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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

genommen worden, wenig Gutes zutrauete, hat man sie beiderseits benebst den Juden, nach einigen starken Muthmaßungen, gefänglich einziehen lassen. Als nun nach Geständniß beider Brüder die Juden torquirt worden sind, hat der eine die That bekannt, die anderen beiden aber haben zwar anfänglich Nichts gestehen wollen, sondern alle Classes in der Marter ausgestanden; nachdem ihnen aber zum anderenmal die Marter zuerkannt worden, haben sie gleichfalls bekennet. Da nun dem ersten im Urtheil der Strang zuerkannt, hat man ihm den 2. April den Tod angekündiget und, daß er sich taufen lassen solle, ermahnet. Zu dem Ende die beiden Herren Archidiaconi ihm seinen Irrthum vorzustellen und zum christlichen Glauben zu bekehren versuchet worden, so auch öfters zu ihm auf’s Rathhaus in die Commission- oder Armensünderstube gegangen, aber nichts ausgerichtet. Inzwischen ließ E. E. Rath das baufällige hohe Gericht zu repariren Anstalt machen, zu welchem Ende den 6. April – war Mittwochs – morgens um 5 Uhr alle Zimmerleute und Mäurer, Meister und Gesellen, sich im Zimmerhofe auf dem Neumarkt versammelt, und nachdem sie wegen der Präcedenz (Vorantritt) streitig geworden, hat dieses zuvor unternommen und geschlichtet werden müssen, darauf sie gedachten Tages gegen 9 Uhr in folgender Ordnung und zwar erstlich die Zimmerleute in vier Rotten getheilt, von denen Meistern geführet, mit einer blau, gelb und weißen Fahne, 132 Mann stark, die Meister ungerechnet, dann die Mäurer an 100 Mann stark, von dem Rathsmäurer angeführt, gleichfalls mit einer blau, gelb und weißstreifigen Fahne, hinauszogen. Voran ritten der Churfürstlich Sachs. Amts-Landrichter, E. E. Raths Obervoigt und Zimmermann, diesen folgeten ein Lehrjunge mit einer Axt, daran blau und weiß Band geknüpft war, und zwei Trommelschläger. Nach geschlossenem Kreise vorm Gerichte that gedachter Landrichter eine kurze Rede, daß es denen Handwerkern nicht sollte zum Schimpf und Nachtheile gereichen, so daran arbeiteten. Hierauf that der Landrichter, dann der Obervoigt, welcher auch im Namen des Raths denen Handwerkern Schutz versprach, den ersten Hieb in’s Holz und in die Mauer, denen folgten alle Meister und Gesellen. Nach diesen ward ein Gerüste um das Gerichte gemacht und dasselbe zu repariren angefangen. Abends nach 6 Uhr zogen sie allerseits in Ordnung, und zwar vom Obervoigte allein geführet und die Mäurer zuerst, herein, folgenden Tages nach 5 Uhr zogen sie wieder aus und hatten die Mäurer den Vorzug, Abends nach 6 Uhr wieder herein, da die Zimmerleute den Vorzug hatten. Mittwochs, nach der Predigt, um halb 9 Uhr, zogen sie wieder hinaus, und waren abermals die Zimmerleute beim Aus- und die Mäurer beim Hereinzug die Ersten. Selbiger Zeit wurden neue Balken eingelegt, das Gemäuer berappet, geweihet und roth eingefaßet, auch ein Schnellgalgen vor den auf den Hals sitzenden Juden angebauet. Unter währender Reparition hat sich den 7. April, Mittags um 12 Uhr, einer von den drei Juden in seinem Gefängniß auf dem Rathhause an einem Lappen, so er vom Hemde herunter gerissen, aus Desperation erhenket. Der Körper ward vom Nachrichter abgeschnitten, zur Stadt hinausgeschleift und unter das Gericht verscharret. Der andere Jude, so nächst diesem in Verhaft saß, ward den 16. ditto um den Markt herum, die Catherstraßen hinunter, den Brühl hin, die Ritterstraße hinauf, zum Grimmischen Thore hinaus mit Ruthen gestrichen und hernach in’s Zuchthaus gethan. Dergleichen Lohn empfingen den 19. Mai die beiden Brüder, so mit den Juden bei gedachtem Diebstahl intereßiret waren. Der dritte Jude, Adam Seidler genannt, ward den 12. August dieses Jahres, dabei er alles evangelischen Unterrichts und genügsamer Ueberführung ungeachtet auf seinem verkehrten und verstockten Sinn blieb, durch den Strang vom Leben zum Tode gebracht und an den neuangebaueten Schnellgalgen aufgeknüpfet.“

