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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Diese Antwort beruhigte mich und ich stieg in den Maschinenraum, um die Heizer und Maschinisten ein wenig zu beobachten. Von Neuem fand ich hier alle Ursache, eine Kesselexplosion zu befürchten, denn Erstere hatten ihre Kohlenschaufeln bei Seite gestellt und warfen fortwährend, wahrscheinlich auf höheren Befehl, kleine gefüllte Theerfäßchen in die Feuerung. Plötzliche große Gasproduction und Verbrennung im Heizraum sind in den meisten Fällen die Ursache von Explosionen. Eine trockene, wahrhaft stickende Hitze, verbunden mit einem höchst üblen Geruche, herrschte dort unten, die mir bald unerträglich wurde und mich nach oben trieb, obgleich ich wohl an dergleichen Temperatur gewöhnt bin. Man hatte die Sicherheitsventile übermäßig belastet und den Dampf bis nähe 10 Atmosphären steigen lassen. Der Ausgang dieses Unternehmens war lediglich dem Schicksal anheimgestellt, ich nahm daher eine gleichgültige, beobachtende Stellung in der Nähe des Steuerrades ein. „Schwierige Aufgabe, Maschinist nach dem neuesten Zuschnitt zu sein!“ dachte ich; an den Werth eines Menschenlebens dürfen solche Leute nicht denken. Wir befanden uns jetzt schon hoch auf der See. Die Zuschauermenge, die Kähne, die Bäume, die Häuser an und auf dem Festlande verschwammen schon ineinander. Die Schaluppen und Gondeln, die uns anfänglich zu begleiten versucht hatten, waren weit zurückgeblieben, und selbst der unpäßlich gewesene Dampfer war mindestens schon 500 Fuß hinter uns. Dagegen hatte jetzt der unsrige den entschiedenen Vorsprung, und die Heizer schienen wieder anzufangen, vernünftig zu werden und ihrer wahren Aufgabe zu gedenken. Die fast fabelhafte Geschwindigkeit, mit welcher wir die Fluthen durchschnitten, ließ sich nur an der Unsichtbarkeit der Schaufeln und Radkreuze, an dem Luftzuge auf dem Verdecke und an der Menge der keilförmigen Wellen, welche von den Spitzen der Schiffsrumpfe ausgingen, erkennen; denn es fehlte ganz an festen Gegenständen um uns her, an denen man den Fortschritt hätte deutlich wahrnehmen können. Am lebhaftesten beschäftigten mich jetzt die Physiognomien der Passagiere, welche einen wahrhaft komischen, fast narrenhaften Anstrich gewonnen hatten, namentlich während der Zeit, wo unser Dampfer die beiden übrigen überholte.

Die freudestrahlenden Augen unseres Capitains, verbunden mit einem ihm selbst geweihten Hurrahrufe seinerseits, gefolgt von leidenschaftlichen Gesticulationen, Zurufen und Verhöhnungen, von dem freudetrunkenen Aufkreischen der Schiffsmannschaft, beschlossen mit Pistolenschüssen, Sprengen von Pulvertöpfchen und zuletzt mit dem Wehen und Schwenken der Taschentücher und Hüte, bildete zu den verzerrten Zügen und den blitzenden Wuthpfeilen unseres Nachbarcapitains, zu den rohen Verwünschungen seiner Mannschaft, zu den hämischen Fratzen und Grimassen seiner Passagiere, worunter auch das weibliche Geschlecht vertreten war, einen wunderbaren Widerspruch und gab neue Beweise von der Erregbarkeit des menschlichen Gemüthes. Ich sah einige Damen und Herren ihre Taschentücher, sogar einen Strohhut den Ueberholten übermüthig zuwerfen, welche Trophäen in den Fluthen ein sicheres unbeachtetes Unterkommen fanden.

Von meiner Meinung, daß das obenerwähnte, in einer Entfernung von circa zwei Stunden aufgestellte Schiff als Ziel dienen sollte, wurde ich jetzt erst abgebracht, indem ich bei unserer sichtlichen Annäherung an dasselbe sah, wie mit neu gespanntem Interesse die Menge nach der vorderen Brüstung der Verdeckgallerien rannte, um sich den Beobachtungen besser widmen zu können, und erfuhr, daß das vermeintliche Ziel nur als Wendepunkt gelte und daß der Sieg erst bei Zurückkunft an das Festland entschieden sei. Unser Dampfer, dem gewiß allseitig, wenn auch stillschweigend, der erste Preis zugesagt war, wollte ganz einfach in einem ziemlich weiten Bogen um den Kahn fahren. Eben als wir uns gerade hinter demselben befinden, also schon die halbe Wendung gemacht haben, kommt unser jüngst überholter Nachbar in so directer Richtung auf uns losgesteuert, daß ein heftiger Zusammenstoß unvermeidlich schien. Todtenstille trat auf beiden Verdecken ein, und nur vom dritten Schiffe her, welches sich unmittelbar links neben dem zweiten befand, ertönte ein einstimmiges „Halloh“, wahrscheinlich der Ausdruck neuer, kühner Hoffnungen. Es war ein furchtbarer Augenblick, und mir klopfte das Herz hörbar hinter den Rippen. In dem Gesichte unseres Capitains las man eine momentan peinliche Unentschlossenheit, ob rückwärts ob vorwärts; eine Secunde später erscholl schon das Commando zu „Voller Füllung, Vorwärts“, wagehalsige Maßnahme, welche sicher nicht geglückt wäre, wenn nicht in demselben Augenblicke unser furchtbarer Concurrent, dessen Spitze nur noch 20 Fuß von unserer Flanke entfernt war, an dem festen Kahne streifte, einen heftigen Stoß erlitt, eine Schaufel des rechten Rades brach und auf diese Weise ein kleiner Aufenthalt entstand, so daß wir glücklich vor ihm durchkamen. Wir sollten gewinnen, das Schicksal begünstigte uns augenscheinlich. Mit allgemeinem Freudengeschrei, begleitet von den Musik- und Pulversalven vom Kahne her, trat unser Fahrzeug den Rückweg an und glitt majestätisch an der anderen Seite des Kahnes vorüber, seines Sieges gewiß, während die beiden Gefährten sich auf der ganzen Rückreise heftig um den zweiten Preis stritten.

