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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

No. 46.   1862.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen.    Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Der Junker von Hohensee.

Eine alte Geschichte.
Von Edmund Hoefer.
(Fortsetzung.)


3. In Sturz und Sieg.

„Na, wird der Teufel ein Aff’, oder ist das der Herr Felix?“ Das waren die Worte, die meinem Herrn Onkel Gerold, Baron von Ehrenswärdt, höchst malapropos und nur in der maßlosen und unangenehmen Ueberraschung entfuhren, als ich am zweiten Weihnachtstage 1790, Nachmittags drei Uhr, zu den Meinen in’s Cabinet trat, wo, wie üblich an solchen Festen, nach der verlängerten Mittagstafel der Kaffee getrunken wurde. – „Beides, mein Herr!“ versetzte ich schier atempo; „der Herr Felix kommt, um dem Herrn Teufel das Spiel zu legen, das er letztlich ein wenig zu lustig zu treiben scheint.“ – Weiter kam’s nicht, denn in dem Augenblick war mein Bruder neben mir und küßte und knuffte mich lachend und meinte: „Charmant gegeben, Felix! Schlag auf Schlag!“ Und der Vater und Onkel Hans Peter wurden mobil, kamen hinter dem Tisch hervor und hießen mich mit einer Art von aufleuchtendem Blick willkommen; Schwager Büren, die Schwestern, ein paar schon heranwachsende Kinder – Alles drängte sich herzu, sogar die Mutter war aufgestanden und sah mir entgegen. Es war Alles da und Alles nahm mich leidlich freundlich auf – da war der Herr Gerold für’s Erste vergessen.“

So begann der Junker die Fortsetzung seiner Erzählung nach einer längeren Pause, während welcher wir unsere Pfeifen frisch gefüllt und angebrannt und einen langen Ausblick auf unsere Umgebung gethan, plaudernd dabei über dies und jenes. Denn so lebhaft und anschaulich der Alte auch erzählte – so anschaulich, daß ich die ferne Zeit vor mir aufsteigen und ihre Menschen wieder aufleben sah – eigentlich erregt war er dabei nicht geworden, geschweige denn wirklich bewegt oder ergriffen. Nur als er von jenem brutalen Angriff des Onkels berichtete, hatten seine Brauen sich flüchtig zusammengezogen, und ich erkannte wohl, wie jener Schlag und jener Blutstropfen noch heut auf seiner Wange brannten. Bei der Erzählung von den Briefnachrichten hatte er nachdenklich gesprochen, als grüble er noch jetzt über meines Vaters Worte – endlich aber war die Fortsetzung in einem gewissen leichteren, ja humoristischen Ton von ihm begonnen worden, und in dem gleichen redete er nun auch weiter.

„Ich kam zum Sitzen und Umherschauen – die Meinen, wiederhole ich, waren Alle da, so viele von ihnen, wie nur selten in dem alten Nest vereinigt gewesen sein mochten – nur Livia fehlte. Das war mir so unerklärlich, so unglaublich – wir sind zuweilen dumm, Vetter! – daß ich mich ganz bestürzt noch einmal umschaute, die Mienen der Verwandten musterte, die natürlich von meinen Gedanken nichts ahnen konnten und ziemlich bunt durcheinander und auf mich einredeten. Aber das Resultat war das gleiche – sie war nicht da, in keinem Winkel! – Und da schüttelte ich den Kopf und guckte meinen Bruder an und sagte endlich: „Wo ist denn aber Deine Frau, Julius?“ – „Felix, Du bist eben ein Felix – siehst Du, mein Schulsack hat noch einige classische Reste in sich!“ versetzte er munter lachend und schlug mir auf die Schulter, denn er saß neben mir. „Das ist eben der Witz von ihr und Dir – sie hat mir vorgestern einen Buben bescheert, und Du sollst morgen bei ihm Gevatter stehn, ’s war schon ausgemacht, daß Schwager Büren Dich vertreten sollte; nun ist’s noch besser.“ – „Gratulire, gratulire!“ sprach ich halb mechanisch und schüttelte ihm die Hand. „Und geht’s der Mutter denn so gut, daß Du heut schon von ihr gingst?“ – „Na, was sollte ihr denn fehlen, Brüderlein?“ fragte er wieder lachend zurück. „Unsere Weiber sind noch nicht so schwach, wie Du sie auswärts gefunden haben magst. Es ist Alles mit ihr in bester Ordnung, und sie hat gestern genug gejammert, daß ihr der Doctor noch das Aufstehen untersagte und von der Taufe am heutigen Tage nichts wissen wollte. Morgen ist sie aber, das hab’ ich ihr versprochen – der Dollenius zieht über den Aufschub so schon ein schiefes Gesicht. Der Dollenius ist auch da, Bruder,“ plauderte er fort, „und so werden wir morgen in Sollnitz noch vollständiger bei einander sein, so, wie wir lange nicht gewesen. Felix, es war ein Prachteinfall von Dir, gerade heut zu kommen. Vivat Hohensee und die dazu gehören!“ Und animirt, wie er war, ließ er nicht nach, bis Wein herein gebracht und die Gläser gefüllt wurden.

Die Anderen sperrten und zierten sich nicht, sondern tranken tapfer mit. Die Fidelität war allgemein, selbst die Mutter und der Onkel Gerold waren in ihrer Weise heiter, und ich – ich fühlte mich in einer gewissen sentimentalen Bewegung. Denn ich war nach solcher Zeit wieder einmal im alten Nest, nicht mehr wie bisher gleichsam ein verschlagener Vogel; das hat doch immer einen tiefen, ernsten Reiz. Und endlich – ich empfand daneben auch mit einer Art von wirklichem Glück, was Julius vorhin über die endlich erzielte Vereinigung aller Familienglieder gesagt. Es war richtig genug. Seit Mariens Hochzeit, das heißt also damals seit achtzehn Jahren, waren wir nicht einmal mehr Alle zugleich daheim gewesen.

In diese Heiterkeit hinein trat der alte Christian, der Leibjäger meines Vaters, mit verstörtem Gesicht und brachte meinem

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 721. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_721.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)