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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Hochholzer mit der Hebung des Ludwig beauftragten. Dieser wollte ihn nach der alten Art mit Ketten emporwinden. Da derselbe aber auch den Gebrauch der Taucher verschmähte, vielmehr durch Verschlingung das Schiff mit seinen Ketten und Drahtseilen zu fassen und so emporzuheben suchte, so passirte ihm das Mißgeschick, daß er nicht das Schiff an beiden Enden unten, sondern nur Steuer, Glockenstuhl und dergleichen faßte, hauptsächlich aber die Bauer’schen Hebetonnen erwischte und nun so gewaltig an ihnen zog, daß eine heillose Wirthschaft auf und an dem Schiff dadurch angerichtet wurde. Nach des Tauchers Schroff Erzählung lag und schwamm auf der ganzen Länge des Schiffs Alles durcheinander. Da waren die Haufen der Hochholzer’schen Ketten und Drahtseile und Taustücke, die Bauer’schen Fässer bedeckten zum großen Theil in Trümmern den Boden, zum Theil hielten sie noch fest an ihrer Verbindung, wie zu einer vierten Auferstehung bereit, noch andere lagen neben dem Schiff am Boden, zum Theil noch fest gekettet, aber eingesandet; zwischen den Fässertrümmern, halbverfaulten Stricken und Säcken mit dem ganz verfaulten Getreide des Verdecks spießten empor und ragten durcheinander und über das Schiff hinaus die durch die Hochholzer’sche Kraftentwickelung losgesprengten Balken, Geländer und andere Schiffsstücke; namentlich bot Vorder- wie Hintertheil des „Ludwig“ einen trostlosen Anblick: das Steuer und seine Verbindung vollkommen abgebrochen, das Verdeck an dieser Seite aufgerissen, und ebenso am entgegengesetzten Ende der Glockenstuhl mit Allem, was mit ihm zunächst zusammenhängt, in Trümmer verwandelt, und an und zwischen all diesem Trümmerwerk und Durcheinander das lose Tauwerk nach allen Seiten hinhangend oder mit dem aufgeregten Wasser spielend. – Jedoch nicht diese neue Mehrbelastung des „Ludwig“ durch die Reste der verschiedenen Hebeversuchsapparate trat jetzt der Arbeit störend entgegen; auch diese Mehrlast war zu überwinden; die Verwüstung auf dem Schiffe machte es jedoch den Tauchern unmöglich, an dem Schiff zu arbeiten, die überall vom Verdeck herausragenden Holz- und Eisentheile, die herumhängenden Ketten und Taue, die herumzüngelnden vielen Strickenden bedrohten bei jeder Annäherung an das Schiff den Taucher mit der Gefahr, mit dem Luftschlauche oder dem Tragtau oder der Signalschnur in dem Gewirr hängen zu bleiben und sich selbst die Verbindung mit oben, den einzigen Lebensfaden des Tauchers, abzuschneiden.

Darum mußte vor Allem das Schiff von seiner störenden Belastung befreit werden, eine schwierige Aufgabe, die jedoch, wenn zur Erprobung der Erfindung nun einmal gerade dieses Schiff gehoben werden sollte, auch vollbracht werden mußte. Leider nahm dieselbe von der für die Arbeit auf dem See immer kostbarer werdenden Zeit abermals zehn volle Tage – und wie viel Geld, welche enorme Kosten! – in Anspruch, mehrere andere wurden durch Ungunst des Wetters der Arbeit entzogen. Es wurden durch die Taucher viele für die Hebung unbrauchbar gewordene Fässer, der Anker, Glockenstuhl und andere Theile des Ludwig, viele Ketten und Drahtseile emporgefördert und alle sonstigen Hindernisse für die Befestigung der Ballons und Kameele beseitigt, alle Gefahren für die Taucher entfernt. Es war damit aber auch der ganze October vergangen und so mit Mühen und Kämpfen und mit Ausgaben, welche die von der Nation gebotenen Mittel bereits erschöpft hatten, endlich die Möglichkeit herbeigeführt, an die Hebungsarbeit selbst zu gehen.

Man wird es unserm W. Bauer, dem durch solche an Leib und Seele zehrende Thätigkeit abgehetzten Manne, mit nur einiger Billigkeit nicht zum Vorwurf machen, daß er jetzt, trotzdem er mit seinem Unternehmen bereits in den November hineintrat, Alles und auch sein ganzes eigenes Vermögen daran setzte, kurz, daß er ein Wagstück beging, um noch in diesem Jahre sein Ziel zu erreichen. Wenn wahre Theilnahme ihn von allen Seiten gleich mit dem Beginn seiner Arbeiten begleitet hätte, wenn die Menschen, für deren Wohl er seinen Kampf mit bis jetzt unbesiegten Kräften der Natur aufnahm, ihn mit dem edlen Willen, diesen Kampf ihm möglichst zu erleichtern, nach ihren Kräften unterstützt hätten, wenn man mit rechter Einsicht und Freudigkeit an einem neuen Sieg des Menschengeistes über die Materie ihm an die Hand gegangen wäre, so würde Alles ganz anders gekommen sein. So aber hat der eine Mann den ganzen Kampf allein bestehen müssen, – und es giebt Menschen, die ihre Genugthuung darüber kaum verbergen können, daß er nicht gesiegt hat.

