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Seele“ – nur freudig und stolz schauen mag, in sich Alles vereinend, was das deutsche Herz am glühendsten begeistert: Jugend und Schönheit, Liebe und Treue, Dichtergeist und Heldenmuth.

Wenn unseres gewaltigsten Kaisers Herrscherleben sich als ein welterschütterndes Drama auf Deutschlands Schicksalsbühne abrollt, so bildet in ihm des blonden Königs Enzio Heldenlauf ein rasch abschließendes Zwischenspiel, das uns um so tiefer bewegt, je mehr wir für seinen kaiserlichen Vater und dessen Riesenkämpfe, für der Hohenstaufen Glanz und Blüthe, für des Reiches Macht und Ruhm mit ihm, dem so hochbegabten und im blutigen Ernst des Lebens so früh bewährten Jüngling, zu Grunde gehen sehen. Aber wie vorübergehend auch das Aufleuchten seines erhabenen Geistes für die deutsche Geschichte erscheinen mag, immer bleibt er in Deutschlands Heldenhalle ein unvergänglicher Schmuck, und darum soll er dem deutschen Volke der Gegenwart, das in seiner Geschichte keinen Ueberfluß an herzerhebenden Fürstenbildern hat, wieder näher vor das Auge treten.

Unsere Freunde müssen uns jedoch gestatten, sie heute nicht zuerst vor den glückstrahlenden, kämpfenden und siegenden Jüngling Enzio zu führen, sondern zu dem leidenden, zu dem „gefangenen König“, der mit den Reichthümern seines Herzens und seines Geistes den öden Kerker schmückt, der Blumen aus den Kerkermauern zaubert. König Enzio’s letzter Tag der Freiheit war der 26. Mai 1249. Der offene Krieg zwischen Kaiser und Papst wüthete in Italien. Bald im Nord, bald im Süd erhob die vom heiligen Vater genährte Rebellion ihr Haupt. Eben rief die Noth seiner Getreuen den Kaiser nach Neapel. Er eilte dorthin, seinem Enzio die Heerführung gegen die empörten Städte Norditaliens vertrauend. Stadt kämpfte dort gegen Stadt, nach alter italienischer Unsitte; unter der Geißel der Eifersucht ehr- und habsüchtiger Geschlechter war dort die Vaterlandsliebe wie die Bürgertreue erstickt worden. In einem solchen Kampfe stand Bologna, das dem Papste anhing, gegen Modena, das kaiserlich gesinnt war, und zu dem Kampf beider führt uns der Verfasser des nachstehenden Artikels. Enzio’s glück- und ruhmgeschmücktes Leben bis zu dem Unglückstage an der Fossalta, mit dem sein langes Leiden, die andere Hälfte seines Lebens, beginnt, soll ein zweiter Artikel unseren Lesern vorführen.




Die beiden Nachbarrepubliken Bologna und Modena hegten schon längst bitteren Haß gegen einander, und während Friedrich in Neapel verweilte und Enzio mit der Belagerung Parma’s und einiger Schlösser beschäftigt war, zog Filippo Ugone, der Podesta von Bologna, ein muthiger und erfahrener Kriegsmann, mit einem starken Heere von Bolognesen und Verbündeten bis in die Nähe von Modena. Die Bewohner dieser Stadt schickten schnell zu Enzio und riefen ihn dringend zu ihrer Hülfe herbei. Schnell nahm er, was er von Truppen zusammenraffen konnte, zog in Eilmärschen nach Modena, gönnte den abgemüdeten Menschen und Pferden keine Rast und eilte, in Verbindung mit den modenesischen Truppen, noch am nämlichen Tage weiter, um die Feinde desto sicherer zu überraschen. Als er bis zu dem wilden Waldbach Fossalta kam, welcher in die Scultenna fließt, und sah, daß die Feinde auf dem rechten Ufer der Scultenna in ihrer festen Stellung sich hielten, so beschloß er, mit einem Theile seiner Mannschaft durch eine seitwärts gelegene Fuhrt unbemerkt über die Scultenna zu gehen und den Feinden in den Rücken zu fallen. Aber Filippo Ugone, von seinem Plane unterrichtet, empfing ihn mit großer Ueberzahl, so daß Enzio nach mehrstündigem Kampfe sich über den Fluß zurückziehen mußte, worauf beide Heere ihre alten Stellungen wieder einnahmen. Dieser Rückzug, wenn auch nach dem muthigsten Kampfe erst begonnen und mit der größten Ordnung ausgeführt, entmuthigte auf der einen Seite ebenso sehr, als er auf der anderen ermuthigte. Auch stieß zu den Bolognesen noch am Abend ihr tapferer Mitbürger Antonio Lambertacci mit 2000 auserlesenen Streitern und brachte den Befehl des Rathes mit, daß sie am andern Morgen, dem Tage ihres Schutzpatrons, des heiligen Augustin, am 26. Mai (1249) den Feind angreifen sollten. An diesem Tage stellte Ugone sein Heer in drei Schlachthaufen mit der Bestimmung, daß der dritte als Nachhut den Bedrängten überall zu Hülfe eilen solle. Ebenso stellte Enzio die Deutschen als besonderen Heerhaufen und den Kern der Italiener als zweiten in die Front und die Modenesen in die Reserve. Als die Bolognesen angriffen, warf sich ihnen Enzio mit seinen Deutschen, welche den gestrigen Rückzug wieder gut machen wollten, rasch entgegen, und bald tobte der Kampf auf allen Seiten. Doch war es weniger eine regelmäßige Schlacht, als eine Menge von Einzelgefechten, in denen beide Theile mit der größten Tapferkeit kämpften. Enzio, unter allen Rittern als der tapferste ausgezeichnet und durch seinen weißen, mit goldenen Adlern durchwirkten Mantel noch besonders kenntlich, suchte stets die edelsten und kühnsten Streiter auf. Man kämpfte bis gegen Abend, und noch hatte kein Theil entscheidende Vortheile errungen. Da traf Enzio auf Antonio Lambertacci, ließ sich mit ihm in einen Zweikampf ein, sein Pferd, von Antonio verwundet, stürzt, und Enzio fällt zu Boden. Rasch wollen ihn die Feinde ergreifen, aber die Deutschen werfen sich wie gereizte Löwen auf sie, theilen kräftige Hiebe aus, befreien den König, und auf’s Neue durchfliegt dieser auf einem andern Rosse die Reihen seines Heeres, um den schlimmen Eindruck, den sein Fall verursacht, durch sein persönliches Erscheinen zu verwischen. Aber es war schon zu spät. Die Modenesen hatten indessen nur mit Mühe der andrängenden Bolognesen sich erwehren können, warfen sich, auf die erste Nachricht von Enzio’s Sturz, in die Flucht und brachten dadurch das ganze Heer in Verwirrung. Enzio that, was er konnte, suchte die Fliehenden zum Stehen zu bringen, aber umsonst. Die meisten Welschen flohen unaufhaltsam, die tapfersten Deutschen lagen erschlagen, zu allem Unglück brach noch die Nacht herein, an einen geregelten Rückzug war nicht mehr zu denken, die Verfolger stürmten von allen Seiten auf die einzelnen kleinen Haufen, das Terrain war von tiefen Gräben und von Wald durchschnitten, kein Mensch kannte Weg und Steg, und Enzio, der Letzte auf dem Wahlplatze, sah sich plötzlich nebst 200 Anderen von einer ungeheueren Ueberzahl umringt und wurde gefangen. Der Jubel im Lager der Bolognesen war unbeschreiblich. Sogleich wurde Antonio Lambertacci an den Rath von Bologna geschickt, um weitere Verhaltungsbefehle einzuholen, und sämmtliche Gefangene einstweilen unter starker Bedeckung in das feste Castello Franco gebracht, das zwischen Modena und Bologna liegt.

