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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Fanny Lewald.

Es ist schön zu sehen, daß einem Menschen, der
mit festem Willen und reiner Ueberzeugung seinen
eigenen Weg geht, eben fast Alles möglich ist.
 Fanny Lewald, England und Schottland.
 I. Band, Seite 523.


Als ich, um die folgende Skizze zu schreiben, die Werke Fanny Lewald’s wieder einmal durchblätterte, traf ich zufällig auch auf die Stelle, welche ich oben ausgeschrieben habe, und indem ich sie las, sagte ich zu mir: das paßt wahrlich auf Niemand in der Welt besser, als auf Fanny Lewald selbst. In der That, wenn man den Lebenslauf der Dichterin zurückgeht, wie sie aus der quetschenden Enge des Familienlebens sich heraushebt zu umfassendster Bildung, zu hoher moralischer und intellectueller Freiheit, schließlich zu einer glücklichen socialen Stellung, in welcher ihr schönes Talent sich auf’s Reichste entfalten und die herrlichsten Früchte zeitigen konnte, und man nun der Empfindung, die ein so siegreicher Kampf gegen Vorurtheile der verschiedensten Art in dem Gemüth des Betrachtenden hervorruft, Ausdruck geben will, so muß man sagen: „Es ist schön zu sehen, daß einem Menschen, der mit festem Willen und reiner Ueberzeugung seinen eigenen Weg geht, eben fast Alles möglich ist.“

Fanny Lewald hat ihr Leben bis zu dem Punkte, wo ihre Schriftstellerlaufbahn eigentlich beginnt, selbst beschrieben, und da es hier nur meine Aufgabe sein kann, zu dem wohlgelungenen Portrait der Dichterin, das dieses Blatt schmückt, ein Bild ihrer geistigen Individualität und ihres künstlerischen Wirkens zu entwerfen, so muß ich den Leser auf diese Autobiographie verweisen und thue das mit um so besserem Gewissen, als das Buch eins der anmuthigsten, interessantesten und lehrreichsten ist, die unsere Memoiren-Literatur aufzuweisen hat. Nur ein paar Momente will ich hervorheben, die mir von bestimmender Wichtigkeit für die Artung, Entwickelung und definitive Gestaltung ihres Wesens zu sein scheinen. Fanny Lewald ist im Jahre 1811 von jüdischen Eltern in Königsberg geboren, als das älteste einer zahlreichen Kinderschaar, die sie heraufwachsen sah und zum Theil selbst mit erziehen half, um so mehr als die Vermögensverhältnisse der Familie niemals über eine aurea mediocritas (goldene Mittelmäßigkeit) hinausgingen, sodaß die energische Mithülfe der erwachseneren Kinder in dem großen Hausstande nicht wohl zu entrathen war.

In der That ist es mir mehr als wahrscheinlich, daß Fanny Lewald alle Ursache hat, sich zu ihrer Geburt in der Stadt, in welcher die „Kritik der reinen Vernunft“ geschrieben wurde, Glück zu wünschen. Zwar war der geistige Aufschwung, wie er zur Zeit der achtziger und neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts eben durch Kant und jene andern ausgezeichneten Männer, von denen ich nur Hippel und Hamann nennen will, dort stattgehabt hatte, nicht auf seiner Höhe geblieben; aber die Wirkungen dieser glänzenden Epoche waren für Königsberg doch keineswegs verloren gegangen, und Fanny Lewald hat die mit politischen und philosophisch-religiösen Bildungselementen reichlich gesättigte geistige Strömung in einem Alter jugendlich leidenschaftlicher Receptivität auf sich wirken lassen können und auf sich wirken lassen. Der Kopf, von dem der alte Dinter einst in der Schulstube sagte, daß „er besser auf dem Körper eines Knaben gesessen hätte,“ konnte nicht wohl anders, als an der Gedankenarbeit der Männer Theil nehmen, „wenn um die Kräfte, die des Menschen Brust so freundlich und so fürchterlich bewegen, mit Grazie die Rednerlippe spielt,“ und das Glück wollte, daß außer einem höchst intelligenten Vater und strebsamen Brüdern Männer

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 661. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_661.jpg&oldid=- (Version vom 12.10.2020)