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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

brachte, daß in Milfund Township, acht Meilen von hier, die Indianer soeben eingebrochen, ihr blutiges Handwerk dort begonnen, und eine andere Abtheilung auf dem Wege hierher nach New-Ulm sei, trat sogleich die ganze wehrfähige Mannschaft unter die Waffen. Mir gab der Sheriff die erste Nachricht von der nahen Gefahr gegen zwei Uhr Nachmittags, und sogleich nahm ich meine zitternde Frau und meine drei Kinder und brachte sie nach dem Mittelpunkt der Stadt in ein Backsteinhaus, und somit in verhältnißmäßige Sicherheit. In immer größeren Schaaren kamen im Laufe des Nachmittags die Flüchtlinge an und erhöhten durch ihr Jammergeschrei die Angst und Verzweiflung der Unsrigen. Barrikade auf Barrikade wurde gebaut! Scheunenthüren, Wagen, Steine, Alles diente zur Verrammelung der Eingänge der Stadt; Jeder half – Männer, Frauen, Kinder, Greise, Jeder trug etwas herbei. Ein junges, schönes Mädchen, die Königin unserer Tanzvergnügen, Miß Sara O’Kelly, feuerte durch ihr Beispiel selbst die Muthlosesten an, und unter glühend heißen Sonnenstrahlen vollbrachte sie die schwersten Arbeiten zum Schutz der Ihrigen und ihrer Vaterstadt. Der Nachmittag verging in banger Erwartung, und die Nacht brach herein, eine Nacht der Angst und Verzweiflung; doch ging auch sie ruhig vorüber – wenn auch kein Auge sich schloß. Es brach der 19. August an, und früh, fünf Uhr Morgens, riefen die Glocken der Thürme zum Gebet. Auf offenem Platze, inmitten der Stadt, fiel die ganze Einwohnerschaft auf die Kniee, und der Geistliche der Stadt, Superintendent Godell, erflehte im heißen Gebet den Schutz des Höchsten auf die Verzweifelnden herab. Gestärkt nach dem kurzen Gottesdienste trat die Bürgerwehr auf ihre Posten, und Alles war bereit zum Kampfe. So wurde es fast Mittag. – Da plötzlich sahen wir in der Ferne Rauchsäule nach Rauchsäule aufsteigen, und die Kennzeichen der Annäherung der entmenschten Feinde wurden immer unverkennbarer. Ich eilte nochmals nach dem Hause, das meine theuersten Schätze barg, um mir durch ihren Anblick neuen Muth zu holen. Wohl eine Stunde war ich da, da – welch Geschrei – über die Häuser hinweg – welcher Angstruf von Frauen und Kindern! – Ich öffnete das Fenster und reckte den Kopf hinaus und noch gellt mir der Schreckenston in die Ohren, den ich vernahm, noch höre ich das kreischende Geschrei von tausend Stimmen – den Schrei: Die Indianer kommen! Noch einmal drückte ich meine laut weinende Frau an mein Herz, herzte meine Kinder – vielleicht zum letzten Male – empfahl sie der Sorge des Höchsten und eilte hinaus, um meiner Pflicht nachzukommen.

Mit Mühe gelingt es mir, die Treppe zu erreichen, der Andrang zu dem massiven Hause war unglaublich; ich stürze über Alles hinüber, erreiche die Hausthür in dem Augenblick, als die erste Büchsensalve der Indianer die Luft erzittern macht, und – welcher Anblick wird mir! – Dicht an den Stufen der Treppe, die zur Hausthür führt, liegt – von der ersten feindlichen Kugel getroffen, jene Miß Sara O’Kelly – die am Tage vorher so brav und tapfer ihre Kräfte der Vertheidigung der Stadt lieh. In ihren schönen Zügen war bereits der Tod zu lesen, doch athmete ihre Brust noch. Ich beugte mich zu ihr herab – sie erkannte den Freund in mir und bat mit sterbender Stimme, sie zu verbergen und ihren Eltern ihren Tod zu melden. Ich trug sie durch den feindlichen Kugelregen zu dem Hause ihrer Eltern, die schon in der entsetzlichsten Angst über ihr Ausbleiben waren; zu arm und schwach ist die Feder, das Jammergeschrei der Mutter zu schildern, die in ihr das einzige Kind, die Stütze und Freude ihres Lebens verlor. Noch einmal schlug sie in deren Armen ihre Augen auf, dann enteilte ihre Seele, um an Gottes Throne für die Errettung der Ihrigen zu bitten.

