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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

fuhr dringender fort: „Ich halt’ Dich nicht auf, Ameile, aber die Antwort auf meine Frage ist ja so kurz … oder wenn Du mir nicht so antworten willst, thu’s auf eine andere Weis’ … Du hast ein Nelkenstöckle mit wunderschöne rothe Blume am Fenster· in der Stub’ … gieb mir Eene davon! Im Hausplatz, wo die Welt mit Bretern verschlagen ist, daß wir nicht hinein können zu Euch, ist ein Spalt gerade über’m Schloß … ich steh’ oft davor, Ameile, weil ich Dich gerade sehn kann, wenn Du in der Küche am Heerde stehst. … Durch diesen Spalt gieb mir Antwort; ist’s Nein, so schiebe mir ein Nelkenzweiglein durch; ist’s Ja, so nimm Eine von den schöne’ feurige’ Blume’ … Willst Du, Ameile?“

Das Mädchen erwiderte nichts, sondern eilte durch die stark einbrechende Dämmerung dem Hofraume zu, von welchem Hundegebell immer lauter hörbar wurde. Adrian sah ihr einen Augenblick betreten nach, dann machte er sich daran, die losgegangenen Breter wieder an der Planke zu befestigen. „Ich wollte, der alte Stürzer hielte in seinem Eigensinn nicht fester als diese verrosteten Nägel,“ brummte er dabei, „dann wär’ Alles gut!“

Annemarie war hastig und ohne sich umzusehen, in der Wohnstube angekommen und hielt das Körbchen mit den Pflaumen und Blumen behutsam mit der Schürze bedeckt. Sie hatte kaum so viel Zeit gefunden, dem an der Kette lärmenden Hofhunde ein beruhigendes Wort zuzurufen, auf das er wedelnd in die Hütte kroch, und öffnete das in der Ofenecke befindliche altersbraune Wandschränkchen, um ihr Kleinod im obern Fache vor uneingeweihten und feindseligen Blicken zu verbergen. Hochaufathmend war sie eben damit zu Ende gekommen, als es von außen an’s halbgeöffnete Fenster pochte. Erschrocken schlug sie das Schränkchen zu und wandte sich nach dem Fenster, durch welches ein stämmiger Bursche von fast verwegenem Aussehn hereinlugte. Der runde niedrige Filzhut auf dem kurz geschorenen Haar und die rothe, statt der Knöpfe mit Silbermünzen besetzte Weste zeigten, daß er zu den eingebornen Bewohnern der Gegend gehörte. Er hatte die Jacke über die eine Schulter geworfen, während auf der andern der Lauf eines Gewehres sichtbar wurde. Das Gesicht des Burschen war schön, vielleicht schöner als das Adrian’s, aber es war etwas Kühnes und Wildes darin, was eher zurückschreckte, als anzog. „Was rennst denn, als wenn Dir der Kittel brennte, Mirl,“ rief er, „daß man Dich nicht erschreien und einholen kann?“

„Ich hab nichts von Dir gehört und gesehen,“ erwiderte das Mädchen kurz.

„Dann muß Dir schon bei dem kühlen Abend ein Fluß auf’s Gehör gefallen sein!“ höhnte der Bursche. „Was hast denn noch so spät im Garten zu schaffen gehabt?“

„Geht’s Dich was an, Melcher? Ich hab’ Bohnen gebrockt.“

„Bohnen gebrockt? Um die Zeit? Und an der Planken? Die Bohnen stehn ja auf der andern Seit’, so viel ich weiß! Das kommt mir ganz eigen vor, Mirl!“

„Ich glaube gar, Du laß’st Dir einfallen, mir aufzupassen! Und damit Du’s nur weißt … ich heiß’ Annemarie, nicht Mirl, ich wüßt’ nicht, warum ich mir meinen Namen sollt’ verhunzen lassen!“

„So? Das ist ja wieder was Neues! Hat Dich ja Deiner Lebtag noch kein Mensch anders geheißen als Mirl, und jetzt ist Dir’s auf einmal zu gering? Du solltest aber nit so reden, Mirl – Du weißt ja, wie ich gesinnt bin mit Dir!“

„Was ist’s dann? Hab’ ich Dir merken lassen, daß ich von derselbigen G’sinnung bin?“

„Das hast nicht gethan, aber Du hast mich doch merken lassen, daß es Dir nit zuwider ist … Das kannst nicht leugnen, Mirl! Soll’s mir jetzt gleich sein, soll mir nicht der Zorn aufsteigen, wenn ich seh’, daß ein Andrer …“

„Ach was!“ unterbrach ihn Annemarie unsicher, „wo sollt’ in der Einöd’ ein Andrer herkommen?“

