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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

stehen bleiben und dann des Anderen lachend vorgebrachte Worte vernehmen: „Ei guckt doch – versunken wie ein Liebespaar!“

Livia erröthete glühend, mir zogen sich die Finger der Hand zusammen, als müsse ich im nächsten Moment den Frechen zu Boden schlagen. Allein es mag nur mein Blick von dieser Regung meines Innern gezeugt haben, – der Baron verfärbte sich wenigstens, obgleich er sein Auge nicht von mir abwandte – dann war ich schon wieder gefaßt und warf ihm ein: „Nicht wahr, Cousine, gesprochen wie – Baron Gerold?“ entgegen. – Er lenkte ein. Herantretend bot er mir mit einer Art von Bonhomie die Hand und sprach mit anscheinend wohlwollendem Blick und Ton: „Also kennst Du mich doch noch, Herr Neffe! Wir sind sonst lange genug von einander gewesen und uns auch Weihnachten so wenig begegnet. Ich fürchtete fast, Du würdest mich ganz vergessen haben, zumal wir erst heut Morgen hörten, daß Du, und zwar schon seit acht Tagen, hier. Da mußte ich doch nach Dir sehen, Deine Mutter und Schwester schicken mich auch. Und nun frage ich: wie ist’s? Hilfst Du uns den Braten, den ich schon gesehen und für den ich danke, morgen verzehren?“

Das ging so schnell und geschlossen hin, als hätte er es extra für mich zurecht gedacht und auswendig gelernt. Der Mann, die Weise, der Ton, Alles und Alles mißfiel mir gründlich, und ich mußte mich ernstlich zusammennehmen, um meiner Empfindung nicht ganz und gar den Zügel schießen zu lassen. „Ich habe lange keine Gelegenheit mehr gehabt, zu erfahren, ob ich in Büzenow willkommener als vordem sein würde, Herr Onkel,“ erwiderte ich mit einer steifen Verbeugung. „Jetzt werde ich aber nicht ermangeln, von Ihrer Einladung Gebrauch zu machen, – nur morgen bedauere ich. Ich habe mich schon nach Liebenhagen, bei Onkel Hans Peter, angemeldet.“ -– „Ei, davon weiß ich ja noch gar nichts!“ schob mein Vater ein, die unschuldige Seele, der Baron aber sagte in seiner ganzen bösen Weise und mit einem schiefen Blick auf Livia, die schweigend neben uns stand: „Nun, für Herrn Hans Peter läßt man sich schon aufgeben!“ und ich endlich replicirte: „Sie wissen wohl, Herr Onkel, daß ich früher mehrere Jahre in Karlshof und Liebenhagen leben mußte und dort eigentlich mehr daheim bin, als hier.“ – „Das ist verständlich,“ meinte er, das Haupt neigend; „nun, ich muß fort. Also, wenn Du wiederkommst, Herr Neffe, sehen wir Dich wohl drüben? A revoir! – Kommt Ihr mit, Schwager?“ – Und nachdem er mit dem Vater sich einige Schritte entfernt hatte, denn ich zögerte, ihm zu folgen, und Livia blieb neben mir, – wandte er sich im Gehen und rief der Letzteren zu: „Daß ich’s nicht vergesse – Julius kommt übermorgen, schöne Nièce!“ – Sie sah auf und ihm ruhig entgegen. „Danke, aber ich wußte das schon,“ versetzte sie kühl.

„Hast Du wirklich im Sinn, nach Liebenhagen zu gehen?“ fragte sie mich, als wir so langsam den Beiden nachgingen. – „Das habe ich freilich,“ antwortete ich ernst. „Es ist ein schneller, aber fester Entschluß. Ich möchte Büren’s sehen –“. – „Die triffst Du nicht, sie sind zur Hochzeit nach G. gefahren,“ unterbrach sie mich, „und werden noch nicht zurück sein.“ – „Nun gut, so bleibe ich bei Deinem Vater und dem Magister,“ redete ich weiter; „den Einen sprach ich kaum, den Anderen seit fast fünf Jahren nicht.“ „Du verdienst ein Gotteslohn um meinen armen alten Papa,“ bemerkte sie gedrückt. „Wollte Gott, ich könnte mit Dir hinüber, Felix!“ Sie blieb fortan still und – ich will sagen gedämpft, denn das war es.

Am folgenden Morgen war ich früh auf den Beinen und ging in den Stall, um nach meinem Pferde zu sehen und das Aufsatteln zu befehlen. Da ich zurückkam, sah der Vater mit der weißen Schlafmütze und seiner langen Pfeife aus dem Fenster, und Livia ließ eben den Frühstückstisch für mich unter der Linde neben der Hausthür aufstellen. Sie sah frisch und rosig aus und begrüßte mich auf das Heiterste, und da ich sie wegen des Frühaufstehens schalt, meinte sie lachend, sie sei um diese Zeit stets auf und heut natürlich um so eher, da sie mit mir noch über den Vater und Liebenhagen plaudern wolle. Für mich möge es aber schwer sein, da ich mich sonst immer noch zwei Stunden im Bett strecke. So redeten und scherzten wir, sie gab mir ihre Aufträge für den Vater und machte dabei die sorgliche Hausfrau. Ich hatte sie niemals anmuthiger gesehen.