Die Indianer hatten ihre Stellung trefflich gewählt. Die Stadt wird nämlich nach Westen von einer kleinen Anhöhe beherrscht, und von diesem Punkte herab sandte die eine Abtheilung ihre tödtlichen Geschosse mitten in die Stadt, während die Hauptmacht am Nordende erschien. Hier wurde sie von zwei Compagnien Bürgerwehr empfangen, die muthig den Eingang von den Barrikaden aus vertheidigten. Zu bemerken ist, daß die Indianer sämmllich mit ausgezeichneten Büchsen bewaffnet waren, während zwei Drittel unserer Leute nur Doppelflinten hatten, eine bei solchem Kampfe fast ganz unnütze Waffe. Die Vertheidigung unserer Stadt wurde unter der trefflichen Leitung von Major Flandran geführt. Er selbst führte eine Compagnie Bürger gegen den Hügel vor, nahm nach kurzem Kampfe den wichtigsten Platz ein und besetzte die dort stehende Windmühle. Der Kampf in der Stadt währte bis zum Abende. Schwere, finstere Gewitterwolken hatten den Horizont umzogen, und tiefe Dämmerung senkte sich auf Flur und Stadt. Schon am Morgen waren Staffetten nach allen Richtungen abgegangen, und mit banger Sehnsucht sah jedes Auge der erbetenen Hülfe entgegen. Da – endlich knattern ferne Schüsse – nochmals – und abermals, und eine aus 60 Mann bestehende Compagnie zu Pferde erreicht im entscheidenden Moment die Stadt, als gerade der Feind, die eintretende Dunkelheit benutzend, theilweise die Stadt umschleicht, eindringt und die von ihm genommenen Häuser in Brand steckt. Mit Hülfe dieser von St. Peter kommenden Mannschaft gelang es uns, den Feind überall zurückzutreiben, und um 8 Uhr Abends waren wir wieder im vollen Besitze der Stadt. Das Gewitter entlud sich mittlerweile in aller Furchtbarkeit, und der niederströmende Regen verlöschte bald die rasch um sich greifende Feuersbrunst. Die Nacht ging ruhig, ungestört vorüber, doch kam kein Schlaf in die Augen der geängsteten Einwohner, die in jedem Heulen des Sturmes das Heulen und Jauchzen der Indianer zu vernehmen meinten. Die wiederkehrende Sonne erst gab den Meisten Muth und Kraft zurück.

Trotz des heißen mehrstündigen Kampfes hatten wir nur acht Todte und zwölf Verwundete, während wir den Verlust der Indianer auf zwanzig bis fünfundzwanzig Todte und circa dreißig Verwundete taxirten. Unsere Todten zu bestatten, war die traurige Arbeit des frühen Morgens, doch ließ uns die beständige Furcht vor der baldigen Wiederkehr der Barbaren keine Zeit zu größerer Feierlichkeit. Ein großes Grab nahm sieben gefallene Helden auf, und nur die liebliche Sara O’Kelly bekam ein eigenes; es war ein feierlicher Augenblick, als die Erde ihre Todten aufnahm und bedeckte, und jetzt bezeichnet nur ein einfach daraufgewälzter Stein die theure Stätte, wo sie ruhen.

Mittwoch, Donnerstag und Freitag ließen uns die Wilden in Ruhe, und Viele gaben sich schon dem Gedanken hin, daß die Gefahr vorüber sei. Es war aber nur eine kurze Frist, ein kurzes Aufathmen, das uns der Himmel gestattete, ehe wir der Uebermacht erliegen und der Untergang New-Ulms erfolgen sollte. Schon brachten Freitags, den 22. August, ausgesandte Boten die schreckliche Nachricht, daß jetzt Chippeways und Sioux sich wirklich verbunden hätten und eine Streitmacht von 800 Mann auf dem Wege nach New-Ulm sei. Ich bekenne unsere Ohnmacht und die Verzweiflung nach diesen auf uns einfluthenden Nachrichten und dem, was unser Auge fortwährend schaute, die immer in Schaaren ankommenden Flüchtlinge von nah und fern. Aufgescheucht von den Zeugen der haarsträubenden Metzeleien, Zeugen, die zum Theil in ihren klaffenden Wunden und verstümmelten Gliedern die gräßlichsten Spuren der Tomahawks der rothen Wütheriche an sich trugen, betäubt und besinnungslos von Schrecken, welche durch das Angstgeschrei der Weiber und Kinder, durch das Bewußtsein der Wehrlosigkeit, durch die Ungewißheit, von wo und wann der Feind komme, vermehrt ward und sich zu kopflosem Entsetzen steigerte, eilten oft halb nackt, immer aber nur mit spärlicher Habe versehen, die Männer der umliegenden Farmen fort von Haus und Heerd, zu deren Vertheidigung sie bereitwillig das Leben in die Schanze geschlagen hätten, wenn nur von irgend einer Seite her eine Hoffnung sich gezeigt, daß der Widerstand gemeinsam und planmäßig geführt werde.

Die Indianer erschienen zum zweiten Male am Sonnabend Morgen und zwar, wie uns richtig gemeldet war, an 7–800 Mann stark. Ich war eben dabei gewesen, unsere werthvollsten Sachen in einen Koffer zu packen, um ihn in die Mitte der Stadt in Sicherheit zu bringen, sah mich darauf nach Hülfe um, ihn fortzutragen, fand aber keine. Da er zu schwer für mich allein war, mußte ich ihn stehen lassen, um nur mein eigenes Leben vor dem schon näher und näher rückenden Feind in Sicherheit zu bringen. Von dem mir anvertraueten Posten konnte ich genau mein stolz sich erhebendes Haus und den dasselbe umschließenden Garten sehen. Es war das erste, von dem die Indianer Besitz ergriffen, und wohl eine Stunde lang schossen sie darauf; als sie es darauf verließen, um weiter vorzudringen, legten sie Feuer hinein – und vor meinen Augen ging mein schönes Eigenthum in Flammen auf. Einen Augenblick schnürte der Schmerz meine Brust zusammen und Thränen umflorten mein Auge, war es doch die Frucht meines jahrelangen redlichen Strebens und Schaffens und meine und meiner Kinder Heimath. Wer konnte indeß wissen, wie bald nicht der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 745. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_745.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)