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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

wie Ludwig Crelinger, Johann Jakoby, Heinrich Simon von Breslau direct oder indirect Einfluß auf ihre Bildung übten. Heinrich Simon war ihr Vetter, und das junge Mädchen hegte Jahre lang eine leidenschaftliche Liebe zu diesem herrlichen Menschen, der, wenn Einer, des Vaterlandes Wohl und Weh in treuem Herzen trug.

Mit dem aber, was man liebt, ist man schon von Natur ähnlich, oder wird ihm ähnlich; eine Frau kann in einem Patrioten nicht ihr Ideal sehen, ohne selbst eine Patriotin zu werden. Und das ist Fanny Lewald. Sie ist nicht blos weit über das gewöhnliche Maß der Frauen hinaus (was am Ende nicht so viel sagen will) mit dem praktisch-politischen Sinn begabt, sondern auch vor sehr vielen Männern, die sich mit Emphase als Politiker von Fach bezeichnen. Gewisse Axiome, welche auch sonst leidlich gute Köpfe bis an ihr Lebensende nicht begreifen können, scheinen a priori in dem Verstande dieser Frau zu liegen. Schon in ihren ersten Büchern spricht sie mit einer Entschiedenheit, welche eine Folge innigster Ueberzeugung ist, von der Nothwendigkeit socialer Reformen, die mit den politischen Hand in Hand gehen müssen. Es ist ihr von vornherein wie ein mathematischer Grundsatz, der nicht weiter bewiesen zu werden braucht, klar, daß die Freiheit nicht in Hütten blühen kann, in denen Schmutz und Elend hausen. Und wie trifft sie in ihren politischen Apercus den Nagel auf den Kopf! Am 22. März 1848, vier Tage nach der Berliner Revolution, in dem Augenblicke, wo die ersten bestimmten Nachrichten nach Paris gelangten, schreibt sie von dort: „Es giebt gewisse Dinge, welche Volk und König einander nie verzeihen, nie vergessen können. Eine wirkliche Aussöhnung zwischen unserem mittelalterlich-romantischen Könige und der Idee der Volksfreiheit ist so unmöglich, wie die Herstellung einer innerlich zerstörten Ehe. Ein Volk soll aber kein Scheindasein führen.“ Und als sie Anfang April desselben Jahres, als der Vertrauensrausch noch so ziemlich alle Köpfe umnebelt hielt, nach Berlin zurückkehrte, fällt ihr der Mangel an Freudigkeit, der fehlende Schwung des Enthusiasmus, den sie überall wahrnimmt, schwer auf’s Herz. „Weder ein Volksgesang, wie das: Mourir pour la patrie! noch ein Zuruf, wie das jubelnde: Vive la république! Wir haben keinen deutschen Volksgesang, und: es lebe der überwundene Absolutismus! (denn weiter halten wir ja noch nicht) kann man eben nicht rufen.“ Ist es nicht prachtvoll, dies Wort von dem überwundenen Absolutismus, den man doch am Ende nicht leben lassen kann? Man sollte es allen Gothanern damaliger und jetziger Zeit in’s Stammbuch schreiben!

Ich habe es oben der Dichterin für einen glücklichen Zufall angerechnet, daß sie in Königsberg eine politisch nicht ganz stagnirende Luft athmen durfte, und ich hätte nicht übel Lust, ihr zu gratuliren, daß sie im Schooße einer jüdischen Familie geboren wurde. Jedenfalls hat sie so die Freiheitsliebe oder, negativ ausgedrückt, den Haß gegen alles Vorurtheil, gegen alle Unterdrückung und Knechtschaft mit der Muttermilch eingesogen. Wenn nun schon in Fanny’s elterlichem Hause in Sitten und Gebräuchen wenig mehr von dem specifischen Judenthume zu merken war, wenn schon der aufgeklärte Vater auf dem Standpunkt des weisen Nathan, d. h. über dem der geoffenbarten Religion, stand und seine Söhne und hernach auch die Tochter zum Christenthume übertreten ließ und damit dem Vorurtheil eine Concession machte, die nicht auf seine Rechnung, sondern auf Rechnung des brutalen Vorurtheils kommt, – so konnte es doch nicht ausbleiben, daß das lebhafte Gefühl des scharfsinnigen Kindes oft und oft durch den Christenhochmuth beleidigt wurde. An dem Judenstolz nun entzündete sich in Fanny Lewald der Menschenstolz, dieser Kampf für die Judenrechte war nur ein Vorspiel des Kampfes für die Menschenrechte, den sie ihr Leben lang geführt hat. Jeder Mensch ist mehr oder weniger ein gutmüthiger Collatinus, der erst von der brutalen Gewalt in seinen heiligsten Interessen geschändet werden muß, bevor er zum echten und rechten Tyrannenhasser und Republikaner wird.

So sehen wir denn auch Fanny Lewald überall auf der Seite der Unterdrückten und Mißhandelten, überall als Sachwalterin der Vernunft und des Rechtes contra Aberwitz, Dummheit und Compagnie. Wie sie in ihrem ersten größeren Romane, der „Jenny“, in welcher noch das Gefühl von Ungerechtigkeiten, die sie aus erster Hand erfahren hatte, nachzitterte, mit jener Ueberzeugung, die Ueberzeugung weckt, für die Emancipation der Juden plaidirte, so führt sie in ihren späteren Schriften die einmal aufgenommene Sache der Freiheit in allen ihren Instanzen durch, so kämpft sie für die Emancipation der Völker, für die Emancipation der Frauen, für die Emancipation jedes Individuums von dem angestammten Joche seines beschränkten Unterthanenverstandes, seines Kleinmuthes, seiner Halbheit. Und hier ist ein anderes Moment in Fanny Lewald’s geistiger Entwickelung, für das sie ebenfalls ihrer jüdischen Abstammung dankbar sein mag.

