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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

jung macht und zurückführt in die Blumengärten des eignen Herzens.

Ist die Weinblüthe gesegnet vorüber, so setzen sich grüne Perlchen an, die von Woche zu Woche voller werden. Aber noch üppiger treibt der Stock in Blatt und Ranken. Da ist es Sache des fürsorgenden Winzers, dem üppigen Wachsthum weise Schranken zu setzen, damit nicht, die Hauptkraft des Wachsthums in das Laub gehe, sondern auch den Trauben zu gute komme. Da fällt manche schöne Rebe unter der brechenden Hand, selbst manche Traube aus Unachtsamkeit. Darum der Winzerspruch: „die ersten Früchte bekommt die Kuh.“ Sauber stehen nun die Stöcke mit Stroh geheftet, und von den Geländen hängt keine überflüssige Ranke mehr herab. Da, ein neuer Feind! Es sind die Gewitter. Fast keine Woche vergeht, daß es nicht schwarz und drohend herauf zieht, und je größer die Hitze, desto besorgter der Winzer. Ein einziger Schloßenschlag, und die ganze Jahreshoffnung und darüber hinaus ist vernichtet. Aber auch die Gewitter ziehen gnädig vorüber. Es blitzt und donnert, fruchtbarer Regen rauscht herab, aber der erquickt mehr, als daß er schadet. Da umlagert allmählich ein schwerer Panzer den Weinstock. Schon vermögen die dünner werdenden Blätter die Frucht nicht mehr zu verdecken. Manch Weinblatt ist vorn Winzer selbst geknickt worden, damit mehr Sonne zu den Trauben gelange. Endlich zieht auch das letzte Gewitter gnädig vorüber.

Da von hoher sonniger Lage rollt Donner durch das Thal, und ein roth Fähnlein flaggt lustig auf hoher Stange. Die erste „läuternde“ Traube ist entdeckt. Allgemeiner Jubel. Auf allen Bergen, in allen Gärten sucht man nach ähnlichem blauen Glück. Die nächsten Tage erneuter Donner, endlich von allen Bergen. Der Weinstock zieht überall sein blaues Röcklein an. Jetzt möchte der gute Winzer schon wieder bei der Vorsehung angestellt sein, um möglichst warmes Wetter zu beschaffen, damit die reifenden Trauben auch süß gekocht und dünnschälig werden. Und immer blauer wird es in den Bergen, immer schwerer lastet der fuchsgeleckte Gutedel vom Gelände. Ein neuer Feind! Magister Spatz ist es, die schwatzhafte Elster und der gelehrige Stahr. Am unverschämtesten treibt es der Erstere. Er ist der schlaueste Weindieb im ganzen Vogelgeschlecht. Stundenweit kommt er mit zahlreicher Familie aus weinärmerer Gegend daher, und erst nach Wochen zieht er dickgemästet und von der Herbstsonne ganz braun gebrannt in die Heimath zurück. Schallende Klappern, grausige Hampelmänner, bedenkliche Netze sind ihm alsbald völlig überwundene Standpunkte. Sein aufgeklärter Geist durchschaut nur zu bald diesen Schwindel menschlichen Witzes. Ergötzt sich Frau Elster an einem schmackhaften Träublein, so kann sie es nicht über’s Herz bringen: die ganze Welt muß davon wissen. Auch Freund Stahr kann nur selten den Schnabel halten. Wie anders Magister Spatz! Nicht einen Piep erzählt der Kerl von seinem Glücke. Selbst die Klapper in allernächster Nahe, wo die gesammte Vogelwelt entsetzt davon schwirrt, ist für ihn nicht da. Er schmaußt ruhig weiter. Er weiß sich zu gut versteckt. Dabei ist er Gourmand und Verschwender in einer Person. Nur die schwärzesten und reifsten Körnlein hackt er an. Das möchte sein. Mit drei oder vier könnte er zufrieden sein, er braucht nur jedes Korn vollkommen auszutrinken und das Fleisch zu verzehren; aber nein, angehackt, ein, zwei Mal getrunken und zu einer frischen Beere. Ist solche einmal geöffnet, besorgt die Insectenwelt das Uebrige.

