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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Zahn, Blut um Blut“. Am liebsten aber war sie außer dem Hause und trieb sich, wenn sie konnte, halbe Tage lang bei dem Schauerkreuz an der Eiche herum. Sie weinte nicht, dazu war sie zu hart geworden; sie betete nicht, denn wie die Menschen war der Himmel taub geblieben für all’ die Verwünschungen und Flüche, womit sie ihn bestürmt hatte – sie brütete, grollte und wühlte in sich hinein in den Untiefen ihres Jammers.

Eines Tages saß sie wieder auf der Fußbank des Betschemels und starrte in das frische Gras nieder, als könne sie nicht fassen, wie der Boden zu grünen vermöge, der Adrian’s reines Blut getrunken … da fuhr sie auf, denn es rauschte im Gebüsch und neben ihr stand Melcher, im Feiertagsgewand, Bündel und Stock in der Hand.

„Du bist’s?“ fragte sie. „Was willst von mir?“

„Abschied nehmen,“ erwiderte er, „der Bauer hat mich heut’ ausgezahlt – ich muß gehen … und Du wirst mich auch nicht halten …“

Sie lächelte höhnisch. „Ich hätt’ Dich wohl noch früher weiter geschickt,“ sagte sie, „wundert mich nur, daß der Bruder sich doch einmal das Herz dazu genommen hat!“

„Das Herz genommen? Wie ist das gemeint?“

„Weil Du ihn in der Hand hast, mein’ ich! … Er muß Dir viel gegeben haben, wenn Du ihm Schweigen versprochen hast?“

„Er hat mir nichts zu geben gebraucht; er weiß eh’, daß ich dem Bruder von Dir nichts zu Leid thu’, – daß ich Dich dazu viel zu gern hab’ …“

Annemarie lachte verächtlich auf und wandte ihm den Rücken; er ließ sich davon nicht abschrecken. „Solltest Dich doch besinnen,“ sagte er, „und einmal aufhören mit Deiner Kümmerniß … es ist schad’ um Dich …“

„Und den da war auch schad’,“ rief sie bitter, indem sie auf Adrian’s Todesstelle deutete. „Wer fragt jetzt darnach? Nicht einmal das Gericht thut seine Schuldigkeit … d’rum muß ich auf den Todten denken und sorgen, daß ihm sein Recht wird …“

„Und was hast davon?“

„Was ich davon hab’?“ rief sie hohl und vor sich hinstierend.

„Nichts! Den armen Adrian bringt’s nimmer in’s Leben … aber mir selber ist das Herz wie versteinert … Wenn ich den elenden Böswicht, der ihn erschossen hat, auch so liegen sehen thät … in seinem Blut, wie er gelegen ist … ich glaub’ dann wär’ mir wieder wohl … dann ging mir auch das Herz wieder auf …“

„Wie wild Du darein schaust,“ sagte Melcher, sie beinahe scheu betrachtend… „völlig zum Fürchten! … Aber wenn das geschehen thät’, was Du sagst … wenn’s dennoch Einen gäb’, der das ausführt, was dann?“

„Melcher!“ schrie sie aufspringend und faßte ihn hart an der Brust. „Was willst damit sagen? … Ich seh’ Dir’s am Gesicht an, Du weißt, wer den Adrian erschossen hat!“

„… Und wenn ich’s wüßt’?“

„Du weißt es – und hast es nit gesagt?“

„Weil ich’s nit sagen darf … aber ich weiß es, so gewiß als ich selber vor Dir steh’ …!“

„Ich will’s nit wissen, wer’s ist, Melcher!“ rief sie außer sich. „Behalt’s für Dich, aber wenn das geschieht, was ich gesagt hab’ … wenn Du das zu Stand bringst . .. dann komm und verlang’, was Du willst!“

„… Und wenn ich Dich selber verlang’? Wenn ich sagen that’ … komm und werd’ mein Weib?“

Annemarie’s Busen flog fieberisch; sie kämpfte eine Regung des Abscheus nieder. „Melcher,“ stieß sie fast athemlos hervor … „ich weiß nimmer, was das heißt, einen Menschen gern haben … es ist Dein und mein Unglück, Melcher, wenn Du das verlangst. … Aber wenn Du mich daher führen kannst, da auf diesen Platz, wo mein Adrian gelegen ist … wenn Du mir seinen Mörder zeigen kannst, daß er in seinem Blute daliegt, wie mein Adrian gelegen ist … dann … dann will ich Dein Weib werden, Melcher … so wahr unser Herr da über uns am Kreuz hängt …!“

„Es gilt,“ rief Melcher, „kannst einstweilen die Trauring’ bestellen!“ und verschwand im Gebüsch.

