Seite:Die Gartenlaube (1862) 649.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Da der Knabe keine nähere Beschreibung des Fremden liefern konnte, war es unmöglich, auf diesen in der Stadt zu fahnden, indessen die Worte der sterbenden Mrs. Cox, daß Francis Hargrave der Thäter sei, brachten die Polizisten bald auf die Spur. Da ziemlich sicher anzunehmen war, daß derselbe im Fall der Schuld unmittelbar nach der Katastrophe L. verlassen habe, so sandte man einen gewandten Beamten nach New-York, weil es bekannt war, daß er sich von dort hatte nach Californien einschiffen wollen, um daselbst die Spur aufzusuchen. Der Beamte erfuhr auch bald genug, daß Hargrave sich als Passagier habe auf dem North-Star einschreiben lassen, aber am Tage der Abfahrt ausgeblieben sei und somit die bezahlte Hälfte des Passagiergeldes verloren habe, ein Umstand, der deutlich bewies, daß die prätendirte Reise nach St. Francisco nur auf Täuschung berechnet war. Wohin er sich aber von New-York gewandt hatte, war unmöglich zu erfahren; jedenfalls mußte er in den vier Wochen, welche zwischen der simulirten Einschiffung und dem Doppelmorde lagen, in den Staaten verweilt haben. Da kam dem Spürsinn der Polizisten, als sie eben die Fährte zu verlieren fürchteten, eine neue Thatsache zu Hülfe. Aus einer westlichen Stadt am obern Mississippi meldete ein Schlosser, daß einige Zeit vor Weihnachten ein Fremder in der Tracht eines Grenzfarmers zu ihm gekommen sei, um eine solche Bombe zu bestellen; auf seine Frage, was er damit wolle, habe er geantwortet, nahe bei seiner Farm sei ein großes Raubthier, was ihm schon viel Schaden angerichtet habe, dieses wolle er damit tödten; auch die Einrichtung mit dem Pistolenlauf habe er ihm angegeben. Die Beschreibung der Person stimmte mit der Hargrave’s überein; nur die Kleidung paßte nicht, indessen letzterer Umstand war unwesentlich. Wie es aber dem Verbrecher gelungen war, unerkannt nach L. zu kommen, wo ihn doch Jedermann kannte, ist bis heute noch nicht aufgeklärt, da weder die Conducteure der Eisenbahnzüge noch die Clerks der Dampfer, welche an jenem Unglückstage in L. ankamen, ihn gesehen haben wollten. Endlich brachte man in Erfahrung, daß Hargrave hinten in Iowa am Des Moinesflusse nicht weit vom Spirit-Lake (Geistersee) weitläufige Verwandte habe, und so machte sich einer der gewandtesten Beamten auf den Weg, um ihn vielleicht dort zu finden. Unterwegs requirirte er die Begleitung des ebengenannten Schlossers, um, falls Hargrave wirklich der Besteller der Orsinibombe war, denselben zu identificiren. Beide Männer erreichten den Ort ihrer Bestimmung bei Einbruch der Nacht und trafen ihn in dem Blockhause seiner Verwandten am Kaminfeuer sitzend. Der Polizist, ein entschlossener Mann, ging auf ihn zu, legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte: „Herr, Sie sind mein Gefangener.“ Hargrave, als er den ihm wohlbekannten Beamten und den Schlosser sah, streckte ruhig seine Hände aus, um sich die Schellen anlegen zu lassen, ohne ein Wort zu sagen. Als aber in diesem Augenblicke seine Vettern eintraten und Miene machten, Gewalt mit Gewalt zu vertreiben, denn mit diesen Grenzern ist nicht zu spaßen, sprach er kleinlaut: „Laßt gut sein, Jungens, mir geschieht schon recht; nichts gegen das Gesetz!“ Als die beiden stämmigen Hinterwäldler sahen, daß er sich schuldig fühlte, schüttelten sie ihm zum letzten Male die Hand und wandten sich thränenden Auges ab.

Acht Tage später finden wir Hargrave im Countygefängnisse zu L. wieder, seinem Urtheile entgegensehend. Da es nicht der Zweck dieser Zeilen ist, die amerikanische Criminaljustiz zu schildern, so wollen wir nur noch hinzufügen, daß er für den fast teuflisch ausgedachten Doppelmord seinen Lohn fand, indem er zum Strange verurtheilt wurde. Er ward von Vielen aufrichtig bedauert, und mit Recht ballte sich manche Faust gegen ein Institut, das, obwohl anscheinend geschaffen, Betrug und Schwindelei zu verhüten, erst recht jeder Schlechtigkeit Thür und Thor öffnete und dadurch die Existenz eines sonst braven Menschen zerschmetterte.