Es war ein prachtvoller Morgen, voll solcher Frische und solchem Glanz, voll solcher Himmelsbläue und so kühlem, kräftigem Duft des jungen Laubes, der Frühlingsblumen auf den beiden Rabatten, die damals – der einzige poetische Einfall, den meine Mutter vielleicht jemals gehabt – nahe vor dem Hause, hinter der Ausfahrt angelegt waren, daß es einem das Herz weit und leicht machen mußte. Von rechts herüber grüßte und winkte der Wald, der zu jener Zeit noch nahe an den Hof herantrat; über den Feldern links jubelten die Lerchen; die Hügeldüne vor uns lag mit ihrem hohen Wipfel wie in Licht gebadet. Kurz, ich selber habe meine Heimath niemals lieblicher und zugleich anmuthiger vor mir gesehen. Und da sagte Livia, die das Alles einen Augenblick träumend angeschaut, mit einem strahlenden Lächeln und einem wahrhaft verklärten Gesicht: „O Felix, an solchem Morgen ist’s mir immer, als müßt’ ich hinauf und hinaus in alle Lüfte, so froh, so leicht, so namenlos sehnsüchtig und glückselig! Ach und dann auf einem leichten Wagen sitzen, mit raschen Pferden in’s Land hineinfahren, scherzend, jubelnd, jauchzend – es wäre himmlisch! Wie beneid’ ich Dich um Deinen Ritt! Warum kann ich nicht mit Dir!“

„Warum kann ich nicht mit Dir!“ – Mein Freund, das waren so einfache, so unschuldig gemeinte, so unbefangen gesagte Worte, und dennoch waren sie es, die in meinem freien Herzen den Schmerz und Gram heraufbeschworen, die für sie und mich der Anfang eines Elendes waren, das man selber durchgemacht haben muß, um seine volle, Alles lähmende, Alles vernichtende Wucht und Schwere zu begreifen. „Warum kann ich nicht mit Dir!“ – Warum kann sie nicht mit mir? klang es in mir nach; warum sitzt sie da nicht bei dir, vor euerem eigenen Hause, an eurem eigenen Tisch, als dein eigen, dein Glück und Segen, dein Weib, wie es einmal sein sollte und sein konnte? Warum kannst du nicht mit ihr hinausziehen und diesen Herzensjubel, der dir jetzt entgegenklagt, in seiner reichsten Fülle, in seiner vollsten Seligkeit von Lippen klingen, aus dem Herzen sich aufschwingen hören, das dein ist und sein tiefstes Glück von dir empfängt? – Seht, Vetter, so wucherte es in mir auf, jäh und furchtbar rasch – ich muß eigentlich sagen: es war Alles mit einem Male da und fertig! Und hart, drückend hart daneben stand der Gedanke: sie ist deines Bruders Weib, und für dich ist Alles vorüber! –

Mir war Herz und Kehle wie zugeschnürt von diesen mich in einzigem Schwall überstürzenden Bildern und Gedanken. Ich nickte nur zu ihren Worten, ich stand auf und ging, dem im Fenster liegenden Vater die Hand zum Abschied zu bieten; ich kehrte zu ihr zurück und gab auch ihr die Hand und sah sie an – freundlich wollt’ ich, und traurig ward es, denn im Innern weint’ ich, so zu sagen, blutige Thränen über das zauberhaft emporgestiegene Bild meines verlorenen Paradieses. Und Gott weiß, was es war, das auch sie plötzlich still und trübe gemacht, ihr Auge wie schwermüthig und bangend dem meinen begegnen ließ – war es die Trauer über den vergeblichen Jubel, oder die Sehnsucht in die Ferne, noch Glück und Genügen, oder war es ein sympathetisches Fühlen, Ahnen, Verstehen dessen, was in mir vorging? –Gott weiß es, wiederhole ich! – „Viele, viele Grüße!“ sagte sie weich und gedämpft; ihre Hand glitt leise aus der meinen. Ich nickte ihr noch einmal zu, wandte mich, saß auf und ritt vom Hofe, stumm drinnen und draußen.

Der Morgen war prachtvoll und mein Weg der angenehmste fast ganz durch den duftenden, üppig grünen Wald, Alles dazu geeignet, das Herz wieder leicht und den Kopf frei werden zu lassen. Allein an mir ging es diesmal spur- und wirkungslos vorüber, mein Traum blieb gleich wüst und schwer, meine Trauer gleich dumpf, und wie sehr ich strebte, was ich versuchte, mich emporzureißen aus all den qualvollen Gedanken, es gelang mir nicht. Das Bild, wie ich mit ihr, dem jubelvollen, glücklichen jungen Weibe, diesen Weg hinausfahren könnte, wenn ich mein Glück nicht auf das Leichtsinnigste verscherzt, verließ mich nicht, und zum ersten Mal in meinem Leben erfüllte mich eine glühende Sehnsucht, durch ein anderes Wesen beglückt zu werden und ein anderes Wesen glücklich zu machen, – das Schönste zu bieten und das Schönste zu empfangen, was dem Menschen erlaubt und bestimmt ist.

Die Freude des alten Onkels über meinen Besuch war sichtbarer und größer, als ich erwartet; ich fand ihn überhaupt lebhafter, als sonst, wenn das auch leider die Folge seiner neuen Gewohnheit war, vom Morgen bis zum Abend der Weinflasche in einem selbst hier zu Lande unerhörten Maße zuzusprechen. Berauscht wurde er nicht, sondern nur animirt in seiner Weise, zuweilen freilich auch gereizt, und hiervon empfing ich noch am selben Morgen eine bittere Probe, als er zu mir, nachdem er die Grüße

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 739. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_739.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)