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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Wenn der Täufer Johannes den Vorzug hat, welchen Jesus ihm als dem Prediger in der Wüste, als dem Bekehrer der Sünder, als dem Täufer der Bußfertigen und als dem ersten Spender des schuldlösenden Sacraments zuerkennt: so theilt jeder wahre und würdige Priester nicht nur den Beruf dieses glorreichen Mannes, sondern hat auch Anspruch an die unübertreffliche Verheißung des Herrn: es sei kein anderer vom Weibe Geborener größer, weß Standes und Berufes er auch sonst sein möge. – Die erhabene Würde des christlichen Priesterthums erweiset sich aus der wundervollen Wirksamkeit des Opferdienstes, kraft dessen schon in den ältesten Zeiten jeder Priester in seiner Person vor den Augen der übrigen Menschheit geheiligt sein mußte, wie ja Jehovah selbst zu den Kindern Israels gesprochen hat: „Niemand von den Nachkommen der Priester, der ein Gebrechen hat, soll opfern dürfen. Sie sollen Alle geheiligt sein, wie ich, der ich sie mir geheiligt habe.“ – Wenn nun Gott selbst den Priesterstand für seinen besonderen Dienst erwählt hat, so liegt eine Würde darin, der auf Erden keine andere gleich kommt. – Auch ist nur dem Priester vorbehalten, mit geweihter Hand die Geheimnisse der göttlichen Liebe zu begehen, wie sie von unserem Religionsstifter in seiner Kirche niedergelegt worden sind. Was der Herr dem Apostelfürsten Petrus sagte: „Dir sind die Schlüssel des Himmels übergeben“ u. s. w., gilt jedem gesetzlich beorderten Stellvertreter der Apostel, jedem geweihten Priester. Dieser ist es auch, der das Amt des Johannes in der Wüste zu verwalten hat durch Belehrung und Erklärung. Alles Krumme wird gerade und gut gemacht durch des Priesters heiligende Predigt. Nur diese ist es und keine andere, die Antwort auf jene bedenkliche Frage giebt, welche die Frauen einst an der Gruft des Auferstandenen ausgesprochen haben: „Wer wird uns den Stein vom Grabe wälzen?“ Wer anders, als er, der dazu den Beruf und die Weihe hat.

Den Schluß der Rede bildeten Ansprachen an Vater und Mutter, Angehörige und Freunde; mit bewegter Stimme und bebendem Gefühle vorgetragen, verfehlten sie die beabsichtigte Wirkung nicht. Das erwies sich in dem lauten Weinen und Schluchzen fast sämmtlicher Zuhörer. Dann folgte eine Mahnung an den jungen Priester selbst, sein heiliges Amt segensvoll zu verwalten. Zuletzt erging noch ein Aufruf an das gesammte Volk, in dem Neugeweihten nicht nur den Diener des Herrn, sondern auch den rechtmäßigen Führer zum Heil zu ehren.

„Danken wollen wir dem Herrn “ – so schloß der Prediger mit erhöhter, eifriger Stimme – „daß die Quelle des Heils noch nach Jahrhunderten fließt und daß sie nach seiner Fügung niemals versiechen kann. Denn es erstehen immer wieder neue Arbeiter im Reiche der Gnade, wenn die alten zur ewigen Freude abgerufen sind. Und bitten wollen wir den Herrn, daß seine Diener auch stets dem großen Vorbilde nachstreben, auf dessen heiligsten Namen sie gesegnet sind in alle Ewigkeit.“ – „Amen,“ platzte die ganze Versammlung nach. Das wohlbekannte Schlagwort „in alle Ewigkeit“ hatte selbst mich dazu verleitet, obgleich es – aufrichtig gesagt – gegen meinen Willen geschah.

Nach der Predigt trat einer der assistirenden Priester vor den Hochaltar und stimmte einen Gesang an mit den Worten: Asperges me, den die Sänger auf dem Musikchor unter Orgelbegleitung weiter ausführten, während der Priester das Weihwasser nahm und allen in den Chorstühlen Versammelten, dem Neugeweihten zuerst und jedem der Gäste besonders, darreichte, damit er sich mit den Fingerspitzen selber die Stirn benetze. Dem übrigen Volke wurde das Weihwasser nicht eigentlich gereicht, aber der Priester besprengte es massenweise, indem er in der Kirche auf und abging.

Ich bekam zufällig keinen Tropfen, aber mein hinkender Nachbar, der sich zu dieser Ceremonie besonders hoch und gerade aufgerichtet hatte, desto mehr. Eine ganze Portion fiel auf sein schneeweißes Vorhemdchen und schien ihm eben nicht sehr willkommen zu sein, denn er brummte etwas vor sich hin. Das Wasser der Weihe hatte ihn mindestens in seiner Andacht gestört.