– Wenige Tage später hatte Annemarie Abends lange vergeblich auf die Rückkehr des Bruders gewartet. Noch spät war ein Forstknecht gekommen und hatte ihn hinaus in’s Holz gerufen, weil der Revierförster noch mit ihm über Anweisung des neuen Schlags sich besprechen wolle. Als er nicht kam, mußte ein Knecht in der Stube aufbleiben und ihn erwarten; sie selber ging in ihre Kammer, zündete den Wachsstock an und blätterte bei dem schwachen Schein in der alten Bibel … Die Worte „Aug’ um Aug’ und Blut um Blut“ fielen ihr immer wieder in’s Auge; sie schienen sich zu bewegen, größer zu werden und wie in rothem Scheine zu glänzen. Leises Pochen schreckte sie empor, und als sie aufsah, leuchteten Melcher’s Augen unheimlich durch die Scheiben. „Ich habe Wort gehalten, Mirl,“ rief er, „draußen am Schauerkreuz liegt, der den Adrian erschossen hat …“ Eine wilde Freude loderte in ihr auf, und doch packte sie zugleich ein kalter Schauder mit eisigen Klauen an; sie wollte hinaus und brach doch wie ohnmächtig neben dem Bette zusammen.

Wild durcheinander schreiende Stimmen und rother Fackelschein drangen in’s Gemach, als sie wieder zu sich kam. Es waren die Knechte des Hofs, die mit Fackeln auszogen. „Was ist’s denn?“ rief die eine Stimme, und eine andere erwiderte: „Mach’ nur, daß Du nachkommst – draußen am Schauerkreuz liegt schon wieder Einer erschossen …“ Der Lärm verhallte … Annemarie raffte sich auf und eilte in die Nacht hinaus dem finster empor ragenden Eichbaume zu. Jetzt stand sie neben dem Todten … er lag auf dem Betschemel, wie Adrian gelegen war … jetzt blickte sie in dessen Antlitz und taumelte wie vom Blitz getroffen zurück, als die entstellten Züge des Bruders ihr entgegen starrten. Sie hatte kein Wort, sie vergoß keine Thräne … sie war starr vor Entsetzen.

Mit dem Todten beschäftigt achtete Niemand auf sie; da schlich Melcher heran, der wieder wie am Martinstage zurückgezogen im Eichenschatten stand. „Ich hab’ Wort gehalten …“ flüsterte er, „Wie sieht’s aus? Wann soll die Hochzeit fein?“

„Melcher, Du lügst!“ erwiderte sie mit bebender Stimme …

„Du mußt lügen! Mein Bruder kann kein solches Ungeheuer gewesen sein …“

„Ich komme morgen zu Dir auf den Stürzerhof … Denkst noch an das Stück Zeug, das der Blinde gepackt hat? … Ich will Dir den Ort zeigen, wo der Sepp den Janker versteckt hat, den er angehabt hat … Du sollst selber sagen, ob er ihm nicht gehört und ob der Fetzen nicht dazu paßt … “

„Dann ist er ein Teufel gewesen,“ sagte sie mit dämonisch funkelnden Augen … „dann ist ihm sein Recht geschehn! Blut um Blut – ich hab’s geschworen, Melcher … da hast meine Hand, ich halt’ mein Wort!“




3.


Auf dem Freithofe der Kirche, zu welcher der Stürzerhof eingepfarrt war, hatte schon langes Gras die frischen Gräber überwachsen, der Löwenzahn wiegte ungestört seine goldenen Blumen, und der Flieder breitete die schwarzen Beeren-Dolden über die hohe verbröckelnde Mauer, die den Ort der Ruhe umgiebt. Wenige Schritte von der niedrigen, rothangestrichenen Eingangsthüre und neben dem eisernen Gitter, das am Boden hohl liegend angebracht ist, stand auf niedrigem Sandsteinsockel ein schweres eisernes Kreuz mir vergoldeten Enden, allerlei Zierrathen und Blumenwerk, in der Mitte ein kleines Gemälde, auf welchem der „ehr und tugendsame Jüngling Joseph Stürzer“ knieend und mit dem Rosenkranz in den gefalteten Händen abgebildet war, über dem Kopfe ein rothes Kreuz, anzeigend, daß er gewaltsamen Todes gestorben. Rings herum waren die Gräber der eingeborenen Geschlechter der Bauern und Söldner, wie sie seit vielen Jahrzehnten sich auf den Gütern erhalten und fortgepflanzt hatten.

Weit davon entfernt, hinter der Kirche und an einem fast abgelegenen Orte war Adrian’s Grab. Die fremden Ueberrheiner hatten noch wenige der Ihrigen begraben und mußten mit dem Winkel vorlieb nehmen, dessen die Eingeborenen nicht bedurften, unfern der Abtheilung, die für die totgeborenen und ungetauften Kinder bestimmt ist. Dort verkündete eine hölzerne Tafel an der Wand, daß der Hügel zu ihren Füßen sich über dem armen Pfälzer-Jüngling wölbte. Alle Grabkreuze des Friedhofs aber sahen vernachlässigt gegen diese Tafel aus, und während an Einzelnen darunter nur noch ein dürrer und vergilbter Kranz hing, der vom Allerseelentage herstammte und der Auswechslung bei der Wiederkehr des Festes entgegensah, war um dieselbe ein Gewinde von grünem Buchs gezogen, und aus dem Hügelgrase blickte ein frischer Kranz von rothen und blauen Kornblumen mit Eichenlaub durchflochten.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 659. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_659.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)