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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

der Königin von Schottland mit ebenso fanatischen Freudenbezeigungen aufnahmen, als einige Monate vorher die Verurtheilung. Alle Glocken der Stadt wurden geläutet und in allen Straßen Freudenfeuer angezündet.


Zur Erläuterung unserer Zeichnung diene in Kurzem noch Folgendes: Der Kopf Maria Stuarts ist nach Sir John Watson’s Bildniß (auf dem Edinburger Schlosse befindlich) entworfen, welches er nach dem Originale des Italieners Furino copirte und welches die Königin darstellt als sie noch Dauphine von Frankreich war. Es gilt dieses Bild als eines der lieblichsten und wird fast allen Portraits, die von der unglücklichen Fürstin exisiren, bei weitem vorgezogen. Für seine Echtheit jedoch kann Niemand einstehen – und nach neuesten Erfahrungen um so weniger, als im April dieses Jahres in Edinburgh allein fünfundzwanzig Portraits Maria Stuart’s (nebst dem obigen) ausgestellt waren, von denen keins dem andern nur im Entferntesten glich.

Schloß Holyrood, von dem wir eine Totalansicht geben, liegt am östlichen Ende von Edinburgh. Hinter ihm erhebt sich der über 800 Fuß hohe Felsen „Arthus-Sitz“, auch Scottish-Lion genannt. Die Fronte des Schlosses, welches ein Viereck bildet, ist zu beiden Seiten mit eingeschnittenen Thürmen versehen, die dem Gebäude jenen kriegerischen Charakter verleihen, welcher die Geschichte Schottlands nur zu sehr kennzeichnet. Die Veränderungen, welchen das Schloß von Zeit zu Zeit unterworfen war, machen es schwierig, irgend einem Theile seine Entstehungszeit mit Gewißheit zu geben. Die Thürme am nordwestlichen Winkel, von Jacob V. erbaut, werden jedoch als der älteste Theil angenommen – denn von dem ursprünglichen Königsbaue David’s I. ist Nichts geblieben, als die völlig zerstörte Abtei auf der nördlichen Seite des Palastes, dessen mit schönen Anlagen geschmückte Umgebung noch heute zahlungsunfähigen Schuldnern ein Asyl bietet.

Links auf unserer Zeichnung sehen wir das „Boudoir der Königin“, in dem Rizzio überfallen wurde. Es ist sehr klein – seine Länge beträgt wenig über zehn, die Breite nicht über neun Fuß. Das verfallene Häuschen zur Rechten ist das sogenannte „Bad der Königin“, durch welches die Mörder flohen – den Schluß bildet das Schlafgemach mit der Tapetenthür im Hintergrunde, welche nach dem Boudoir führt.

Nur selten findet man diese denkwürdigen Räume menschenleer, und namentlich sind es Franzosen, welche die vorherrschende Anzahl der Besucher bilden. Es scheint, als wollten sie der schönen, unglücklichen Maria ein besonderes Weihopfer bringen, die auf kurze Zeit auch ihre Königin war. So weilte die greise Wittwe Louis Philipp’s hier, so jüngst Eugenie von Frankreich, – den Verfall alles Irdischen betrachtend – den Fall einer Königin betrauernd.

H. K.






Die geheime Agentur.

Ein Bild aus dem amerikanischen Geschäftsleben.

Es war im Jahr 1857, als die große finanzielle Krisis, welche später die ganze Welt erschütterte, sich wie eine Lawine, Alles mit sich fortreißend, über die Vereinigten Staaten ergoß. Die Ohio-Lebensversicherungs- und Credit-Gesellschaft, an deren sicherem Bestande damals Niemand zweifelte, eröffnete den Reigen mit einem Bankerott von zehn Millionen Dollars, Bank auf Bank folgte durch das ganze weite Land, die im Bau begriffenen Eisenbahnen blieben liegen, die alten, bis dahin gut rentirenden Schienenwege zahlten keine Dividende mehr, und der große Nordwesten, die Kornkammer der Welt, erlag fast der finanziellen Calamität und der Ueberspeculation. Eine andere Nation hätte in solcher traurigen Lage fast allen Unternehmungsgeist verloren, aber für den kräftigen amerikanischen Zweig des angelsächsischen Stammes war dieses Unglück nur ein neuer Sporn, um durch Anstrengung aller Spannkraft die Verluste wieder gut zu machen. Waren auch die Papiere und Banknoten entwerthet, war auch das Eigenthum im Werthe gesunken, waren auch Millionen durch Fallissements ruinirt, so war doch die schöpferische Kraft des unermeßlichen Bodenreichthums noch vorhanden; auf diese gestützt entschloß sich das thatkräftige Volk, die Schlacht des Lebens von Neuem zu schlagen und siegreich durchzuführen. Eine eigenthümliche Erscheinung war, daß viele Leute, welche bis dahin nur nominelle Christen gewesen waren, plötzlich fromm wurden und sogenannte prayer-meetings, öffentliche Betstunden besuchten, ohne freilich, wie die deutschen Pietisten, ihre Geschäfte dabei zu vernachlässigen. Bei solchen Zusammenkünften sah man die bedeutendsten Männer, Politiker, Richter, Aerzte und Andere im Verein mit gewöhnlichen Handwerkern sich vor dem Höchsten beugen und bessere Zeiten herabflehen. Bei Manchen mag wohl Heuchelei mit im Spiel gewesen sein, bei den Meisten aber kann man mit Sicherheit annehmen, daß sie von tiefen religiösen Gefühlen ergriffen waren.

