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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

schickte. Die Thüren und Fenster des Erdgeschosses waren nach der Sitte der Gegend rothbraun angestrichen und mit einem weißen Andreaskreuz bemalt; die Fenster waren klein, niedrig, breit und mit Blei in runde Scheiben gefaßt; im auffallenden Gegensatze dazu waren Fensterstöcke und Läden des obern Stocks mit freundlichem Grün bemalt, die Fenster selber aber geräumig und mit breiten hellen Scheiben besetzt, hinter denen sich bescheidene Anfänge von Vorhängen blicken ließen. Hart an die linke Wand des Hauses schloß sich eine hohe Planke und theilte den Raum von der Einfahrt her in zwei streng geschiedene Hälften; auch hinter dem Hause durch den Obstgarten setzte sich die Scheidewand fort und verwandelte sich am Ende desselben in einen Feldzaun, der sich erst am Waldsaume verlor.

Der Stürzerhof war offenbar getheilt und im Besitze zweier Herren, die nicht eben gute Freunde und Nachbarn zu sein schienen, und alle möglichen Anstalten getroffen hatten, einander nicht zu begegnen.

An jenem Abend schritt ein junges Bauermädchen in der eigenthümlichen Tracht jener Gegend zur rechten Seite der Planke durch den Garten. Es war eine groß und schlank gewachsene Gestalt, auf deren Hüften der schwarze gelbgesäumte Rock mit seinen unzähligen dicht gelegten Falten bequem und natürlich ruhte, und nur etwas über’s Knie fallend ein ungemein zierliches Bein in weiß und blau geflammten Strümpfen und einen Fuß erblicken ließ, den selbst die rund ausgeschnittenen Schuhe mit ihren plumpen Bandrosen nicht zu entstellen vermochten. Um den Oberkörper schmiegte sich ein schwarzes Mieder mit einem leicht vor die Brust geschnürten Vorstecker aus Goldstoff; den schlanken Hals umgab das feingefältete Hemd in zierlicher Krause, und mit gleichen Fälteln und Krausen waren auch die Hemdärmel besetzt und hoben, nur bis an die Hälfte des Oberarmes reichend, dessen kräftige Rundung angenehm hervor. Auf dem Kopfe saß das unvermeidliche Spitzenhäubchen mit Draht, das sich um das schöne feingeröthete Angesicht des Mädchens wie ein duftiger Rahmen anschmiegte, während das durch Haar und Zöpfe über die Stirne gebundene rothwollene Band den Ausdruck der feurigen nußbraunen Augen noch entschiedener machte. Das Mädchen war unbestreitbar von hoher Schönheit, und dennoch konnte das holde Gesicht in Augenblicken des Nachdenkens einen so harten, ja beinahe wilden und trotzigen Ausdruck annehmen, daß man nicht glauben konnte, das seien dieselben Züge, die noch eben so kinderhaft freundlich zu lächeln vermocht hatten.

Das Mädchen ging langsam; es hatte ein Körbchen am Arme, mit überreifen aufplatzenden Bohnenhülsen gefüllt, und machte sich an den Gemüsebeeten des Gartens zu schaffen. Es gab aber dort so viel wie nichts zu thun, denn der Garten war herbstlich verwildert und schien sich keiner besonders sorgsamen Hand zu erfreuen. Auf den Beeten standen die Strünke der abgeräumten Kohlköpfe zwischen den Stengeln hoch aufgeschossener Samenpflanzen; nur hie und da ragte ein unordentlicher Büschel Bandgras oder ein Geniste von Nelken und Rittersporn. Es gab ein kümmerliches Sträußchen, das die schöne Bäuerin sich zusammenlas und hinter den Goldlatz steckte; fast hatte es den Anschein, als suche sie nur einen Vorwand, um länger im Garten zu bleiben und dem Gesange zuhören zu können, der aus dem feindlichen Gebiete jenseits der Planke herübertönte.

In den Zweigen eines großen alten Baumes stand dort ein Bauernbursche in blauem Staubhemd, einen Gürtel um die Mitte, ein leicht umgeschlagenes schwarzes Tuch um den Hals und auf dem schwarzen Krauskopf einen hellen Strohhut, dessen breiter Rand ihm gestattete, unbemerkt in den Nachbargarten zu schielen. Konnte er auch von dem Mädchen, das sich immer in der Nähe des Zaunes hielt, nicht viel sehen, so war doch klar, daß seine Aufmerksamkeit nicht dem verwilderten Garten galt, obwohl der von ihm gepflegte dagegen allerdings wie eine fürstliche Anlage anzusehen war. Die Wege durch den Obstgarten waren so rein, wie gescheuert; die Baumscheiben zierlich ausgehoben und frei gehalten; die Kronen der Bäume verriethen die sichtende Hand des kundigen Gärtners, und in der Rabatte die Breterwand entlang leuchtete ein prachtvoller Herbstflor von Astern, Monatrosen, Georginen und andern Spätblumen. Der Bursche war mit dem Abpflücken von Zwetschgen beschäftigt, die er in ein am Baume befestigtes Körbchen legte und dazu mit heller Stimme sang:

