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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Gelassenheit Alles das, was er früher als sein Eigenthum betrachtet hatte, mit Ausnahme des Wenigen, was ihm das Gesetz zu behalten erlaubte. Seine Freunde, als sie diese vortheilhafte Veränderung in seinem Charakter bemerkten, fingen nun wieder an, ihm ihre Unterstützung zu schenken, und machten ihm verschiedene Anerbietungen. Einer derselben, eben jener alte Herr, welcher ihm die ersten unangenehmen Nachrichten von New-York mitgebracht hatte, besaß an einer der Avenuen der Stadt ein bedeutendes Sägemühlen-Etablissement und überredete Hargrave, einstweilen die erste Clerkstelle daselbst zu übernehmen, bis sich etwas Besseres für ihn finden würde.

Hier entwickelte er wieder die alte Thätigkeit und arbeitete unermüdlich im Interesse seines Freundes, als wenn nie ein trüber Schatten seinen Lebensweg verfinstert hätte. In der gegen ihn eingeleiteten Scheidungsklage leistete er durchaus keinen Widerstand, obgleich er nach dem Gesetze gewichtige Einsprache hätte erheben können, denn willfull neglect of duty, worauf seine Frau klagte, war durchaus nicht nachzuweisen; im Gegentheil trug er dem ihn vertretenden Anwalt auf, seinen vollen Consens zu erklären. Bei der letzten Verhandlung, in der beide Parteien gegenwärtig sein mußten, betrug er sich außerordentlich kühl, seine Frau, die dicht verschleiert neben ihm saß, kaum eines Blickes würdigend, während er zuweilen den anwesenden Cox mit einer Verachtung anschaute, die diesen zwang, die Augen niederzuschlagen. Einige Tage später erfuhr er, daß das sündhafte Paar sich verheirathet hatte; auch darüber ließ er sich nicht aus, nur entfielen ihm die Worte: „Mein armer Knabe!“ Das Einzige, was ihn noch zu drücken schien, war der Befehl des Gerichts, daß Harry, weil er noch in einem zu zarten Alter sei, ausschließlich der Obhut der Mutter anzuvertrauen wäre, jedoch sollte der Vater die Befugniß haben, sein Kind wöchentlich einmal zu besuchen. Diese Erlaubniß schwand aber in Nichts zusammen, da Hargrave zu stolz und erbittert war, um Gebrauch davon zu machen. –

Wenn man die Gesichtszüge der Bevölkerung des Westens mit denen der eingeborenen Indianer vergleicht, so wird ein aufmerksamer Beobachter unwillkürlich die Bemerkung machen müssen, daß hin und wieder eine sprechende Aehnlichkeit zwischen beiden stattfindet. Mancher stattliche Grenzbewohner mit seinem langen, straffen Haar und sonnengebräunten Teint würde ein treffliches Modell zu einem Uncas abgeben, wenn er mit Mocassins und Jagdhemde bekleidet wäre, und der wildscheue Blick mancher westlichen Mädchen erinnert an die Augen der indianischen Squaws. Ob der Einfluß des Klima’s oder Mischung des Bluts diese Aehnlichkeit hervorgebracht hat, ist schwer zu entscheiden; möglicher Weise haben beide Factoren eingewirkt. Ebenso wenig läßt sich leugnen, daß man oft in dem Charakter der Bewohner des Westens Züge findet, die sich genau dem des Indianers anpassen. Dieselbe natürliche Gutmüthigkeit, derselbe naturwüchsige Leichtsinn, aber auch die größte Verschlossenheit und unvertilgbare Rachsucht spiegeln sich in den Gemüthern beider. Gleichwie die Rothhaut oder der Corse Jahre lang ihren Groll und Haß unter der Maske der Gleichgültigkeit verstecken können, bis endlich der günstige Augenblick erscheint, um den Feind zu vernichten, ebenso besitzt mancher westliche Mann bei sonst vorzüglichen Eigenschaften die Kunst, seine bittersten Rachegefühle in den dichtesten Schleier zu hüllen, bis endlich die Stunde der Vergeltung schlägt. Der Amerikaner unterscheidet sich eben dadurch von dem Deutschen, daß er eine unbedeutende Beleidigung nicht hoch anschlägt und nicht Jahre lang grollend nachträgt, aber wo es ihm an das Mark des Lebens geht, macht er keine Faust in der Tasche, sondern sucht den geeigneten Zeitpunkt zur Action.

Diese allgemeinen Bemerkungen müssen wir vorausschicken, um dem deutschen Leser einigermaßen ein psychologisches Bild Francis Hargrave’s zu verschaffen. Niemand konnte ihm ansehen, wie sehr es in seinem Innern kochte, hin und wieder zeigte er sogar eine krankhafte Heiterkeit, welche seine Freunde in Erstaunen setzte. Von Cox und dessen Frau durfte man ihm nicht sprechen; selbst als sein kleiner Knabe, den er doch über Alles liebte, starb, bat er um stille Theilnahme, weil er absolut von der Vergangenheit Nichts mehr wissen wollte. Man redete ihm zu, sich wieder auf eigene Hand zu etabliren und seine Clerksstelle aufzugeben, indem man ihm Geldmittel und neuen Credit anbot. Indessen alle diese gut gemeinten Vorschläge lehnte er höflich ab, da er, wie er sagte, doch später nach Californien gehen wollte, wenn es ihm erst gelungen wäre, noch einige alte Außenstände zu collectiren. Außerdem meinte er, daß die Stadt L. der frühern Vorgänge wegen doch kein angenehmer Aufenthalt für ihn sein könnte; sollte er sich einmal wieder etabliren, so würde das in Californien geschehen, wo Niemand ihn kennen und alte Erinnerungen wieder hervorsuchen werde.

