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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

in den obigen Angaben keineswegs erschöpft, in seiner Hand liegen vielmehr die Mittel zu einer weit eingehendern, für den Leidenden unendlich wichtigen Beurtheilung. – Ich habe noch hinzuzufügen, daß die Krankheit mehr in den mittleren und späteren Lebensjahren vorkommt, daß das jugendliche Alter jedoch keineswegs ganz sicher vor derselben ist. Rheumatische und gichtische Constitutionen erscheinen besonders zu derselben disponirt. Fast ohne Ausnahme befällt sie beide Augen, wenn auch nur selten zu gleicher Zeit. – In einzelnen Fällen hat man beobachtet, daß nach dem ersten heftigen Anfalle ein zweiter nicht folgt, sondern daß nach demselben das Sehvermögen successive zu Grunde geht, während nur ähnliche Symptome, wie die des Vorbotenstadiums, diesen Verfall begleiten.

Der tückische Charakter der Krankheit ist namentlich in der auch spontan eintretenden periodischen Besserung begründet. Treten die heftig entzündlichen Erscheinungen des ersten Anfalls bei Anwendung der gewöhnlich zunächst gebrauchten entzündungswidrigen und schmerzstillenden Mittel (Blutentziehungen, Quecksilbermittel, die Narcotica etc.) zurück, bessert sich das Sehvermögen hiernach wohl gar bis zu seiner Norm, so schlummert bei Arzt und Kranken die Besorgniß ein, und man meint wohl, in jenen Mitteln eine sichere Hülfe gegen die Krankheit gefunden zu haben. Der weitere Verlauf wird dieses Vertrauen jedesmal täuschen. Es ist deshalb jedem von der Krankheit Bedrohten oder Ergriffenen zu rathen, in solcher Gefahr mit den Stunden zu geizen, wie mit den kostbarsten Gütern, und ohne jedes Bedenken mit möglichster Eile sich der gedachten, die Gewalt der Krankheit sicher brechenden operativen Behandlung zu unterziehen. Mir ist von glaukomatös Erblindeten, wenn ich sie um die Ursache ihrer verzögerten Berathung befrug, fast einstimmig eingewendet worden, sie hätten wegen der „Entzündung“ und wegen des damit verbundenen körperlichen Leidens nicht reisen können, oder sie wären der Meinung gewesen, daß eine Operation, wie es ja beim grauen Staare der Fall sei, erst nach eingetretener Erblindung vorgenommen werden könne – Beides die traurigsten, unsägliches Leid verschuldenden Irrthümer! Mag der Anfall noch so heftig, das denselben begleitende körperliche Uebelbefinden noch so bedeutend sein, niemals dürfte dies ein Grund werden, die Berathung mit einem sachverständigen Arzte, wenn ein solcher nicht an Ort und Stelle ist, hinauszuschieben. Die meist sehr überschätzten Gefahren einer etwaigen Reise sind durch ein umsichtiges Arrangement sehr zu beschränken und werden unter allen Umständen von den verderblichen Consequenzen, welche ein längeres Abwarten hat, in nicht zu vergleichender Weise überwogen. Man bedenke nur, daß durch den gedachten operativen Eingriff nicht allein das Sehvermögen gerettet, sondern auch den quälenden, die gesammte Constitution nicht selten zerrüttenden Schmerzen ein fast augenblickliches Ende gemacht wird. Daß es zum Gelingen der Operation der Hand eines Arztes bedarf, der nicht allein mit dem Wesen der Krankheit, sondern auch mit der Technik der Operation völlig vertraut ist, versteht sich von selbst. Es muß Sache des Kranken bleiben, sich über diesen Punkt ein Urtheil zu verschaffen.

Bei der Schwierigkeit, das Publicum über ärztliche Dinge zu unterrichten, verhehle ich mir nicht, daß ich durch Publication vorstehenden Aufsatzes hier und dort eine vielleicht ungegründete Besorgniß rege machen könnte, zumal da die Anzahl der sogenannten Augen-Hypochonder eine sehr bedeutende ist. Das eine und andere der genannten Symptome findet sich wohl auch bei Krankheiten von viel geringerer Bedeutung, und es ist nöthig, aus dem gegebenen Bilde nicht einzelne Züge herauszureißen, sondern dasselbe immer als ein Ganzes im Sinne zu behalten, um in dem einzelnen Falle einer ungegründeten Befürchtung nicht anheimzufallen. In zweifelhaften Fällen frage man eben bei Zeiten einen unterrichteten Arzt; es ist immer besser, hundert Mal zu fragen, wo es nicht nöthig wäre, als ein einziges Mal die Frage zu unterlassen, wo sie wirklich nöthig ist. –




Der Kampf der Hohenzollern mit dem Junkerthum.
Nr. 1. Die Quitze.

