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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Fabel von der Cicade und der Ameise hat durchaus keine thatsächliche Begründung; was sie dem Neste zuschleppen, dient entweder zu baulicher Construction oder zu Speisung der zahlreichen Nachkommenschaft und der nichtarbeitenden Weibchen und Männchen, die sich häufig in so großer Menge im Neste finden, daß sie beim Ausschwärmen die Luft verfinstern. Im Winter, wo die Männchen todt, die Weibchen im Neste, die Jungen erzogen sind, fallen die Ameisen in Erstarrung, aus der sie nur zuweilen in warmen Tagen aufwachen, um dann sogleich nach Nahrung umherzuschweifen, die in dem Neste gänzlich fehlt. Zur Nahrung dient ihnen aber auch fast jeder pflanzliche und thierische Stoff – alle Zuckersäfte, seien sie nun von den Pflanzen direct ausgeschwitzt oder erst durch den Darm von Blattläusen, Schildläusen und ähnlichen saugenden Insecten durchgegangen, Gummi, Stärke, Früchte aller Art, thierische Stoffe, faulende Leichen von Insecten, Würmern und Schnecken, ja selbst größeren Thieren, sobald denselben die Haut abgezogen ist. Sie schneiden aber keine Pflanzenkeime, keine Blätter, keine Schossen an – selten sogar Früchte – sondern benutzen nur die von andern Thieren eingefressenen Lücken, um von dort aus weiter zu arbeiten. Dabei scheuen sie keine Mühe, kein Hinderniß, keine Entfernung. In dem Keller einer bekannten Apotheke in Bern stand seit Jahren ein gewaltiges Gefäß mit Syrup an derselben Stelle, das stets wieder zugefüllt wurde. Seit Jahren auch hausten Ameisen darin wie in ihrem Eigenthume. Wir waren eines Tages neugierig genug ihrem Wege zu folgen. Er führte uns aus dem Kellerloche hinaus auf die Straße, quer über die Hauptstraße Berns, in der viel Verkehr ist, über den Bach, nach der belebten Promenade der Kirchterrasse, über Weg und Gras nach der Brustwehr, über diese hinab die wohl 150 Fuß hohe Mauer hinunter an deren Fuß, wo sich in dem Gemäuer das Nest befand. Ein Weg, mit seinen Krümmungen gemessen gewiß über 600 Meter lang, der einen sehr belebten Spaziergang, mehrere große Straßen der Länge und Quere nach und einen Bach überschritt, um endlich an einen Syruptopf zu gelangen – ist das nicht, von dem kleinen Ameisenvolke, eine Leistung, welche die Semmering-Bahn weit übertrifft?

Die interessanteste Thatsache aber in dem Leben gewisser Ameisen ist die unbestreitbare Existenz der Sclaverei, einer Anfangs gezwungenen, später aber, wie es scheint, freiwilligen Sclaverei, auf welche der Haushalt einiger Arten gegründet ist. In dem Weinberge an dem Garten meiner früheren Wohnung in Genf hauste ein solcher, von Huber „Amazonen“ genannter Ameisenschwarm. Ich beobachtete sie in den heißen Monaten Juli und August. Nachmittags zwischen drei und vier Uhr sah man kleine, schwärzliche Ameisen um die Oeffnung des in der Erde gelegenen Nestes schweifen. Dann kamen einzelne größere, gelbrothe Ameisen heraus, die sich von den Schwarzgrauen streicheln und belecken ließen, hin und wieder liefen, aus und eingingen. Diese letzteren mehrten sich bald, und nun quoll es aus dem Loche hervor – ein gewaltiger Schwarm, in wilder Hast nach einer gegebenen Richtung, meist der im Garten angebrachten Mistbeete und Gewächshäuser, rennend. Links und rechts von dem Gewalthaufen galoppirten einzelne Ameisen wie Patrouillen und Plänkler. So rannten die Rothgelben in sausender Hast den Mauern zu, wo sich die Nester der Schwarzgrauen befanden, und stürzten wie ein Bergstrom wirbelnd in alle Löcher und Oeffnungen der Mauer. Hie und da kamen dann kleine, schwarzgraue Ameisen hervor, ganz den bei dem Amazonen-Neste gesehenen ähnlich, ängstlich flüchtend, zuweilen eine Puppe (sogenanntes Ameisenei) in den Kieferzangen tragend. Kam eine rothgelbe dazu, so ließen sie die Puppe fallen und flüchteten – nie sah ich einen ernsthaften Kampf.