Eine der traurigsten Erscheinungen in dieser folgenschweren Zelt war der Umstand, daß es sich bei Vielen herausstellte, wie sie ganz wagehalsig, ohne die Folgen zu berechnen, in’s Blaue hinein speculirt hatten, während Andere, von der allgemeinen Misère unmoralischen Gebrauch machend, diese Gelegenheit benutzten, ihre Schulden abzuschütteln. Es war ja außerordentlich leicht, sich unter diesem oder jenem Vorwande seinen Verpflichtungen zu entziehen. Konnte man ja doch sein festes oder bewegliches Eigenthum, wenn man unredlich dachte, gar leicht auf eine dritte Person, die im Einverständniß handelte, überschreiben lassen (transfer of property) und so den selbst bedrängten Gläubiger um seine Rechte betrügen. Gab es ja doch gewissenlose Advocaten genug, die zu solchen Manipulationen für gewisse Procente ihre Hand boten. Daß unter solchen Verhältnissen der bei weitem größere und bessere Theil der Geschäftswelt nach einem Mittel suchte, diesem fraudulenten Verfahren einen festen Damm zu setzen, um sich vor künftigen Verlusten zu schützen, ist leicht erklärlich. Wie nun die Angelsachsen stets das Princip festhalten: hilf Dir selbst, und nicht, wie die Deutschen im Gefühle ihrer Abhängigkeit, von den Behörden allein Remedur erwarten, so fanden sich bald ein paar unternehmende Köpfe, welche den leitenden Kaufleuten und Banken der großen Städte einen Plan vorlegten, der trotz mancher moralischer Bedenken im Ganzen Beifall fand. Gleichsam wie die großen Speditions-Gesellschaften Adams’, Fargo’s und American Express Company sich über das ganze Land verzweigen und fast in jeder größern oder kleinern Stadt Agenturen besitzen, so wollte man an allen Handelsplätzen geheime Officen errichten, deren Zweck es sein sollte, über die Verhältnisse der Geschäftswelt am Orte selbst und in der Nachbarschaft die genauesten Erkundigungen einzuziehen und zu registriren. Zu diesem Zwecke wurden vertraute Männer von New-York aus durch das ganze Land geschickt, welche den Auftrag hatten, überall die passenden Persönlichkeiten für das Unternehmen aufzusuchen, wie sich denn leider auch Geschäftsleute ohne Verdienst und Advocaten ohne Praxis in Menge zu diesen zweideutigen Agenturen gebrauchen ließen. Nicht lange darauf entstand dann in Empire City (New-York) eine Centralagentur ohne deutlich ausgesprochenen Namen der Firma, gewöhnlich Somebody’s secret office (eines gewissen Jemand Geheim-Bureau) von den Importeuren genannt, im Westen und Süden häufiger als Douglas und Co. bezeichnet. Um die Unkosten des Unternehmens zu decken, mußten alle Firmas je nach ihrer Bedeutung, wenn ihnen die geheimen Bücher der mysteriösen Agentur erschlossen werden sollten, einen Beitrag von 50–200 Dollars jährlich entrichten. Dafür hatten sie das Recht, wenn sie mit irgend einem Hause, auch in dem entferntesten Theile des Landes, in geschäftlicher Beziehung standen und über dessen Solidität Erkundigungen einziehen wollten, bei der nächsten Office von Douglas und Co. nachzufragen, die sich dann direct mit dem entsprechenden Zweige der Agentur in Verbindung setzte und mit umgehender Post dem Nachfragenden die nöthige Auskunft mittheilte. Daß das Geheimniß dieser lichtscheuen Manipulation auf das Strengste beobachtet wurde, geht daraus hervor, daß Jeder, der seinen Namen als Subscribent in die Bücher der geheimen Agentur eintragen lassen wollte, erst drei eingeweihte Bürgen seiner Schweigsamkeit und Discretion stellen mußte, ehe ihm die Art und Weise

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 632. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_632.jpg&oldid=- (Version vom 29.9.2020)