Die Bevölkerung von Bologna brannte vor Begierde, den gefangenen König zu sehen, und bestürmte den Rath mit Bitten und Drohungen, den Befehl zu geben, daß man ihn sogleich in die Stadt bringen solle. Diese stolzen Republikaner konnten den Augenblick nicht erwarten, wo sie den Genuß haben sollten, eine königliche Majestät zu ihren Füßen zu sehen. Von allen verbündeten Städten kamen Gesandtschaften, um der siegreichen Schwesterrepublik Glück zu wünschen. Endlich kam die ersehnte Stunde. Bologna hatte nie einen Festtag glänzender gefeiert. Alle Kirchen, alle Staatsgebäude und Herbergen waren geschlossen; was man an öffentlichen und Privatschätzen Kostbares und Prachtvolles hatte, wurde zur Schau gestellt, alle Straßen und Häuser mit Blumen, Gemälden und Teppichen geschmückt. Alle Fenster und Dächer waren mit erwartungsvollen Zuschauern und Zuschauerinnen besetzt, die Straße dicht gefüllt von den Bürgern Bologna’s und den in Masse herbeiströmenden Nachbarn. Ein lautes Freudengeschrei sagte den entfernter Wohnenden, daß die Spitze des Zuges das Thor der Stadt betreten habe. Zuerst kamen Pfeifer und Posaunenbläser, kriegerische Weisen spielend, dann Reiter und Fußvolk mit Eichenkränzen geschmückt, hierauf wurde der erbeutete Reichsadler, mit umgekehrtem Speer, und der königliche Schatz, aus goldenen und silbernen Gefäßen bestehend, hergetragen. Nun folgte das Caroccio (Fahnenwagen) der Republik, von zwölf weißen Ochsen gezogen, welche auch geschmückt und mit Purpurteppichen behangen waren; neben der Fahne der Republik glänzte auf dem Wagen ein großes goldenes Kreuz; mehrere edle Jünglinge in glänzendem Harnisch und mit gezückten Schwertern gaben diesem städtischen Heiligthume das Geleite.

Hierauf wurden die gemeinen Gefangenen von einer Abtheilung Hellebardirer escortirt und ihre und der Gefallenen Helme und Waffen ihnen nachgetragen. Hinter diesen gingen viele deutsche und italienische Ritter und die edlen Führer Marino von Ebulo und Boso von Doaro. Diesen Beiden folgte König Enzio selbst, hoch auf seinem Streitroß sitzend, in kostbarem Kriegsgewand, mit glänzender Helmkrone geziert, welche sein bis an den Gürtel niederfallendes goldgelocktes Haupthaar zusammenhielt. Diese edle Kriegergestalt mit dem jugendlich weichen und zugleich kräftigen Antlitz, mit der würdevollen Haltung und dem stolzen Blick, mit dem tiefen Schweigen, das nur ruhige Ergebung, nur erhabene Fassung, aber keine Spur von Trauer ausdrückte, ragte wie der Held der Nibelungen aus Allen hervor und zwang ebenso sehr die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 666. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_666.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)