Am Morgen des 24. Juni 1412 hatten sich die Bürger der alten Hauptstadt Brandenburg im schönsten Festesschmuck vor den Thoren aufgestellt. Eine zahlreiche Volksmasse wogte in den engen Gassen auf und nieder und drängte sich besonders nach der Wittenberger Straße, denn auf dieser erwartete das Volk den neuen Landeshauptmann der Mark Brandenburg, den Burggrafen Friedrich VI. von Nürnberg, der endlich Ordnung und Recht in der verwahrlosten Mark wieder herstellen sollte.

Kaiser Sigismund hatte den Burggrafen, seinen alten, treuen Freund, für viele und wichtige Dienste, mit der Landeshauptmannschaft der Mark betraut und ihm das volle Souverainetätsrecht über dieselbe mit allen Herrschaften und Lehnen übergeben, mit dem Versprechen, daß er, wenn er jemals die Mark zurückfordern solle, dies nur gegen eine Entschädigung des Burggrafen durch die Summe von 100,000 Goldgulden thun wolle.[1]

Jetzt kam der Burggraf, um die Herrschaft seines Landes anzutreten. Die Bürger freuten sich des neuen Herrn, und als nun Friedrich an der Spitze eines kleinen Reiterzuges, begleitet durch den Herzog Rudolph von Sachsen und seinen Unterstatthalter, den Edlen Wend von Ileburg, erschien, da empfingen ihn freudig strahlende Gesichter, aber kein lauter Jubelruf erschallte, wie ihn der neue Herrscher erwartet hatte. Schweigend ließ die zahlreich versammelte Volksmenge den Landeshauptmann vorüber reiten.

Friedrich schlug seine Residenz in der Burg auf; er ließ sofort einige angesehene Männer aus Brandenburg zu sich entbieten, um von ihnen Auskunft zu erhalten über die Stimmung des Volkes, über den seltsamen Empfang, der ihm geworden. Wohl ahnte er, welche Gründe die Bürger von Brandenburg zum Schweigen veranlaßt hatten, denn es war längst sein Bestreben gewesen, sich genau mit den Verhältnissen des Landes, dessen Wohl und Wehe ihm jetzt anvertraut war, gewissenhaft bekannt zu machen; aber er wollte sich nicht auf die vielleicht parteiisch gefärbten Berichte verlassen, welche er in Süddeutschland erhalten hatte.

Der Bischof von Brandenburg, Henning von Bredow, der Edle Wend von Ileburg, der Provisor des Klosters, Engelbert Wusterwitz, ein gelehrter Mann, der Geschichtsschreiber jener Zeit, der treffliche Abt des Klosters Lehnin, Heinrich Stich, erschienen vor dem Burggrafen und gaben ihm auf sein Verlangen eine wahrheitsgetreue Schilderung der Zustände, welche in der Mark herrschten, eine Schilderung, welche wohl jeden Andern, als den thatkräftigen, kühnen, selbstbewußten Friedrich von Hohenzollern, von dem Versuche abgeschreckt hätte, Ordnung in die chaotische Verwirrung der Verhältnisse zu bringen.

Die Mark Brandenburg war damals ein gänzlich vernachlässigtes Stück deutscher Erde; seit vielen Jahren hatte das unglückliche Land nur dazu gedient, seine Fürsten zu bereichern. König Sigismund von Ungarn, der die Mark von seinem Vater, dem Kaiser Karl IV., geerbt, hatte dieselbe seinem Vetter Jobst von Mähren, einem geldgierigen Geizhals, verpfändet, und dieser suchte nun während seiner ganzen Regierung aus dem ohnehin armen Lande, der Streusandbüchse des heiligen römischen Reichs, so viel Steuergelder zu pressen, als irgend möglich. Um die Regierung der Mark bekümmerte er sich gar nicht, er überließ dieselbe seinen schwachen Statthaltern.

Ein Zustand vollkommener Gesetzlosigkeit war die natürliche Folge. Wer die Gewalt besaß, der hatte auch das Recht. Der schloßgesessene Adel kümmerte sich bald gar nicht mehr um den Landesfürsten, er lebte frei auf seinen stolzen Schlössern, sammelte auf denselben eine Schaar raubgieriger Knechte und führte mit diesen unaufhörliche Kriege gegen die Städte und selbst gegen die der

  1. Das alte Märchen, Friedrich von Hohenzollern habe die Mark Brandenburg für die Summe von 100,000 Gulden von Kaiser Sigismund gekauft, erhält sich noch bis heute in vielen Geschichtswerken. Der um die märkische Geschichtsforschung so verdienstvolle Niedel hat jedoch auf das Klarste bewiesen, daß die sogenannte Verpfändung der Mark nur ein Scheingeschäft gewesen ist. Sigismund wählte diese Form der Schenkung, um den etwaigen Einsprüchen seines Bruders Wenzel zu begegnen. Die Belehnung der ersten Hohenzollern mit der Mark war lediglich ein Act der Dankbarkeit des Friedrich vielfach verpflichteten Sigismund.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 713. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_713.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)