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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

„Die paar Blümeln sind net so viel werth,“ sagte das Mädchen, indem sie ihm das Sträußchen mit niedergeschlagenen Augen hinreichte. Der Bursche ergriff es hastig, als ob er daran riechen wolle, und drückte einen leichten Kuß darauf. „Da muß aber die Jungfer Nachbarin,“ rief er, „von mir auch ä Gegengeschenk annehme’ und sich von meine Zwetschge’ da was aussuche’ …“

Dem Mädchen war der geheime Kuß nicht entgangen, in der Verwirrung darüber kam ihr der Vorwand gelegen, sich bewundernd über das Körbchen zu beugen. „Was Ihr für wunderschöne Zwetschgen habt!“ rief sie. „Wir haben doch die nämlichen Bäume und bekommen nur kleine und saure Dinger, wie die Schlehen!“

„Das kommt davon, daß Ihre Bäume nicht geputzt werden und den Brand und den Schorf haben … hätt’ ich was dreinzureden, so was ließ ich nicht aufkommen!“

„Und wie schön die Frucht in dem Körbel geordnet ist! Die Weinblätter machen eine prächtige Einfassung, und die Astern, die dazwischen gesteckt sind, lassen erst recht sehen, wie duftig und blau die Früchte sind, es wär’ schade, wenn man sie herausnehmen wollt’!“

„Davor kann man helfe’! Behalt’ die Jungfer Nachbarin das ganze Körbche’ – aber jo das Körbche’ nicht, das könnt’ eine schlimme Bedeutung habe’ … wenn Sie ’s einmal nicht mehr braucht, kann Sie mir das Körbche’ über’n Zaun werfe’!“

„Das wär’ doch zu grob – ich werd’ Euch wohl einmal wieder hören, daß ich’s zurückgeben kann!“

„So ist es also der Jungfer nit zuwider, wenn sie mir begegnet?“

„Warum sollt’s mir zuwider sein? Ihr habt mir ja nichts zu leid gethan!“

„Und könnt’ der Jungfer auch nix zu leid thun, nit vor mei’ Lebe’! Ich hab’ nur gemeent, weil doch Ihr Vater und Ihr Bruder und die Bauern alle in der Gegend uns Pälzer nit leide könn’ … es könnt bei der Jungfer auch so sein! Und das freut mich, daß es nicht so ist, denn weeß Gott, die Bauern haben kee’ Ursach’, wir sind nit zu neiden, daß wir haben fortgemußt aus der schöne Palz!“

„ … Ihr seid also nit gern bei uns?“

„O wohl gern – aber das muß die Jungfer Einem nit übel nehmen, wenn man sich daran erinnert, es ist gar zu schön drüben über’m Rhein! Die Jungfer sollt’ nur einmal die schöne Wiese und Felder, und die Laubwälder mit denen prächtigen Eichen und Buchen sehn, und die Mandle und die Käste, die all’s im Freien wachse’, und die Weingarte mit den schönste Traube’ … sie sollt’ Augen machen!“

„Euer ganzes Herz muß noch dort sein, so verzückt redt Ihr davon!“

„Meine Gedanken reisen wohl all’s noch manchmal hinunter in die Palz – aber mei’ Herz ist nicht dort, das ist in der Dachauer Revier daheim!“

Das Mädchen kam aus der Verwirrung nicht heraus; welche Ausflucht sie auch versucht hatte, immer nahm das Gespräch schon nach wenigen Worten eine verfängliche Wendung. „Aber warum,“ sagte sie ausweichend, „seid Ihr Ueberrheiner daheim fort und zu uns gekommen?“

„Weil dort all’s zu viel Leut sind, und Grund und Boden ist einmal zu theuer. Drum gehn alle Jahr Viele, die keinen Platz und keine Arbeit mehr finden, über’s Meer nach Amerika; mein Vater aber hat gesagt, wir wollen lieber hinüber in Baiern, da is all’s noch Platz genug, und der König Max Joseph ist ein guter Mann und is auch ein Pälzerkind, und wir bleiben wenigstens auf dem lieben deutschen Erdboden. … Warum betrachtet die Jungfer meine Blus’ so besonders?“ unterbrach er sich selbst. „Es ist eine kommode Tracht und zur Arbeit gut …“

„Ich hab’ mir die feine Nähterei auf Eurem Gürtel betrachtet …“ Was bedeutet der Buchstab’, der eingenäht ist?“

„Das ist so Gebrauch bei uns: es ist der Anfangsbuchstab’ von meinem Namen – ich heiß’ Adrian …“

„ … Ein schöner Nam’ … es heißt Niemand so bei uns in der ganzen Gemein.“

„Für mich aber hat das A noch eine besondere Bedeutung: es heißt auch – Ameile …“

„Ameile? Was ist das?“

„Das ist der Namen von dem Mädle, das ich gern hab’ …“

„Ich glaub’, der Tyras meld’t sich,“ sagte das Mädchen, indem sie ihr Körbchen zu sich nahm, „ich muß fort …“