Die Passagiere des vierten Dampfers verdienen wohl einige Worte des Mitleids. Bei der Abfahrt hatten sie schon den Schrecken und Schimpf erlitten, während der Fahrt konnten sie weder die Lust des Beobachtens der Zuschauer auf dem Festlande, noch das Vergnügen und die gespannte Begeisterung der übrigen Fahrgäste theilen, bei ihrer Rückkehr empfing sie ein nochmaliges spöttisches Hurrah, so daß man sich der unzufriedenen Gesichter beim Aussteigen nicht wundern durfte.

Uns wurde die Ehre eines feierlichen Empfanges zu Theil; schon von Weitem konnte man die Rufe des Willkommens, die Klänge der Musik und die Schüsse vernehmen. Man schien auf dem Festlande ungewiß, welcher Dampfer denn der siegende sei, und Fernröhre richteten sich wie Lanzen auf uns. Als wir aber näher kamen und den blauen Zipfel mit den weißen Sternen in der Flagge sehen ließen, da schrie Alles: „Der Amerikaner, der Amerikaner ist’s!“ Eine donnernde Kanonensalve, begleitet von einer kräftigen Militairreveille, war das Zeichen unserer Ankunft. Das Comité erhob sich, der Vorsitzende trat unserem Capitaine grüßend entgegen, lobte in einer feurigen Ansprache den Muth und die Ausdauer der Amerikaner und dankte unseren Seehelden für ihre freundliche Betheiligung am Feste. Jetzt kamen zwei reizend schöne Jungfrauen in schneeweißer Tracht und überreichten dem Sieger auf einem perlengestickten Sammtkissen einen kleinen höchst sinnreich und geschmackvoll gearbeiteten Kahn von Gold. Noch zwei andere Feen brachten ein bedeutendes Geldgeschenk, das allerdings unserm Helden das Liebste zu sein schien, denn er ließ sich nicht nehmen, eines dieser beglückenden Geschöpfe in den Saal, woher sie kamen, zurückzuführen.

Das ungeheuere Drängen, das Rufen und Lachen nahm noch überhand, als der zweite Capitain, der auch einen Preis davon trug, ankam, denn er rettete als Eingeborener den Ruhm der Holländer, und sein Dampfer war mit holländischen Farben geschmückt.

Den nächsten vier Steamern, welche in die Schranken traten und uns die Vorzüglichkeit der Wasserschraube beweisen wollten, wird es angenehm sein, wenn wir ihrer nicht erwähnen; denn dem einen brach unterwegs die Speisepumpe, so daß die Kessel nicht mit Wasser versehen werden konnten, der Dampf abgelassen und die Weiterfahrt aufgegeben werden mußte. Das war französische Flußschiffsconstruction. Ein anderer hatte sich über seine Bedienungsmannschaft, welche in Anbetracht des Festes schon vor der Fahrt ein wenig zu tief in’s Glas gesehen hatten, zu beklagen; so daß bald die versammelte Volksmenge sich dem allgemeinen Vergnügen überließ, welches so reichlich geboten und durch prächtiges Wetter begünstigt war. In schönen Barken und Gondeln fuhren Familien und Gesellschaften am Ufer entlang. Fremde und einheimische Matrosen zeigten ihre Fertigkeit in den bei ihnen vorkommenden Manövern, wobei muthwillige Malheure nicht ausblieben und Mancher seine gebadete Jacke der freundlichen Sonne überlassen mußte. Unter anderen machte ein Neger, ein achtzigjähriger Greis mit schneeweißen Haaren, der in einem hohlen Baumstamme, mit einer kleinen Schaufel versehen, sich musterhaft fortbewegte, viel Aufsehen. Ein Miniaturdampfschiff, welches der indische Consul von der Stadt Amsterdam zum Geschenk bekommen hatte, erregte durch seine complete Aussteuer und durch seine Schnelligkeit allgemeine Bewunderung, nur daß Vielen seine Capacität von nur sechs Personen nicht genügend erscheinen mochte.

Nachdem die Segelschiffe, die Dampfer, die Fischerkähne und Frachtboote ihre Leistungen gezeigt hatten, kamen gegen drei Uhr Nachmittags die Schaluppen an die Reihe, welche weder durch Wind noch durch Dampf, sondern von den kräftigen Armen der jugendlichen Seeleute bewegt wurden, und unter denen sich namentlich die Gigs der „Societé spornautique“ auszeichneten. Die Gesellschaft hat in London, Paris, Amsterdam und Lüttich ihren

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 617. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_617.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)