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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

holt für den Fall, daß ihm der erste zu wenig ausgiebig scheinen sollte.“

„Muß denn das aber gleich sein, das – ich meine – gleich am Tage der ersten Messe?“ – Der Gefragte mochte einsehen, daß ich sehr unwissend oder vielleicht noch Schlimmeres, ein Spötter sei, und nahm deshalb eine strenge, belehrende und zurechtweisende Miene an, indem er sagte: „Die besondere Kraft des Segens eines neugeweihten Priesters dauert zwar acht Tage lang, aber das kann sich Jeder sagen, daß sie am ersten auch am frischesten ist. Das weiß auch jeder Bauer. Und unsere Bauern sind noch gut, sie haben noch Religion. Deshalb wird ihnen auch nichts zu sauer und nichts zu schwer, was die Religion von ihnen fordert. Es wär’ ein Unglück, wenn auch bei uns die alberne Freigeisterei und der naseweise Unglaube der Stadtleute überhand nehmen sollte. Die Vornehmen und Reichen, die Studirten und selbst schon einige Geistliche sind davon angesteckt, wohin soll das noch führen? – Ein Mensch ohne Religion ist aller Schlechtigkeiten fähig.“

Er erzählte mir dann noch Mancherlei über den kirchlichen Sinn des Landvolkes und seine Andachten. Mit der größtmöglichsten Harmlosigkeit hörte ich ihm zu; ich ahnte auch wirklich nichts Schlimmes. Dieser kleine, gezeichnete Schwätzer zeigte sich mir einfach als einen guten und eifrigen Katholiken. Das konnte ich ihm nicht verdenken. Manchmal drängte sich mir freilich das alte Sprüchwort auf: „Hüte dich vor Gezeichneten!“ – aber da ich darin immer eine große Ungerechtigkeit fand, so setzte ich auch hier den möglichsten Widerstand Allem entgegen, was mir an ihm verdächtig erscheinen konnte.

Endlich hatte das größte Gedränge aufgehört, und mein Kleiner erklärte, nun auch vortreten zu wollen. Ich ging mit und sah, daß ihm viele Leute, die ihn kannten, mit einiger Ehrerbietung Platz machten, worauf er auch – wie seine Mienen anzeigten – gerechten Anspruch zu machen schien. So kamen wir bald auch an die Reihe und knieten nieder. Pater Arderian schritt langsam die Reihe entlang, mit hochrothem, in Schweiß gebadetem Antlitz und sichtlich abgespannt legte er auf einen kurzen Augenblick die eine Hand auf mein, die andere auf des Kleinen Haupt und sprach dazu etwa drei Worte eines lateinischen Segensspruches, welchen er bei Andern, denen er weiter die Hände auflegte, fortsetzte, so daß sich wohl 12 bis 16 in das eine Gebet zu theilen hatten. Da sah ich zum ersten Mal die Wohlthat ein, die im Gebrauche der lateinischen Sprache beim priesterlichen Dienste – wenigstens hier in diesem besonderen Falle – liegt. Die Bauern, die gewiß den Trost haben, daß ihnen der Segen ungeschmälert zu Theil geworden ist, könnten das nicht glauben, wenn sie verständen, was der Priester zum Händeauflegen spricht. Ja, sie würden vielleicht mißvergnügt werden, wenn sie das heilige Bruchstück zum meilenweiten Weg in Anschlag brächten. Das sind ja gerade die Leute, die immer ihren vollen Preis herausbekommen müssen. Auf der andern Seite aber müßte so ein Neugeweihter bei solch großem Andränge des Volkes seinen Geist aufgeben, wenn er über jeden Gläubigen den vollen Segensspruch hersagen müßte und ihm das abgekürzte Heilverfahren nicht gestattet wäre. Wann auch würde er damit fertig, wenn ihn die Kräfte nicht verließen? –

Ich ging daher zufrieden mit meinem kleinen Antheil von dannen. Eine besondere Wirkung konnte ich davon nicht erwarten, das war selbstverständlich. Mein Hunger hatte zugenommen. Als ich mit meinem Nachbar vor die Kirche hinaustrat, schlug die Thurmuhr Eins.

„Nun wollen wir aber auch gleich in den Speisesaal hinaufgehen,“ sagte mein hinkender Begleiter, „denn um Eins soll gegessen werden.“

Das war süße Melodie für mein Ohr. Ich hatte keine Sorge um Arderian, der noch lange in der Kirche zu thun hatte, um an der Tafel erscheinen zu können, sobald das Essen begann. Ich dachte jetzt nur an mich. Wir traten in den Saal. Er hat die Pracht der Ausstattung wie die Bibliothek, ist aber kleiner. Glänzender Marmor, bunte Frescogemälde, Arabesken und Goldverzierungen aller Art bedecken sämmtliche gerade und krumme Flächen des Raumes. Auf der in Hufeisenform aufgestellten weitläufigen Tafel mochten über hundert Gedecke bereit liegen.

Eine Menge Gäste und Geistliche, die Verwandten des Primizianten, die Kranzeljungfern und mehrere geputzte Damen sind schon anwesend. In Gruppen stehen sie umher und sind in eifrigen Gesprächen begriffen. Den alten Eltern wird von älteren Geistlichen, den Mädchen und Frauen von jüngeren der Hof gemacht.