Fanny Lewald hat sich eigentlich in keinem Augenblicke ihres Lebens, zum wenigsten von der Zeit an, wo sie die Illusionen der kindischen Phantasie verloren hatte, von der Fessel eines religiösen Dogma in ihrem Denken beschränkt gefühlt. Ihr Vater, der nach Allem, was die dankbare Tochter in ihrer „Lebensgeschichte“ von ihm erzählt, einer der klarsten Köpfe war, die auf Menschenschultern sitzen können, gehörte zu den seltenen Sterblichen, denen es „genügt, ein Mensch zu sein,“ und in diesem Sinne hatte er seine Kinder erzogen. Er hatte sie erzogen in der Wahrheit, welche die Leute ärgert, weil sie so einfach ist, in der Wahrheit: „daß alle Länder gute Menschen tragen,“ daß der Mensch auf Erden schlechterdings keine andere Aufgabe hat, als seine Pflicht zu thun, und daß diese Pflicht im Wohlthun, in vorurtheilsfreier, thätiger Liebe, in herzlicher Verträglichkeit besteht und daß das „Herr-Herr-sagen“ im allerbesten Falle zur Gottseligkeit gewiß nichts beitrage. Diese von allem Dogmenwust gereinigte, echt menschliche Erziehung war das natürliche Element für ein Kind, das, im schönsten Sinne des Wortes, Kopf und Herz auf dem rechten Fleck hatte. Wie gut die väterliche Erziehung, die doch schließlich nur in der Kunst des guten Arztes, die gesunde Natur sich selbst helfen zu lassen, bestand, bei der kleinen Fanny angeschlagen hatte, davon giebt eine charakteristische Anekdote aus der ersten Zeit ihres Schullebens ein ergötzliches Beispiel. Ihr Religionslehrer – der nebenbei Niemand Geringeres war, als der Prediger Epel, welcher hernach im Muckerproceß eine so hervorragende Rolle spielte – hatte den Kindern die famose Geschichte von der Schlange im Paradiese – der bekannten Großmutter der Erbsünde – erzählt. Da sagte die achtjährige Fanny, während die Andern in entzücktem Schweigen der Wundermähr lauschten, mitten in der Stille der Stunde ganz laut: „das glaube ich nicht, Schlangen können nicht sprechen.“ Der verblüffte Theologe sah die kleine Philosophin an und fragte, wer ihr das gesagt habe. Sie versetzte, das hätte ihr Niemand gesagt, das wisse sie von selbst, kein Thier könne sprechen. „Gewiß nicht!“ bedeutete Epel, „wenn Gott es ihm nicht giebt!“ –

„Ich verstummte,“ fährt die Erzählerin fort. „Das war auch gewiß Alles, was Epel in dem Augenblicke beabsichtigt hatte, aber meine Zweifel waren nicht beschwichtigt, und irgend ein Wunder geglaubt zu haben, kann ich mich überhaupt nicht erinnern.“

Diese Unfähigkeit, den gesunden Menschenverstand, es sei, um was es sei, zu verleugnen, mußte die arme Fanny schwer büßen, als nach dem Wunsche ihres Vaters die Reihe an sie kam, sich taufen zu lassen. Sie hat in ihrer „Jenny“ den Kampf, in welchen bei dieser Gelegenheit ihr besseres Wissen oder, wenn man will, ihr Instinct des Wahren mit dem Vorurtheil gerieth, in ergreifender Weise poetisch verklärt.[1] – Fanny Lewald ist sich verhältnißmäßig erst spät ihres dichterischen Berufes bewußt geworden. Als „Clementine“, ihre erste Novelle, erschien, war sie bereits einunddreißig Jahre, stand also in einem Alter, in welchem schon oft bei andern Poeten der allzufrüh erworbene Lorbeer bereits zu welken begann. Daß sie so mit der Vollkraft gereiften Denkens und mit einem reichen Schatz innerer Erlebnisse in die Arena trat, ist für sie in jeder Beziehung vortheilhaft gewesen. Sie hat diesem Umstände zu verdanken, daß sie jetzt nicht, wie so mancher Andere, auf eine Reihe mehr oder weniger verfehlter Versuche zurückzublicken hat; zu verdanken, daß sie sich mit ihren ersten Werken, denen Niemand das leidige „Erstlingthum“ ansehen konnte, sofort einen ehrenvollen Platz in der Literatur eroberte; zu verdanken, daß ihr Talent, welches sich in aller Stille, langsam, stätig, naturgemäß entwickeln durfte, nun auch desto fleißiger Früchte um Früchte in üppiger Fülle trug.

Freilich hatte sich nun auch mittlerweile der Horizont ihrer Anschauungen mächtig erweitert. Von dem richtigen Gefühl geleitet, daß sie der kleinen Welt, die sie brütend in ihrem Gehirne hielt,

ein Gegengewicht und Supplement in der Kenntniß der großen

  1. Ich verweise den Leser auf das Buch, wie ich denn überall bei der Gedrängtheit dieser Skizze, zu welcher mich der gedrängte Raum des Blattes zwingt, die Bekanntschaft, resp. Erneuerung der Bekanntschaft mit den Werken der Dichterin zur Voraussetzung nehme.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 662. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_662.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)