Nichts konnte den Eifer übertreffen, mit welchem Hargrave den verborgenen Ursachen seines Mißgeschickes im Geheimen nachspürte. Wer den so anscheinend ruhigen Mann beobachtet hätte, wie er vor der Sägemühle stehend die einzelnen Blöcke des Mahagony- und Wallnußholzes, welche zu Fournieren verschnitten werden sollten, in seiner Brieftafel notirte, wäre gewiß nicht auf den Gedanken gekommen, daß hinter diesem gleichgültigen Gesichte ein böser Dämon lauerte. Leicht begreiflicher Weise sah Francis ein, daß man bei seinem so erschreckend schnell eingetretenen Falle ganz ungewöhnliche Hebel angesetzt hatte; diese bemühte er sich zu erforschen. Er wußte ja aus Erfahrung, daß viele Geschäftsleute, welche lange nicht so gut standen, als er, in viel größerer Bedrängniß den Sturm ausgewettert hatten, ohne dem Sherif anheimzufallen. Jedenfalls war ihm die plötzliche Creditentziehung im Osten, die Weigerung der New-Yorker und Philadelphiaer Kaufleute seine Noten zu verlängern, während er doch sonst immer ein prompter Zahler gewesen war, außerordentlich auffallend. Dieses Verfahren der Importeure, die sonst guten Kunden gern den Credit verlängern, war in seinem Falle so außergewöhnlich, daß es ihm vor allen Dingen nothwendig schien, in dieser Beziehung klar zu sehen. Da er aber Motive hatte, seine Nachforschungen vor aller Welt geheim zu halten, so war er lange Zeit über die Mittel unschlüssig, bis ihm der Zufall zu Hülfe kam.

Eines Tages, als er in die Stadt gefahren war, um die Bankgeschäfte für seine Firma zu besorgen, traf er an der ...straße, wo sich das ganze Geldgeschäft concentrirt, Sharp und Cox im eifrigen Gespräche stehend. Um mit den ihm so verhaßten Männern nicht zusammenzutreffen, trat er in ein benachbartes Kaffeehaus, ließ sich ein Glas Sodawasser geben und näherte sich dem Fenster, um seine Feinde besser beobachten zu können. Es dauerte nicht lange, so trennten sich Beide händeschüttelnd, und Cox trat in ein gegenüberliegendes Local, über welchem in großen goldenen Lettern die Worte: Douglas and Co., Agency, prangten. Ein Blitz des Verständnisses durchzuckte sein Gehirn; schnell schritt er in schräger Richtung über die Straße, kehrte um, ging dann langsam an den großen Spiegelfenstern der Agentur vorüber und warf einen scharfen, durchdringenden Blick in das Innere. Er hatte sich nicht getäuscht, da er Cox nicht außerhalb des Gitters, wo die gewöhnlichen anfragenden Kunden stehen, sondern innerhalb desselben an einem Schreibtisch beschäftigt sah, wo derselbe anscheinend einige Papiere ordnete. Bis dahin hatte er als Geschäftsmann wohl die Existenz der geheimen Agentur gekannt, sich ihrer aber aus einem gewissen Mißtrauen nie bedient, viel weniger hatte er je geahnt, daß Douglas und Co. einen so verderblichen Einfluß auf sein Schicksal haben würden. Jetzt hatte er die Spur gefunden, und wie ein Indianer, wenn er einmal des Feindes Fußstapfen entdeckt hat, diese Hunderte von Meilen weit verfolgt, so war er jetzt entschlossen, dieselbe wie ein Bluthund zu betreten. Die menschliche, civilisirte Natur trat nach und nach bei ihm zurück, und das wilde Thier kam zum Vorschein. Was bot ihm auch das Leben für Reize, nachdem er Frau, Kind, kaufmännischen Ruf und Alles, woran er früher hing, verloren hatte? Der einzige Gedanke, der ihn beseelte, war Rache, blutige Rache, aber er sah ein, daß, wenn er dieselbe erfolgreich durchführen wollte, er sie in das Geheimniß der Nacht verschließen mußte. –

Von da an sehen wir ihn unablässig bemüht, correcte Beweise über die Mittel, welche Cox zu seinem Sturze angewandt hatte, in seine Hände zu bekommen. Sharp’s Mitwirkung ahnte er wohl, indessen gab er es auf, diesen Landhaifisch[1] zu verfolgen, als er erfuhr, daß derselbe unheilbar an der Schwindsucht daniederliege, in Folge seiner heimlichen Libationen. Sharp nämlich, obgleich eines der hervorragenden Mitglieder der Temperanzgesellschaft, hatte sich dem stillen Trunke ergeben; so konnte es denn nicht fehlen, daß der kill me quick[2]-Whisky den Keim der schlummernden Krankheit rasch zur Blüthe trieb. Cox und seine Frau aber schienen in jeder Beziehung zu gedeihen und machten ein großes Haus, obgleich die Besserdenkenden sich von ihnen zurückzogen. Der frühere

  1. Landhaifisch ist: betrügerischer Advocat.
  2. kill me quick, tödte mich schnell, Spottname für schlechten Branntwein.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 647. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_647.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)