Da Bauer jetzt, wo er den eigentlichen Hebeact vorbereiten wollte, sich durch die Erklärung der baierischen Generaldirection der Verkehrsanstalten störend beengt fühlte, so erkannte er es als eine wohlthätige Entlastung der Seele, daß König Max ihm den „Ludwig“ zur Erprobung seiner Erfindung ganz und gar überließ und die bairische Regierung sich nur vorbehielt, s. Z. nach glücklicher Hebung sowohl das Schiff als die bewährten Hebeapparate „abzulösen “.

Am 1. November, denselben Tag, an welchem eine tückische Zeitungsente die „überraschend schnelle“ Hebung des Ludwig ausschrie, begannen die Taucher mit der Befestigung der Ballons, nachdem das Nachpumpen der noch brauchbaren 22 Fässer schon vorher geschehen war, und rasch ging nun die Arbeit vorwärts, so daß in fünf Tagen zwei Kameele in den Vorderfenstern und fünf Ballons bei der Maschine und an der Hinterkajüte befestigt und letztere aufgepumpt waren und am Mittwoch, den 5. Nov., Nachmittag die Hebung selbst bevorstand. In diesen Tagen war Bauer von den Bürgern aus Rorschach und St. Gallen mit der größten Freudigkeit unterstützt worden, Turner und Feuerwehr arbeiteten beharrlich an den Luftpumpen, während die Bauer’sche Mannschaft mit der Bewältigung der Kameele (jedes wiegt über 7 Centner) und sonst beschäftigt war. Schon mehrere Tage zuvor hatte Bauer sich telegraphisch nach Lindau um die Stellung eines Schleppdampfers gewendet; die (vorausbezahlte) Rückantwort ließ 36 Stunden auf sich warten; während deß war es Bauer gelungen, ein Dampfschiff aus Friedrichshafen zu erhalten, und dieses war eben in Sicht des Arbeitsschiffes Bauer’s, als auch das Lindauer Anerbieten zur Dampferstellung anlangte. Eine große Zuschanermasse bedeckte ein zweites Dampfschiff aus Friedrichshafen, und im großen Kreise um den versunkenen Ludwig schwammen stark besetzte Boote und Gondeln aus den schweizerischen und deutschen Bodenseehäfen. Aller Augen richteten sich nach den beiden Signalstangen, die gleichsam auf der Oberfläche des See’s das tiefe Wogengrab des unseligen Ludwig abstecken.

Nachdem der würtembergische Dampfer vor Anker und an zwei Schleppseile gelegt war, befahl Bauer das Aufpumpen der Kameele am Vordertheil des Schiffs, – der Augenblick ist endlich da – die trefflichen Luftpumpen senden mit ruhiger Gewalt ihre Luftströme in die Tiefe – tiefes Schweigen, alle Blicke auf der Fluth – jetzt – eine Bewegung der Signalstangen – Bauer’s Seele jubelt, denn das Schiff ist im Steigen begriffen: – da geschieht, was die Zeitungen bereits aller Welt verkündet haben, – da entschlüpft plötzlich ein Kameel Zaum und Strang und springt frei und ledig an das Licht empor. Die Schnelligkeit und die Gewalt war furchtbar, mit der diese Tragkraft von 780 Centner sich durch das Wasser Bahn brach und noch über die Oberfläche emporsprang; ja für die Gondeln verursachte dieser Kameelsprung in der That – wie die St. Galler Zeitung sagt – einen Seesturm in optima forma. Nur ein Wunder hat Unglück verhütet.

Der erste Eindruck dieses Unfalls war auf alle Zuschauer, trotz der Neuheit der Erscheinung, aus Theilnahme für Bauer ein niederdrückender, auf diesen selbst aber ein niederschmetternder; trotzdem verlor der vom Mißgeschick gehärtete Mann keinen Augenblick seine Fassung, seine Geistesgegenwart. Und schon nach wenigen Minuten trat bei allen Anwesenden die Ueberzeugung hervor, welche die St. Galler Zeitung aussprach. Sie sagt nämlich: „So störend dieser Zwischenfall wirkte, so liegt doch gerade in dieser Erscheinung (der furchtbaren Gewalt, mit welcher das Kameel sein Netz von Banden durchbrochen hatte) die Garantie für die große Kraft desselben und für die Richtigkeit des Bauer’schen Systems.“

Da der Abend nahe und an einen sofortigen Ersatz für das entsprungene Kameel nicht zu denken war, so stellte Bauer, nachdem er letzteres wieder gebändigt und geborgen hatte, für diesen Tag die Weiterarbeiten ein. Am andern Morgen ging er selbst zum Ludwig hinab, um die Ursachen des gestrigen Unfalls zu untersuchen.

Sie lagen mit dem ersten Blick auf die verlassene Stelle des Kameels klar da. Die Kameele werden nämlich durch ein Netz von starken Gurten umschlossen, und an den Ausgängen der Gurte befinden sich unten die Haken zum Befestigen des Kameels am Schiffe. Die Entfernung dieser Gurthaken von einander entsprach jedoch nicht der Entfernung der Kajütenfenster, in die sie hätten befestigt werden müssen; deshalb befestigte Bauer an die Kajütenfenster eine zwölf Fuß lange Schmiedeeisenstange von 3½ Zoll Durchmesser und an diese das Kameel. Dabei war jedoch Eines übersehen worden, und das ist unsers Bauer’s ehrlich eingestandene

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 760. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_760.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)