Nach einiger Zeit kamen die Rothgelben wieder aus den Löchern und Ritzen hervor, fast jede eine Puppe in den Kiefern tragend. Diejenigen, welche nichts erhascht hatten, eilten wieder als Plänkler voraus; die Schwerbeladenen humpelten nach. Bei dem Neste wimmelte es von schwarzgrauen Sclaven, die nun den Rothgelben entgegeneilten, ihnen die Eier trugen oder auch sie selbst packten, um sie nach Hause zu schleppen. Ich habe öfter gesehen, daß ein solcher schwarzgrauer Sclave eine um mehr als die Hälfte größere Rothgelbe ergriff und diese, welche sich ihm ringförmig um den Hals schlang, mit sammt der Puppe, die sie in den Kiefern hielt, fortschleppte, also gewiß das Dreifache seines eigenen Körpergewichtes in dieser Weise trug.

Aus den geraubten Puppen schlüpfen schwarzgraue Arbeiter aus, die, in dem Neste der rothgelben Amazonen geboren, dort alle Dienste übernehmen und ihre Herren mit bewunderungswerther Anhänglichkeit hin und herschleppen, füttern, streicheln, putzen, so daß diesen durchaus keine andere Beschäftigung bleibt, als der Krieg, da die Natur ihnen die Liebe versagt hat.

Zum Oeftern schon habe ich mich gewundert, diese von Natur wegen bei gewissen Ameisen eingeführte Sclaverei nicht unter den Argumenten zu finden, welche die Sclavenhalter Nordamerika’s zu ihren Gunsten anzuführen gewohnt sind. Sie haben als fromme Christen und rechtgläubige Menschen die Bibel bis auf den letzten Boden ausgeschöpft, um die Sclaverei als eine göttliche Institution, vom Heiland gebilligt und von den Aposteln gepredigt, hinzustellen; – sie haben sich eigens Naturforscher kommen lassen, die des Ehrgefühles so bar und ledig waren, daß sie die Berechtigung der höher stehenden Menschenspecies, des Kaukasiers, zur Knechtung der niederen Race, des Negers, aus zoologischen Grundsätzen und Unterschieden zu deduciren suchten; – warum nicht auch noch die Natur als Dritte in den Bund rufen, wenn Glaube und Wissenschaft schon ihnen beispringen? Da hätte man ja, bei den Ameisen, Alles im schönsten Spiegelbilde – eine rothblonde stärkere Race, die nur genießt, höchstens zum Zeitvertreibe einmal Krieg führt und Raubzüge unternimmt, und eine schwarzgraue, schwächere, dienende Race, die für ihre Herren arbeitet, sie füttert, umherschleppt und ihre Nachkommenschaft auferzieht und pflegt, wie wenn es Ihresgleichen wäre! Was will man mehr thun, als den Schöpfer nachahmen?




Blätter und Blüthen.