Wie groß die Macht der geheimen Agentur war, geht daraus hervor, daß die amerikanische Presse, welche doch Alles mehr als zu frei zu besprechen pflegt, ein absolutes Stillschweigen über Douglas und Co. beobachtete. Indessen sollen nach den letzten Nachrichten die Theilhaber der Firma, durch die öffentliche Meinung geängstigt, sich zurückgezogen und ihren Antheil an ebenso unternehmende als gewissenlose Leute verkauft haben. Hoffen wir aber, daß das amerikanische Volk, ebenso wie es jetzt ernstlich danach trachtet, die Sclaverei mit den größten Opfern abzuschaffen, auch diesen Schmutzfleck bald von sich abwaschen wird.




Aus den Zeiten der schweren Noth.
Nr. 7.0 Die Erstürmung des Grimmaischen Thores von Leipzig.
Von Ferd. Pflug.

Es war um die zehnte Vormittagsstunde am 19. October 1813, der Riesenkampf um Leipzig, das ungeheuere Drama der Völkerschlacht nahte seinem Ende. Mit dem Abend des 18. October waren die Franzosen auf den meisten Punkten bis dicht an die Stadt zurückgedrängt worden, und seit Mitternacht befanden sich die Reste ihres Heeres durch das Ranstädter Thor (zwischen der großen und kleinen Funkenburg gelegen) auf der Lützen-Naumburger Landstraße im vollen Abzuge begriffen. Bei Lützen hatte Napoleon am 2. Mai desselben Jahres den ersten großen Schlag in diesem Feldzuge ohne Gleichen geführt, nach Lützen zurück strebten jetzt die zerschlagenen Trümmer seiner Schaaren. Die beiden großen Marksteine des gewaltigsten Kriegszuges, welchen die neuere Geschichte kennt, dessen Ausgangs- und Entscheidungspunkt gleichsam, lagen so – ein seltsames Verhängniß – kaum einige Stunden auseinander.

Noch war indeß ein Nachlassen des schon seit dem frühesten Morgen wiederentbrannten Kampfes nicht wahrzunehmen; im Gegentheil, der Schlachtenlärm steigerte sich von Minute zu Minute. Es galt zur Krönung des großen Werks, Leipzig, den letzten Stützpunkt der feindlichen Macht, in die Gewalt der Verbündeten zu bringen, aber so kräftig der Angriff, so mannhaft erwies sich die Vertheidigung. Das 7., 8. und 11. französische Corps, wie Theile des 3., 5. und 6. Corps, zusammen noch über 30,000 Mann, waren von dem großen französischen Schlachtenkaiser bestimmt, die noch nach alter Art theilweis befestigte Stadt zur Deckung des Rückzugs seiner Armee gegen die herandrängenden Heere seiner Gegner auf’s Aeußerste zu behaupten, und in getreuer Erfüllung der ihnen zugefallenen Aufgabe machten sie diesen jeden Fußbreit Boden streitig. Eben erst war es den verbündeten Colonnen gelungen, die Vortruppen der feindlichen Abtheilungen bis zu den Thoren der Stadt selbst zurückzudrängen und sich im Angesicht der Letzteren zu vereinigen. In weitem Halbkreise um Leipzig, von dort, wo gegen Norden das Rosenthal mit seinen schattigen Waldpartien sich der Hallischen Vorstadt anschließt, bis wo im West die sich daselbst vereinigende Pleiße und Elster mit ihren zahlreichen Verbindungsgräben jedem Gewaltangriffe kaum zu bewältigende Hindernisse entgegensetzen, wallte von unzähligen Stellen der weißgraue Pulverdampf in schweren, langsam emporstrebenden Wolken auf, oder wirbelte dazwischen auch in leichten flockigen Wölkchen in die klare Morgenluft des freundlichen Herbsttages. Das nicht abreißende Krachen des Geschützes und das Knattern des Kleingewehrfeuers vereinigten sich mehr und mehr zu einem betäubenden, eine Unterscheidung der einzelnen Schläge nicht mehr zulassenden Donner.

Der härteste Streit schien augenblicklich im Norden zu wüthen, wo Blücher, der alte Marschall Vorwärts, mit den Russen unter Langeron das Halle’sche Thor bestürmte. Im Süden von Leipzig hatte die russische Reserve-Armee unter Benningsen die Führung der heranziehenden verbündeten Heersäulen übernommen. Sechzig vor der Front der Truppen des genannten Generals in Batterien aufgefahrene Zwölfpfünder versuchten die Mauer des Bose’schen Gartens zwischen dem Hospital- und Sandthor in Bresche zu legen, doch die Kugeln schlugen durch die dünnen Lehmwände zwar durch, ohne dieselben jedoch niederzuwerfen. Ein Angriff der zu diesem Corps gehörigen 13. russischen Division, bei welchem die derselben vorauseilenden Sappeurs ein Stück der Mauer wirklich einschlugen, scheiterte nichtsdestoweniger an der ausdauernden Tapferkeit der Vertheidiger. Parlamentaire flogen mittlerweile hin und wieder, eine Deputation der Stadt bat bei den verbündeten Monarchen um Schonung für dieselbe. Die russische Batterie mußte abfahren, das Corps selbst wandte sich mit halblinks gegen den Windmühlenschlag und das Petersthor. Oesterreicher unter General Bubna und das

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 649. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_649.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)