Adrian faßte sich ein Herz und hielt sie am Arme fest. „Bleib’ die Jungfer Nachbarin doch – der Hund hat sich ja gar nicht gerührt; ich möcht’ gar zu gern mit ihr von dem Mädle schwätze, das ich gern hab’ … von meinem Ameil …“

„Ameile …“ flüsterte das verlegene Mädchen, „das lautet recht schön, aber wir haben keine solche Heilige im Kalender …“

„O doch, doch! Es ist nur ein Schmeichelwörtle, eine Abkürzung … für Ihren Namen, Jungfer … Ameile ist bei uns Annemarie! “

„Ich muß wahrhaftig fort,“ rief das Mädchen und wollte sich losmachen, „es fängt schon an, dunkel zu werden …“ Adrian aber hielt sie fester, faßte ihre Hand und fuhr fort: „Findet die Jungfer, daß das gut lautet? Mir geht es auch so, das Herz geht mir aus, wenn ich den Namen höre … und wenn ich erst sagen dürfte: mein schönes, gutes, mein liebes Ameile! … O mach’ sich die Jungfer nicht los, ich muß es Ihr einmal sagen, wie ’s mir um Herz ist, daß Sie mir’s angethan hat im ersten Augenblick, wie wir vor anderthalb Jahren auf den Hof gekommen sind, daß ich Sie mit jedem Tag lieber bekommen hab’ und daß ich mich schon lange nach einer Gelegenheit sehn’, es Ihr zu sagen! Sie allein und keine Andere ist meine Ameile – was wär’ ich für ein glücklicher Mensch, wenn die Jungfer mir auch ein wenig gut sein könnte!“

Annemarie sah zu Boden; sie lächelte, und dennoch trat in ihrem Gesichte der finstere Zug hervor, der es hart und beinahe unheimlich machte. „Verlangt das net, Adrian,“ sagte sie dumpf, „es wär’ nur ein Unglück für uns alle Beide …“

„Ein Unglück? Und warum?“

„ – Weil mein Vater niemals seine Einwilligung dazu geben thät’ … Ihr wißt, er kann die Ueberrheiner nit ausstehen … er hat gar keinen andern Gedanken, keine andere Kümmerniß, als wie er Euch wieder aus dem Hofe bringen kann …“

„Wir haben ihm doch nie was zu leid gethan! Wenn er uns nicht im Hof haben will, warum hat er ihn dann verkauft?“

„Das will ich Euch sagen, Adrian, wenn ich auch selbiger Zeit, wie das geschehen ist, noch ein halbes Kind gewesen bin. Der Vater hat sich hart gehaust in den Kriegszeiten, dann hat ein paar Mal hintereinander der Schauer Alles in Grund und Boden hineingeschlagen, der Viehstall ist dazu gekommen … es ist ihm nichts übrig ’blieben, als den halben Hof zu verkaufen. Es hat sich auch gut getroffen, daß ihn ein Vetter gekauft hat, der hat ihm versprochen, er wollt’ ihm den halben Hof wieder ablassn, sobald er’s im Stand wär, ihn hinauszuzahlen. Und der Vater hat sich geschunden und geplagt, damit er das Geld zusammenbringen soll, und er hätt’ es wohl noch zusammenbracht, und der Vetter wär’ seinem Wort auch nit umgestanden – da ist er aber geschwind weggestorben, und die Erben und Befreund’ten haben nicht nach dem Vater gefragt und haben das Gut verkauft …“

„Gott sei Dank, so sind wir hereingekommen!“ rief Adrian.

„Und wollen auch drinnen bleiben und wollen es versuchen, gut freund zu werden mit dem Vater! Sollte es denn gar nicht möglich sein, ihn auszusöhnen? “

„Ich glaube ’s nicht,“ sagte sie mit traurigem Kopfschütteln, „der Vater ist gar streng und hart! Hätt’ er sonst Haus und Garten und Feld abgetheilt, als wenn eine Mauer dazwischen wär’? Der Stürzerhof muß wieder ganz sein werden – das ist sein einziges Trachten … eh’ er das aufgiebt, läßt er Alles zu Grund geh’n!“

„Ich kann mir’s nicht so gefährlich vorstellen,“ erwiderte Adrian. „Du bist so gut, Ameile, und Dein Vater sollt’ gar kein Fleckle habe, wo man ihm beikomme könnt’? Ich will’s doch versuchen, wenn ich nur erst weiß, wie ich mit Dir daran bin!… Lieb’s herziges Ameile … sag’, ob Du mich nicht auch ä Bißle lieb habe’ kannst?“

Annemarie wurde des Geständnisses, dessen Ahnung auf ihren Wangen brannte, durch den Hofhund überhoben, der laut bellend anschlug. „Ich muß fort,“ sagte sie, „der Vater kommt zurück …“

„Das ist der Vater noch nicht! Ist er nicht nach München hinein zum Octoberfest? Der meinige ist ja auch hin … bis das Pferderennen vorbei ist, wird’s immer viere, und unmittelbar darnach wird Dein Vater auch nicht aufgesessen sein … er kann noch nicht zurück kommen …“

„Ich bitt’ recht schön, Adrian, daß Ihr mich gehen laßt …“ bat das Mädchen herzlich; er aber hielt ihre Hand noch fester und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 627. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_627.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)