Seite:Die Gartenlaube (1862) 680.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

keine Notiz darüber, erwähnen auch der Kerker nicht; um so mehr wollen wir hier darauf aufmerksam gemacht haben. Die Besichtigung wird sehr bereitwillig durch die von Herrn Dr. Geuder dazu bestellte Führerin gestattet, und es sei ihm der Dank aller für die Geschichte einer so wichtigen Stadt wie Nürnberg sich Interessirenden ausgesprochen, daß er es vermochte, ein selten gewordenes Ueberbleibsel der Nachwelt zu erhalten und es seinem ursprünglichen Standorte wiederzugeben.

G. H.




Bunte Plaudereien aus London, Paris und vom Meeresstrande.

Nr. 2.
Schauspieler Kean – Ein Volksstück – Kein Souffleur – Eine Abendgesellschaft von Flüchtlingen – Kemety, Klapka, Freiligrath, M. Hartmann –
Joachim und seine ungarischen Luder – Der Magnetiseur Laurent und Demoiselle Prudence – Der Erzbischof von Upsala und seine Geschichte.

Obgleich die Theater in London jetzt sämmtlich ihr Festkleid angezogen haben, so bieten selbe doch nichts Außerordentliches. Die Schauspielkunst der Engländer steht nach meiner Ansicht so weit hinter der unsrigen zurück, als wir Deutschen in dieser Beziehung den geborenen dramatischen Künstlern, den Franzosen, nachstehen, und selbst der hochgefeierte, mit allen hohen Buchstaben angekündigte Charles Kean erschien mir in der Rolle des Cardinal Wolsey in dem neu scenirten Shakespeare’schen Drama „König Heinrich der Achte“ nur als ein talentbegabter, routinirter Coulissenreißer, keineswegs aber als das Genie, welches seine Landsleute so gern aus ihm machen wollen. Dagegen versteht er die mise en scene musterhaft zu leiten und hat darin in dem oben angeführten Drama wirklich ein Meisterstück geleistet. Die Costüme, Auszüge, das Arrangement der Hoffestlichkeiten, Alles ist mit der genauesten Sachkenntniß und bis in’s kleinste Detail als treues Abbild jener Zeit wiedergegeben, die Behandlung der massenhaften Gruppirungen mit so feinem Geschmack und Kunstsinn geleitet, wie ich es noch an keiner andern Bühne Europa’s zu bewundern Gelegenheit hatte.

Außerdem stehen die Engländer in Decorations- und Beleuchtungseffecten unübertroffen da. Einem solchen Kunstwerke dankt ein seit Jahresfrist ununterbrochen und stets bei überfülltem Hause gegebenes Volksstück „Peep o'day“ den Hauptgrund seines Erfolges. Es soll ein armes Mädchen, durch einen Schuft von Lord zu einer Scheintrauung verführt, für immer stumm und unschädlich gemacht, in eine abgelegene Schlucht in Irland gelockt und dort ermordet werden. Wir sehen den gedungenen Banditen in der Mitte der Bühne die Grube graben, die das Opfer aufnehmen soll. Auf beiden Seiten starren riesige Felswände empor, wovon die eine im tiefsten Schatten liegt, während die roh in Stein gehauenen Stufen und die den gegenüberstehenden Fels überwuchernden Schlingpflanzen, sowie der Steg, welcher beide Steinufer mit einander verbindet, vom grellsten Mondlicht bestrahlt sind. Eben so hell beleuchtet bildet der Hintergrund einen natürlichen Wasserfall und eine weite, weite Fernsicht in ein zerklüftetes Felsthal. Den dunkeln Fels umstehen hohe Bäume, nicht flach gemalt, sondern in Stamm und Laubwerk der Natur täuschend ähnlich nachgebildet. Wir sehen das arme Opfer in dem im Mondlicht unheimlich leuchtenden rothen irischen Mantel[1] arglos den schwanken Steg entlang wandeln, an dem verborgenen Mörder vorüber, die Schlucht betretend. Nur das Echo antwortet ihrem schrillen Hülferuf, vergebens bedroht sie ihren Bedränger mit der Rache Gottes und eines Freundes, von dem sie wisse, daß er zu ihrem Schutze herbei eile. Rasch klimmt der Räuber die Felswand empor, zerschmettert den schmalen Steg, der allein herab in den Abgrund führt, und lacht jetzt im höhnischen Spott der Drohungen des verzweiflungsvoll ringenden Weibes, diese immer näher und näher dem offenen Grabe entgegen zerrend. Da ertönt ein Signal, der Retter erscheint auf der Plattform der Felswand, vergebens einen Weg suchend, der Armen zu Hülfe zu eilen. Jetzt holt der Henker mit dem Beil aus, um sein Nachtwerk zu vollenden, oben ein Schrei des Entsetzens, und schneller, als es sich erzählen läßt, ergreift der Freund der Gefährdeten einen mächtigen Zweig des an der Felswand stehenden gewaltigen Baumes und schwingt sich, dem Schutze des Höchsten sich empfehlend, an dem Aste hängend in den Abgrund hinab. So rettet der junge Held seine Geliebte im Augenblick der höchsten Gefahr und unter dem stürmischen Jubel des athemlosen Publicums.