Nach der Ceremonie mit dem Weihwasser begann das Hochamt. Da ich von dem Hochaltare, an welchem es begangen wurde, etwas entfernt war und eine große Zahl Priester und Ministranten dort durcheinander wogte, außerdem aber auch die aus den auf glühende Kohlen gestreuten Weihrauchkörnern entwickelten Wolken, im Sonnenstrahl spielend, die Scene verhüllten, so konnte ich nicht genau erkennen, wie Alles vorging, was da geschah. In meinen Betstuhl gebannt, begnügte ich mich der aufgeführten rauschenden und vollstimmigen Musikaufführung zuzuhören. Nach meiner oberflächlichen Schätzung mußten mindestens sechszig Personen, Sänger und Instrumentalisten, thätig sein. Außerordentlich gefiel mir eine weibliche Alt-Stimme, die sich mehrmals Solo vernehmen ließ. Ihretwegen sah ich mich öfter nach oben um, konnte aber kein Mädchen bemerken. Mein Nachbar, der auch ab und zu aus seinem Gebetbuche heraus und umherblickte oder vielmehr so gräßlich schielte, daß ich in der That oft nicht wußte, ob er nach rechts oder links hinsehen wolle – mag errathen haben, warum ich so oft der schönen Altstimme nachsehe, denn er sagte leise und zutraulich : „Es ist kein Frauenzimmer, sondern einer der Sängerknaben; die Messe, die aufgeführt wird, ist von Eybler; ich weiß es g’wiß, weil mir’s der Pater Regenschori selber g’sagt hat.“

Ich wollte eben noch weitere Fragen thun, aber das Ertönen eines Glöckleins, das alle Andächtigen zum Knieen aufforderte, verscheuchte augenblicklich alle sündhafte Neugierde aus meinem Innern. Am Hochaltar sah ich ein Hin- und Hergehen, Niederknieen und Aufstehen der Geistlichkeit, ohne zu errathen, was vorgehe. Die Bedeutung der kirchlichen Ceremonien ist mir in keiner der zurückgelegten Schulen bekannt gegeben worden. Ich weiß, daß dieser Fehler im Christenthum allgemein ist.

Auch die Kranzjungfern konnte man von Zeit zu Zeit beschäftigt sehen. Bald standen sie von ihren mit rothem Damast drapirten Knieschemeln auf und brachten die Kränze dem Bräutigam der Kirche, bald wieder holten sie dieselben ab, um sie auf einem mit brennenden Kerzen besetzten Seitentische niederzulegen.

Das Hochamt mit allen seinen Abwechselungen dauerte etwa anderthalb Stunde, und mir fiel während dieser Zeit öfter ein, daß ich nicht gefrühstückt habe. Zuletzt verdrängte ein gottloser Hunger die heiligsten Interessen. Ich fragte meinen Nachbar, wie lange diese Ceremonien wohl noch dauern könnten, und er sagte mir, daß das Hochamt selbst nun bald zu Ende sein würde, daß aber darum an ein Fortgehen nicht zu denken sei. Man müsse doch auch den Segen des Neugeweihten erhalten, und da dieserhalb großes Gedränge entstehen werde, so könne es wohl noch eine gute Zeit dauern, bis wir daran kämen. Vordrängen könne er sich nicht und mir wolle er auch nicht dazu rathen.

„Werden denn nicht Alle auf einmal gesegnet?“ fragte ich etwas voreilig.

„Nein. Jeder erhält seinen besonderen Segen. Die Verwandten, Angehörigen und distinguirte Leute bekommen ihn mit Auflegung beider Hände, die Uebrigen aber paarweise je mit einer Hand, so daß der Primiziant immer zwei zugleich segnet.“

Unüberlegter Weise fragte ich, ob wir denn durchaus dabei sein müßten.

Der Gezeichnete sah mich mit dem einen Auge sehr scharf an, während das andere treulos abschweifte, sagte aber nichts. – Es geschah übrigens, wie er ausgesprochen hatte: als das Hochamt zu Ende war und sowohl die assistirenden Priester als auch alle Ehrengäste ihren Specialsegen erhalten hatten – ein großer, allgemeiner Segensspruch war ohnehin schon vorher am Schluß der Messe ertheilt worden – drängte das ganze Volk zum Hochaltar hin, um auch eine besondere Händeauflegung und Einsegnung zu erhalten. Ich und mein Nachbar blieben in unserem Betstuhle und entgingen in diesem Asyl wohl manchem Rippenstoß und Fußtritt, der als Zugabe der heiligen Handlung dort vorn verabreicht worden sein mochte.

Da ich nur Hunger hatte, dachte ich nicht weiter daran, mich früher zu entfernen, als mein Nachbar, und bekämpfte lieber das allerdings unangenehme, alle Poesie der religiösen Gebräuche zerstörende Gefühl. „Die Kirche ist wohl heute ganz ungewöhnlich voll?“ sagte ich zu meinem Nachbar, der schon längst sein Gebetbuch in die Tasche gesteckt hatte und müßig herumschaute.

„O ja! Zu solchen Gelegenheiten kommen die Leut’ viele Meilen weit.“

„Warum? Wer das einmal gesehen hat, der müßte – denke ich – genug davon haben, und so gar selten können solche Feierlichkeiten auch nicht sein.“

Wieder sah mich der Kleine mit dem einen Auge wie vernichtend an, sagte aber mild: „Sie vergessen die große Bedeutung, die der Segen eines Neugeweihten hat. Der gemeine Mann hält noch zehnmal mehr davon, als unsereins, und er unterläßt es nicht leicht, ihn so oft, als es möglich ist, zu bekommen. Da ist Mancher heute dabei, der an der Kirchthür umkehrt und sich noch einen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 697. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_697.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)