„Jetzund lad’ ich zwei Pistolen,
Thu’ vor Freuden einen Schuß,
Der Herzliebsten zu gefallen,
Weil’s die Schönste ist von Allen,
Die ich jetzund meiden muß!“

Er machte einen kleinen Absatz, blickte fest in die andere Abtheilung hinüber und schien seinen Muth zu einem besondern Anlauf zusammen zu fassen. „Einmal muß es sein,“ brummte er vor sich hin und rief dann laut: „Ich kann schon all’s aufhör’n mit meinem Kreische’, wenn’s der Jungfer Nachbarin nicht gefällt …“

„Meint Ihr mich, Nachbar?“ sagte das überraschte Mädchen und blickte erröthend auf. „Von wegen meiner könnt Ihr immer fortsingen, mir gefällt’s ganz wohl!“

Der Bursche erwiderte nichts und sang weiter:

„Jetzund geb’ ich meinem Pferd die Sporen,
Reite zu dem Thor hinaus,
Hab’ vor Allen Dich erkoren,
Schönster Schatz, Du bleibst mir unverloren,
Bis ich wied’rum komm …“

Das Krachen des Astes, auf dem er stand, unterbrach ihn: das Mädchen drüben schrie laut auf und war mit einem Sprunge an der Planke, als wenn sie ihm zu Hülfe kommen wollte – sie hatte in der Eile nicht an die Scheidewand gedacht, die es unmöglich machte. Die Sache war indeß nicht so gefährlich, denn der gewandte Bursche hatte sich gerade im rechten Augenblick vom Baume niedergeschwungen und stand wohlbehalten an der andern Seite des Zaunes, einige im Sprunge entfallene Früchte wieder auflesend.

Keines sprach ein Wort, Keines sah das Andere, und dennoch blieben Beide an ihrem Platze stehn, als müßten sie noch etwas Besonderes erwarten, das sie kommen sahen, wie das langsame Aufschließen einer Blumenknospe. Der Bursche ermannte sich zuerst. „Wenn die Jungfer Nachbari’ noch drüben ist, möcht ich ihr wohl was sagen … Ich hab’s schon oft auf der Zung’ gehabt und hab’s Ihrem Vater und Ihrem Bruder sagen wollen, aber ich hab’s nie anbringen können, denn sie sind immer fuchsteufelswild, wenn sie mir begegnen, und schauen drein, als wenn sie all’s anfangen wollten zu krakehle…“

„Und was wär’ denn das?“ klang’s von drüben etwas beklommen; „ich will’s dem Vater wohl ausrichten …“

„Dann will ich der Jungfer Nachbarin sagen,“ begann der Bursche rasch, „daß ich … daß sie …“ Er stockte und setzte dann langsam hinzu: „… daß dort an der Planken ein paar Breter losgeworden sind …“

„Ist das die Möglichkeit! Davon hab’ ich noch nie was bemerkt …“

„Ja, es ist schon so,“ fuhr der Bursche geläufig fort, „da seh’ die Jungfer Nachbarin nur selbst … an den beiden Läden da sind die Pfostennägel ausgefault, es braucht nur einen Druck, so liegen sie unten …“ Im Eifer, seine Entdeckung nachzuweisen, gerieth der Druck etwas zu stark, die beiden Breter lösten sich von dem Pfosten ab und senkten sich schräg zu Boden.

In der blitzschnell entstandenen Lücke standen sich Bursche und Mädchen hart gegenüber, beinahe Gesicht an Gesicht, daß ihre Athemzüge sich streiften. Beide waren wie mit Blut übergossen und vermochten keinen Laut hervor zu bringen. „Das muß ich gleich dem Vater sagen, daß er’s wieder vermacht …“ stammelte endlich das Mädchen.

„Wenn die Jungfer will,“ entgegnete der Bursche, „mir thät’s nicht pressire’, und wenn’s nach meinem Kopf ging, ich ließ’ den ganzen Zaun einreißen …“

„Ich hätt’ auch nichts dawider… dann könnt’ ich besser in Euren Garten sehn, der gefällt mir einmal zu gut. Da ist Alles so sauber wie in einer Kapellen, und Ihr habt so schöne Blumen. Bei uns sind Distel und Brennnessel das Meiste, und Hennendarm und Taubenkropf – kaum daß ein armseliges Nagerl (Nelke) und ein Rosmarin fortkommt …“

„Das ist eine besondere Sach’,“ rief der Bursche lachend, „wie die Geschmäcker verschiede’ sind! Mir gefallt Ihr Garte’ viel besser als der unsrige, und ich hab’ in der ganzen Welt nirgends solch’ eine schöne Blum’ gesehen, wie sie da wachsen … Wenn ich ein solches Sträußle hätt’, wie die Jungfer Nachbarin da am Mieder stecken hat, ich thät’ einen Kreuzsprung machen vor Vergnüge’!“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 626. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_626.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)