Endlich erscheint auch der Primiziant – früher als ich je geglaubt hätte – mit ihm der Prior. Den Beiden fast auf den Fersen folgen die Diener mit gewaltig großen Suppentöpfen.

Der Prior hatte kaum die Eltern des Neugeweihten an die Hand genommen und ihrem Platze an der Tafel zugeführt, als er auch schon sein Sammtkäppchen vom Kopfe nahm. Ein mehrseitiges Sst! Sst! forderte die Versammlung auf, dem Gespräche schnell ein Ende zu machen. Ein kurzes, stilles Gebet – und man setzte sich mit dem in einer so großen Gesellschaft unvermeidlichen Geräusch an die Tafel. Es dauerte aber nicht lange; auch die Andern schienen Hunger zu fühlen, wie ich.

Den Vorsitz führte der Neugeweihte; ihm zur Rechten und Linken saßen Vater und Mutter, Geschwister und Freunde; ihm gegenüber der Prior mit den zwei Kranzeljungfern und dem Festprediger.

Alle übrigen Tischgenossen setzten sich nach Gefallen in bunter Reihenfolge zu Tische; weder Rang noch Ansehen, noch das heilige Recht des Alters kam diesmals zur Geltung. – Da ich bescheiden wartete, bis für mich ein Platz übrig bleibe, so gerieth ich auch an das eine Ende der Tafel unter die kleinen Klosterbeamten. Nikodem und der Pater Gastmeister saßen auch da. Der Letztere war heute als Küchen- und Kellermeister voll Geschäftigkeit und stand oft von seinem Sitze auf, um die Dienerschaft zu commandiren, um die Tafel die Runde zu machen oder am Kredenztische Anordnungen zu treffen. Acht Diener waren in geordneter Bewegung an der Tafel, andere gingen aus und ein und schleppten auf langen Bretern volle Schüsseln herbei, leere fort. Jeder schien ein bestimmtes Geschäft zu haben. Der Binder (Küper), die rechte Hand des Kellermeisters, füllte die Wein- und Wasserflaschen und hatte mit einem ihm untergeordneten Burschen vollauf zu thun. Jeder Tischgenosse hatte nämlich zwei Flaschen, mit Wein und mit Wasser gefüllt, vor dem Teller stehen, die oft gefüllt werden mußten, denn es war ein heißer Tag und der Durst groß. – Neben der Dienerschaft war auch noch der Förster und sein hübscher Sohn, Beide in der kleidsamen Waidmannsuniform, mit Bedienung der Gäste beschäftigt.

Als die mannigfachen Braten aufgetragen wurden, erhob sich der Pater Prior von seinem Sitze und brachte mit weicher, milder Stimme und in wenigen Worten auf die Gesundheit des Primizianten und seiner Eltern ein Hoch aus, das im Nebenzimmer in einem dreimaligen Tusch von Pauken und Trompeten seinen Wiederhall fand. Mehr Toaste wurden nicht gebracht, aber Alles war sehr vergnügt, und es wurde sonst recht viel gelärmt und gelacht. Verschiedene Extraweine in großbäuchigen Flaschen wurden auf die Tafel gesetzt und ziemlich rasch in die Unterwelt befördert.

Arderian mußte die Tafel, die von halb zwei bis sechs Uhr dauerte, frühzeitig wieder verlassen, weil sich auf den Treppen und im Hofe ein paar Tausend Menschen versammelt hatten, die ihn um seinen Segen bitten ließen. Es waren die Leute, welche am Vormittag verhindert gewesen, oder deren Weg zum Kloster zu entfernt war. Arderian erfüllte ihre Wünsche mit all der Resignation, die dem heiligen Priesteramte eigen ist. Als er matt und müde wieder zurückkam, wurde die Tafelei geendet. Man stand auf, wurde still und betete oder that wenigstens so. Dann machte Jeder einen Rundgang, um dem Primizianten und seinen Angehörigen ein freundliches „Wünsch’ wohl g’speist zu haben“ auszudrücken.

Als ich meinen Rundgang machte und jedem der mir Begegnenden den so wunderbaren Wunsch lachend zuwarf, kam ich auch an meinen Freund, den alten Nikodem, der wohl glauben mochte, daß ich dem Weine etwas stark zugesprochen habe. „Na, Herr Candidat,“ sagte er, „machen wir jetzt auch ’n Tanzerl?“

„Tanzerl? Was meinen Sie, alter Herr?“

„Was ich mein’? Das sollen S’ bald seh’n. Kommen S’ nur immer mit.“ Und indem er mich am Arme mit sich fortzog, sprach er weiter: „Auch bei ’ner geistlichen Hochzeit darf der Tanz nicht fehlen. Capiren S’? –Weil aber der Prälat davon nichts merken soll und will, so wird der Hochzeitsball im Gastflügel abg’halten. Geh’n S’ nur mit.“

Wir langten im Gastflügel an und traten in einen kleinen Saal. Da es noch heller Tag war, so fehlte mir zu meinem Begriffe von Ball eine der Hauptsachen: Beleuchtung. So ein Städter

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 698. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_698.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)