Unsere heutigen deutschen Gesetzgebungen kennen keine Todesstrafe mehr für Eigenthumsverbrechen. – Einen Diebstahl begeht nach ihnen, wer wissentlich und widerrechtlich eine fremde bewegliche Sache wider den Willen ihres Inhabers aus dessen Gewahrsam oder Inhabung, jedoch ohne Anwendung von Gewalt gegen Personen, hinwegnimmt, um sich oder Anderen einen unerlaubten Vortheil davon zu verschaffen. Hat die entwendete Sache keinen Schätzungswerth, ist also ein Schwefelhölzchen oder eine Stecknadel entwendet worden, so schließt dies den Begriff des Diebstahls, nach einigen Gesetzen, aus, obgleich immerhin eine strafbare Beeinträchtigung fremden Eigenthums übrig bleibt. Daher ist auch in diesem Sinne die Entwendung von Leichen oder Theilen davon aus Gräbern, wie sie der Drang nach Befriedigung des Wissensdurstes mitunter herbeigeführt hat, kein Diebstahl (weil hier ein eigentlicher Schätzungswerth nicht vorhanden ist), sondern ein selbstständiges Vergehen. Aus der Begriffsbestimmung folgt, daß man an seiner eigenen Sache keinen Diebstahl begehen kann, selbst wenn sich dieselbe in fremdem Gewahrsam, etwa als Pfand, befindet. Ein derartiges unberechtiges hinwegnehmen wird jedoch dem Diebstahl gleich gerechnet und bestraft, wenn es in der Absicht geschah, dem Inhaber die Sache oder deren Werth dessenungeachtet noch abzufordern. Wenn aber Jemand seine eigene Sache, indem er sie für eine fremde hält, entwendet, so begeht er zwar ebenfalls keinen Diebstahl, kann indessen wegen Versuches desselben bestraft werden, denn er hatte die Absicht, die Sache eines Anderen sich zuzueignen, und nur der Zufall führte ihm die seine in die Hände.

Da man, um Diebstahl zu begehen, eine Sache aus dem Gewahrsam, dem Besitz eines Anderen hinwegnehmen muß, so geht daraus hervor, daß die Erlegung des Wildes auf fremdem nicht umschlossenem Gebiete (Wilddiebstahl) kein Diebstahl, vielmehr eine andere Art verbrecherischer Beeinträchtigung fremder Rechte ist, wogegen ein wirklicher Diebstahl begangen wird durch Erlegung oder Einfangen solcher Thiere, welche sich in Thiergärten, Wildparken oder Fischteichen – da solche ebenfalls eine Art des Gewahrsams bilden – befinden. Wilde Thiere, die in ihrer natürlichen Freiheit leben, sind an sich herrenlos und gehen erst durch die Erlegung und Besitzergreifung (Occupation) in das Eigenthum über, doch kann das Eigenthum solcher herrenlosen Sachen, bei welchen nach den Gesetzen ein ausschließliches Recht der Zueignung in Bezirken oder auf einzelnen Grundstücken besteht, nur von dem Berechtigten durch Besitzergreifung erworben werden.

Der unrechtmäßige Vortheil, den sich der Dieb durch seine Uebertretung, sein Vergehen oder Verbrechen verschaffen will, muß nicht ein Vermögensgewinn, sondern kann ebensogut jeder andere Genuß oder Vortheil, z. B. die Befriedigung der Rachbegierde[1] und dergl. sein. Daß der Dieb nicht zu seinem, sondern zum Vortheil eines Dritten stiehlt, macht ihn vor dem Gesetze nicht besser und strafloser. Jener wunderliche Heilige, der den Reichen das Leder stahl, um den Armen Schuhe davon zu machen, war trotz seiner menschenfreundlichen Absichten ein wahrer Dieb. Auch diejenigen Gesetzbücher, welche beim Diebstahl die Wegnahme einer Sache zum Vortheil eines Anderen nicht ausdrücklich erwähnen, gehen selbstverständlich von demselben Gesichtspunkte aus, denn wenn man Etwas für einen Dritten entwendet, so eignet man sich solches zunächst selbst an, um dann an dem Weitergeben irgend einen Genuß zu haben, sei es auch nur den, Jemandem eine Freude zu bereiten, wie St. Crispin. – Der Diebstahl ist entweder ein einfacher oder ein durch erschwerende Umstände ausgezeichneter. Diese letzteren bestehen darin, daß sich der Dieb an geweiheten oder dem Schutze des Publicums stillschweigend anvertrauten oder an solchen Sachen vergreift, die besonders schwer zu behüten und zu bewachen sind. Hierher gehören: zum Gottesdienst bestimmte Gegenstände, Grabstätten, öffentliche Sammlungen, Vieh auf der Weide, Wäschstücke auf der Bleiche, Reisegepäck in Posthäusern, Eisenbahnhöfen u. s. f. – Dann können aber auch die obwaltenden äußeren Verhältnisse den Diebstahl zu einem schwereren Verbrechen machen, z. B. wenn er verübt wird bei Feuersgefahr, Aufruhr, Tumult, bei eingetretener Nachtzeit oder Nachtruhe. Noch härter wird der Diebstahl bestraft, welcher begangen wird unter Anwendung von Gewalt gegen Sachen, als Erbrechen von Thüren, Einsteigen in Gebäude, Aufsprengen verschlossener Behältnisse, Anwendung falscher Schlüssel oder sonstiger Werkzeuge, ingleichen bei einer Feuers- oder Wassersnoth an dem geborgenen Gute selbst. (Ausgezeichneter Diebstahl im engeren Sinne.)

Da zum Begriffe des Diebstahls gehört, daß Etwas aus dem Gewahrsam, der Innehabung, dem Besitze einer anderen Person entwendet wird, so ergiebt sich, daß das Ansichnehmen einer gefundenen Sache, um solche für sich zu behalten, kein Diebstahl sei. Es ist vielmehr der sogen. Funddiebstahl eine Art der Unterschlagungen. Eine solche wird begangen, wenn man eine fremde bewegliche Sache, in deren Besitz man sich befindet, dem Eigenthümer

oder dem sonst Berechtigten rechtswidrig entzieht, um sich oder

  1. Das Königl. Preuß. Obertribunal hat in einer Entscheidung vom 18. März 1857 sich dahin ausgesprochen, daß der Begriff des Diebstahls wegfalle, wenn die Gewinnsucht ausgeschlossen sei.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 727. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_727.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)