Abermaliger Donner auf den Bergen. Die fröhliche Weinlese nimmt ihren Anfang. Jetzt erst, nachdem die Traube in der Botte, die Spille der Presse knarrt, der Most kühlig hervorrauscht, die Fässer gefüllt und in die Keller gerollt werden, kann der Weinbauer sagen: „Nun will ich mit dankerfülltem Herzen mein Haupt sorgenlos auf’s Kissen legen, denn Gottes Gnade hat wunderbar gewacht das ganze Jahr über und mir reichen Segen gegeben.“

Nach Jahr und Tag aber zündet er ein Licht an und steigt, ohne Jemandem ein Wort zu sagen, hinab in den Keller. Hier unbelauscht, in schweigender Stille, steckt er eins der Fäßlein an und füllt davon ein Fläschchen. Der junge Wein perlt geklärt im Glase, und der Winzer hält ihn wohlgefällig gegen das Licht, und noch wohlgefälliger läßt er die Perlen schlürfend und prüfend über die Zunge gleiten und schmunzelnd flüstert er: „Ein kostbar Weinchen!“ Wenn aber ein Weinbauer also kostet, so soll er solches nicht allein thun; sondern auch dem deutschen Dichter ein Gläschen einschenken. Dieser wird dasselbe ebenfalls gegen das Licht halten, prüfend kosten und – trinken, dann aber begeistert rufen:

Aus der Traube in die Tonne,
Aus der Tonne in das Faß,
Aus dem Fasse – welche Wonne!
Durch die Flasche in das Glas,
Aus dem Glase in die Kehle,
In den Magen durch den Schlund,
Aus dem Blute zu der Seele,
Aus der Seel’ als Wort zum Mund;
Aus dem Munde etwas später
Schwingt sich ein begeistert Lied,
Das durch Wolken zu dem Aether
Mit der Menschheit Jubel zieht.
Kehrt der traute Frühling wieder,
Senken sich die Lieder fein
Auf die lieben Reben nieder,
Und sie geben wieder – Wein!




Rechtskunde für Jedermann.

Von Dr. jur. L. Erdmann
3.
Reparatur eines Galgens in Leipzig – Der Begriff des Diebstahls – Leichenraub kein Diebstahl – Was ist Funddiebstahl – Ein Beispiel –
Aufheben und Auffinden.

Wie oft auch schon gesprochen und geschrieben worden ist über die gute alte Zeit, so sind die Gebildeten in der Mehrzahl doch zu dem Resultate gelangt, daß die Gegenwart die beste von allen bisherigen Zeiten sei. – In der gepriesenen guten alten Zeit gründete sich die Strafgesetzgebung, nach einer Hauptrichtung hin, auf die Theorie der Abschreckung, und es waren daher die Strafen für Vergehen oder Verbrechen oft sehr harte und grausame. Die peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karl’s V. hat viele Strafen, die heutzutage ganz abgeschafft sind, wie z. B. das Feuer („mit dem fewer vom leben zum todt gestrafft werden“), das Pfählen („lebendig vergraben und gepfelt werden“), Ertränken[1] („mit dem Wasser vom leben zum todt gestrafft werden“), Rädern von oben oder von unten („mit dem rade durch zerstoßung seiner glieder vom leben zum todt gericht und fürter öffentlich darauff gelegt werden“), Vertheilen („durch seinen ganzen leib zu vier stücken zerschnitten und zerhawen und also zum todt gestrafft werden, und sollen solche viertheyl auf gemeinen vier wegstraßen öffentlich gehangen und gesteckt werden“), Ausschneiden der Zunge, Abhauen einer Hand, Abschneiden der Ohren u. s. f. – Sie verhängt die Todesstrafe über manche Verbrechen und Vergehen, die wir jetzt als leichtere, oft nur als Uebertretungen bezeichnen. Während sie den einfachen Diebstahl mit einer Geldbuße oder mit Kerker bedroht, kommen bei schwereren Fällen Steigerungen zum Staupbesen, zur Landesverweisung und nicht selten zum Strange vor. – So stand denn auch in Deutschland fast bei jedem Orte ein Galgen – das Hochgericht – für alle Fälle bereit. Derselbe wurde natürlich durch die Einflüsse der Witterung und der Zeit schadhaft und mußte deshalb dann und wann reparirt werden.

Charakteristisch für die damaligen Begriffe war das bei dem Neubau oder der Reparatur des Galgens eingeleitete Verfahren. Man hielt es für schimpflich, an einem derartigen Baue zu arbeiten, und deshalb mußten, damit Keiner dem Anderen einen Vorwurf seiner Thätigkeit dabei machen könne, alle Mitglieder der betreffenden Innungen Hand anlegen. So erzählt uns Vogel in seinen Annalen von Leipzig Folgendes:

„Am verwichenen neuen Jahrs-Marckt (1687) ist zu Leipzig auf der Niclasstraße im Gasthof zum blauen Hecht durch drei Juden und zwei Brüder, deren einer ein Pferdehändler, der andere ein Reiter war, ein Diebstahl in’s Werk gerichtet und an 3000 Reichsthaler gestohlen worden. Weil man nun den Reiter, der im besagten Gasthof wohnte, und seinen Bruder, der bereits vorm Jahre wegen entführter Kotzen[2] aus dem Lazareth in Verhaft

  1. Diese Todesstrafe war besonders für Frauenspersonen bestimmt.
  2. Decken von grobem Zeug.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 726. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_726.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)