Aus Kaulbach’s Kindheit und Jugend. „Pfingsten, das liebliche Fest war gekommen, es grünten und blühten Fels und Wald.“ Und mit dem lieblichen Feste der Maien kam am 30. Mai von Kaulbach nach M. und blieb bis zum 2. Juni. „Schade,“ sagte der Erbprinz von M., als er ihn begrüßte, „schade, daß Sie nicht ein paar Tage früher gekommen sind, dann hätte ich die beiden hellleuchtenden Kunstdioskuren von Arolsen zusammen hier gehabt. Rauch war einige Tage bei mir.“

Der Prinz bot Alles auf, um dem genialen Künstler den Aufenthalt in der Residenz so angenehm als möglich zu machen, und Kaulbach versicherte mir mehrfach, wenn ich ihn zu einem Spaziergang auf einen der nahe liegenden, mit frischduftenden Wäldern bewachsenen Berge abgeholt hatte, um „etwas Sauerstoff zu kneipen,“ daß er sich lange nicht so wohl und heiter gefühlt habe. Täglich versammelte der Prinz entweder im Residenzschlosse oder auch an einem andern passenden Orte mehrere Künstler und Kunstfreunde zur Unterhaltung des Meisters. Unter ihnen war namentlich ein gemüthreicher Dichter, Ludwig Bechstein, ferner ein vaterländischer Geschichtsforscher, der seit einigen Jahren ziemlich umfassende Studien für ein thüringisch-sächsisches Geschichtswerk machte, und ein junger genialer Maler, Andreas Müller, der, auf Kaulbach’s Empfehlung von dem Prinzen berufen, wenige Tage zuvor in M. eingetroffen war, um eine Reihe von monumentalen Bildern aus der thüringisch-sächsischen Geschichte in dem Residenzschlosse zu malen.

Einen der schönsten Abende hatte man in der mit bunten italienischen Laternen freundlich hell erleuchteten Gartenlaube des Dichters. Der Maler belebte die Stimmung durch sein reizendes Spiel auf der Schlagcither, und Kaulbach würzte die Unterhaltung durch seinen frisch sprudelnden Humor.

„Als neulich Rauch hier war,“ sagte ich zu Kaulbach, „entwarf er uns ein sehr interessantes Bild seiner Kindheit und ersten Jugend. Wir würden Ihnen sehr dankbar sein, wenn Sie ein ähnliches Bild aus Ihrem Jugendleben uns lieferten.“ Da meine Bitte von allen Seiten unterstützt wurde, so hub Kaulbach etwa in folgender Weise an:

„Mein Vaterland ist Waldeck, eins der kleinsten von unsern 35 Vaterländern, und meine Vaterstadt ist, wie die meines Freundes Rauch, Arolsen. Doch bin ich nicht wie er in einem heiteren, von blühenden Gärten umgebenen Landhause, sondern in einer niedrigen Wohnung mitten in der Stadt geboren und zwar am 16. October 1805. Mein Vater war ein armer Goldschmied, der, als seine Familie zahlreicher wurde, nur mit Mühe das, was zur täglichen Nahrung und Nothdurft gehört, für dieselbe beschaffen konnte. Er hatte sich bei dem niedrigen Stande der Schulanstalten des kleinen Landes nur einen geringen Grad der Bildung, namentlich auch im Zeichnen, aneignen können. Desto eifriger war er aber nun, diesen Mangel bitter fühlend, darauf bedacht, mir und meinem vier Jahre jüngeren Bruder Karl[1] möglichst guten Unterricht geben zu lassen.

„Wenn ich ein berühmter Schriftsteller werde, so hat das meiner armen Mutter genug Mühe gekostet,“ so sagt Heine in seinen Reisebildern, indem er sich der braunen Thüre erinnert, worauf Mutter ihn die Buchstaben mit Kreide schreiben lehrte. In ähnlicher Weise kann ich von meinem Vater sagen: „es hat ihm viel Mühe gekostet, wenn ich ein leidlicher Maler geworden bin.“ So wenig ich auch Talent und Neigung zu der

Kunst zeigte, er ließ nicht ab vom treuen Hoffen, noch etwas aus mir

  1. Dieser widmete sich unter Schwanthaler’s Leitung mit glücklichem Erfolg der Bildhauerkunst. Von ihm unter andern „Röslein auf der Haide“.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 687. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_687.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)