„Man sollt’s freilich nit glauben, ich seh’s selber ein, daß es eine Dummheit ist, so was zu denken … und doch wollt’ ich darauf wetten, ich hätt’ vorhin an der Planken den Rheinschnaken bei Dir stehn sehn, den nothigen Ueberrheiner, der das Hemd übers Gewand tragen muß, weil er sich keinen Janker vermag ...“

„Ich hab’ Dir schon gesagt, Melcher,“ rief das Mädchen zornig, ich verbitt’ mir das Ausspioniren! Wenn’s nochmal geschieht, sag’ ichs dem Vater, und Du mußt aus dem Haus!“

„Hoho,“ entgegnete der Bursche, „pfeift der Wind aus dem Loch? Dann weiß ich, wie ich daran bin … dann sei nur froh, wenn ich dem Bauern nichts sag …“

„Zankt Ihr Zwei wieder einmal miteinander?“ rief ein Dritter dazwischen, ein Bursche in Bauerntracht, den die Aehnlichkeit des Gesichts auf den ersten Blick als Annemarie’s Bruder erkennen, ließ. Es waren ganz dieselben Züge, nur in männliche Formen übergetragen und mit stärkerem Hervortreten des finstern Ausdrucks um Mund und Augen. „Ihr exercirt Euch ein bissel früh ein auf den heiligen Ehstand!“

„Da bist bös auf dem Holzweg, Sepp!“ rief Annemarie, „so weit ist’s nit mit mir und dem Melcher!“

„Wirst schon so weit kommen, Schwester … kannst keinen bessern Mann finden, ich versteh’ mich drauf!“

„Kümmre Dich um Dich selber! Hast schon wieder den Stutzen auf dem Buckel? Willst nie gescheidt werden und das Wildschießen aufgeben? Laß Dich nit verleiten von dem Melcher, es ist noch einmal Dein Unglück! Wenn Dir einmal der Förster begegnet …“

„Dummheiten!“ rief Melcher dazwischen. „Dann kommt’s eben drauf an, bei wem’s zuerst knallt! Komm, Sepp, laß Dir nix einreden; wir vertragen die schönste Zeit mit dem öden Gered … ich weiß einen Platz droben im G’ramp (geräumter Schlag), wo noch der Sommerhaber steht. Ein Zwölfender wechselt alle Tag um die Zeit heraus … sollen wir unsern Haber ruhig abweiden lassen? Nein – ich will unsere Flur hüten, und was mir ins Gäu geht, das brenn’ ich nieder …“

(Fortsetzung folgt.)


Die geschichtlichen Helden der deutschen Dichter.
Nr. 1.
Maria Stuart.

Wir durcheilen die Gallerien, Säle und Corridore des schottischen Königspalastes, lassen die Bildnisse seiner längst modernden Herrscher unbekümmert auf uns herabschauen, achten wenig der Erläuterungen des Führers: hier tanzte Carl Eduard zum letzten Male auf schottischem Boden, oder: dies ist der Thronsaal, welcher zu den Levers Georg’s IV. hergerichtet wurde, und jene Zimmer bewohnte der französische Exkönig Carl X. in den dreißiger Jahren, und diese die Königin Victoria, wenn sie Holyrood gelegentlich zu ihrer Sommerresidenz erwählt. Warum hören wir nur halben Ohrs auf die Geschichte des düsteren Schlosses, das König David gegen die Mitte des zwölften Jahrhunderts gründete und die Engländer 1544 gänzlich niederbrannten? Warum interessirt es uns wenig, daß Jacob V. den Palast wieder herstellte und Cromwell ihn auf’s Neue zerstörte, bis unter der Regierung Carl’s II. das Gebäude wieder aus seinen Trümmern erstand? Warum – so müssen wir uns selbst fragen, so wenig Theilnahme für jene historischen Personen und Begebenheiten? – Warum befinden wir uns in diesem Schlosse mit seiner verblichenen Pracht und gefallenen Größe, seinen Räumen, die wenig Freude, aber viel Blut sahen – warum? – Weil auch eine Frau hier wohnte, die berühmt wurde durch ihre Schönheit wie durch ihr Unglück, die bestimmt schien, zwei Königskronen zu tragen, und unter einer Dornenkrone seufzte, deren Leben, von Leidenschaften und „der Parteien Gunst und Haß verwirrt“, den Stein wider sie erhebt, deren tragisches Ende aber Vergebung erringt. –

Der Name „Maria Stuart“ ist es, welcher mit einem nie verduftenden Hauche von Poesie aus verflossenen Jahrhunderten zu uns herüberklingt, der uns noch heute bewegt, so oft wir ihn nennen hören. Wie sollte er nicht hier, in Holyrood, uns erschüttern, hier, wo ihr Fuß einst wandelte auf denselben Fliesen, wo ihre Gestalt durch dieselben Thüren und Gemächer schwebte, wo sie liebte und irrte, wo sie büßte und verzweifelte und Rache

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 628. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_628.jpg&oldid=- (Version vom 3.9.2020)