kriechen sie tiefer in die Erde, häuten sich und zerstreuen sich dann mehr im zweiten und dritten Jahre, an dessen Ende sie ihre völlige Größe erreichen.

Während dieser Zeit sind die Engerlinge ein fürchterlicher Feind fast aller Gewächse, von deren Wurzeln sie sich nähren. Wenn als ihre Lieblingsnahrung Salat, Kohl, Rüben, Bohnen, Hanf, Flachs, Getreide, Erdbeerwurzeln, Gras, Kartoffeln und Zwiebeln genannt werden; wenn außerdem erzählt wird, daß sie zolldicke Wurzeln der Waldbäume, besonders der jungen Tannen, mit Leichtigkeit durchschneiden und ganze Baumschulen und Rosenpflanzungen, wie ich selber aus eigener schmerzlicher Erfahrung bestätigen kann, durch das Benagen der Wurzeln zerstört haben: so möchte ich wissen, was denn am Ende noch übrig bleibt, das ihrer Gefräßigkeit nicht anheim fiele. Der leichte und humusreiche Boden meines Gartens, der ziemlich tief liegt und ausnahmsweise von der daneben strömenden Arve sogar überschwemmt wird, ist ein wahrer Tummelplatz für Engerlinge, und es wird kein Beet umgestochen, ohne daß einige Dutzend derselben herausgeworfen würden. Schon mehrmals bin ich Zeuge gewesen, daß saftige Pflanzen oder Verbenen, die ebenfalls keine Verwundung vertragen können, in dem Augenblicke ihr Haupt neigten, in welchem ich sie betrachtete, wo ich dann mit der Handschaufel leicht die Ursache des plötzlichen Verwelkens in einem großen Engerlinge an das Tageslicht förderte, der soeben die Wurzel an dem Halse angebissen hatte. Die starken, hornigen Kiefern sind äußerst scharf und können empfindlich kneipen. Ich werde niemals das Entsetzen vergessen, womit einer meiner kleinen Jungen, der dem Gärtner beim Umgraben des Beetes gefolgt war, einen Engerling anschaute, der sich dergestalt in seinen Finger eingeklammt hatte, daß es einige Mühe kostete, ihn wieder loszumachen.

Im Spätherbste, wenn der Frost in die Erde dringt, senken sich die Engerlinge auch tiefer in die Erde hinab, um sich zu häuten und dann im Frühjahre wieder der Oberfläche sich zu nähern. Im dritten Herbste aber gehen sie am tiefsten und zwar, wenigstens nach unseren Erfahrungen, schon im Spätsommer oder Frühherbste. Tief in der Erde verpuppen sie sich, und nach vier bis sechs Wochen erscheint der Käfer, der, wie früher bemerkt, den Winter über in der Erde bleibt.

Es dauert demnach drei volle Jahre, von einem bis zum vierten Maimonat, bis die Nachkommen eines Maikäfers wieder an der Oberfläche erscheinen. Von dieser Lebenszeit haben sie sechs Monate in halber Erstarrung unter der Erde, einen Monat fressend und liebend über der Erde als vollkommene Insecten zugebracht, sechs Wochen als Eier, sechs Wochen als Puppe, so daß also von dem ganzen 36 Monate betragenden Lebenscyclus 26 Monate als Engerlinge verlebt werden.

Leicht begreiflich ist es nun, daß solche Jahre, in welchen einmal die Maikäfer besonders begünstigt erschienen und also in großer Menge sich zeigten, auch noch lange Zeit hindurch ihren Einfluß durch dreijährige Perioden wahrnehmen lassen. Setzen wir den Fall, daß dieses Jahr gerade ein Maikäferjahr sei, so werden die äußerst zahlreichen Käfer, welche in diesem Jahre 1862 erscheinen, auch außerordentlich viele Eier legen, sehr viele Engerlinge und also in drei Jahren wieder sehr viele Käfer erzeugen. Das sind dann die Flugjahre, die Maikäferjahre, über deren Folge man freilich noch nicht ganz einig ist, denn für Franken hat man eine vierjährige Periode aufstellen wollen, während in der Schweiz und Frankreich die Periode gewiß dreijährig ist. Merkwürdiger Weise gehört sogar die Schweiz zwei verschiedenen Systemen an, indem die Ostschweiz ihr Flugjahr mit dem benachbarten deutschen Gebiet, die Westschweiz dagegen mit Burgund und dem östlichen Frankreich gemein hat. Fast bereue ich, dies gesagt zu haben – wer weiß, ob nicht eines Tages das annexionslustige Frankreich sogar die Maikäfer als Grund für die Zugehörigkeit unserer Westschweiz anrufen wird! Man hat schon schlechtere Gründe vorbringen sehen!

Indessen darf man auf diese Flugjahre nicht unbedingt zählen und muß wohl bedenken, daß besondere Umstände ihre Zeit durchaus verändern können. Mehrere feuchte, naßkalte Jahre hinter einander können die Larven und Puppen tödten und in ihrer Entwicklung stören, also ein Flugjahr von seiner Häufigkeit zu minderem Maße herabdrücken – besondere Witterungsumstände können im Gegentheile die Entwicklung begünstigen, die Feinde der Maikäfer beeinträchtigen und so ein gewöhnliches Jahr für eine lange Zeitperiode zum Flugjahre erheben.

Wie dem auch sei, so viel ist gewiß, daß manchmal die Zahl dieser Thiere in’s Ungeheuerliche anwächst und daß die Frage entsteht – nicht, wie man Centner davon sammeln, sondern was man mit den Gesammelten anfangen soll. Hühner und Schweine können die Massen nicht mehr bewältigen und fressen sich einen Ekel daran; aus dem Wasser retten sie sich; das Zerstampfen ist auch

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 606. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_606.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)