Auch die übrigen Scenen dieses wechselvollen, an derb-komischen und grell-tragischen Momenten überreichen Drama’s sind prächtig arrangirt, namentlich die irischen Volksscenen, wenn sich gleich das Spiel der Darstellenden nie über die stark gefärbte Mittelmäßigkeit erhebt. Nur einen wirklich großen Schauspieler habe ich in London zu bewundern Gelegenheit gehabt, allein dieser hat sich nach französischen Mustern herangebildet und spielt in der Weise Bouffé’s! und Frederic Lemaître’s in dem Theatre Olympique. Mr. Robson, so heißt der Mann, ist die Stütze dieser Bühne und mit Recht der Liebling der Londoner Theaterfreunde. In dem Drama: „Porter’s Knot“, welches, wenn ich nicht sehr irre, aus dem Französischen übersetzt ist, spielt er einen schlichten, durch seinen Sohn in unverschuldetes Unglück gestürzten Kofferträger an einer Eisenbahn mit einer erschütternden Wahrheit und Naturtreue. Lebhaft hat mich der Künstler an unseren heimischen Döring erinnert, welcher derlei Rollen ebenfalls bewunderungswürdig spielt. Ich bedaure, daß mir Raum und Zweck dieser Zeitschrift nicht erlauben, in die Details dieser genialen Leistung einzugehen.

Eine Merkwürdigkeit der englischen Theater ist die, daß kein Souffleur existirt; wie wünschenswerth wäre die Nachahmung dieser trefflichen Sitte an unseren deutschen Bühnen! Die Eintrittspreise zu den Theatern Londons sind im Vergleiche zu denen in Deutschland enorm.

Ich verschone den freundlichen Leser mit einer abertausendsten Schilderung der zwei großartigsten Gebäude Europas und deren Einrichtung, des Ausstellungs- und des Krystall-Palastes, so mächtig auch der Eindruck dieser modernen Weltwunder auf jeden Fremden einwirkt. Die Kunstschätze Calcuttas, die Goldpyramide aus Californien, der 125 Karat schwere, stets von einer Anzahl Schaulustiger umstellte Diamant, die „Sonne“, von dem Juwelenhändler Coster aus Amsterdam eingesandt, interessirte mich weniger, als die genial erfundenen Maschinen, die in Unzahl aufgestellt sind, von dem Apparat an, wo z. B. für den Champagnergourmand klares Wasser auf einer Seite hinein gegossen wird und auf der anderen als Eis wieder herauskommt, bis zu den riesigen Kuppeln der Leuchtthürme und den sinnreichen Vorrichtungen an denselben. Unter den zahllosen Bildern der Gallerie sind die unseres Berliner Malers Gustav Richter stets von einer Menge Bewunderer umschwärmt, ebenso die Kirchenarbeiten von getriebenem Zinkblech von Fried. Peters aus Berlin.

Das Schauen hat uns ermüdet, und so wollen wir einer freundlichen Einladung des Schriftstellers Max Schleßinger folgen, der jedem gebildeten Leser wohl aus seinen geistreichen Schilderungen Englands und Ungarns bekannt ist, und den Abend in seinem gastlichen Hause verleben. Mit echt englischem Comfort bewohnt derselbe ein bequem und elegant eingerichtetes Haus, und öffnet dasselbe mit größter Urbanität jeden Freitag seinen Landsleuten, den an ihn empfohlenen Fremden und seinen Freunden. Die Wände des Salons aus Bedford-Place könnten viel erzählen von Berühmtheiten aller Nationen, die dort verkehrt und sich erfreut hatten an des Besitzers gastlichem Heerde. Mir wird der dort verlebte Abend unvergeßlich bleiben. Ein großer Theil der Anwesenden bestand aus ungarischen Flüchtlingen, unter diesen die Generäle Kemety, der Vertheidiger von Kars, jetzt Ferik Pascha, und Klapka, der Held von Komorn. Zu den gewöhnlichen Besuchern dieser Abendcirkel gehört auch noch Freiligrath, jetzt mit Klapka zusammen angestellt als die Directoren der Schweizerbank, der kleine Dr. Kaufmann, in dessen schwächlichem Körper ein starker Geist wohnt, Moritz Hartmann, der Commerzienrath Wolff aus Gladebach bei Köln, der die preußische Expedition nach Siam und Japan mitgemacht und einen reichen Schatz von Erfahrungen und Erinnerungen aus fernen Zonen gesammelt hat, Joachim, der berühmte Violinspieler und Löwe der diesjährigen Concertsaison in London, ein Kranz schöner, feingebildeter

  1. Die Löwinnen Londons tragen jetzt solche Mantel das neueste Erzeugniß des Modejournals.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 680. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_680.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)