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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Schuld am Mißlingen der Hebung: er hatte nicht berechnet, daß am Ludwig, als einem Schiff von älterer Construction, Maschine und Radkasten weit nach dem Vordertheil hin angebracht sind und daß die Kameele deshalb am Radkasten ein Hinderniß bei ihrer Ausdehnung finden würden. So geschah es aber. Sobald die Kameele sich mit Luft zu füllen begannen, stießen sie und stemmten sie sich am Radkasten an, schoben sich auf der Eisenstange vor, bogen diese, die wachsende Kraft strebte nach oben, und es bedurfte nur das Aufgehen einer Gurtnaht, um dem Kameele Gelegenheit zu geben, all seine Gewalt gegen diesen einen ihm günstigen Punkt zu richten, – es riß die ganze Gurtnaht auf und entschlüpfte seinen Banden, blieb aber bei dem ganzen Vorgang unverletzt. Da mit dem zweiten Kameel dasselbe drohte, so ließ Bauer es sofort abnehmen. Warum aber Bauer überhaupt zum Heben hier sogleich die Kameele mit benutzte, das soll im zweiten Artikel erklärt werden.

Es würde jetzt vor Allem wohl einer Aenderung an den Gurten bedurft haben, um die Hebung von Neuem zu ermöglichen. Dazu gehörte aber das, was nun jeden Tag theurer wurde, – Zeit. Von allen Seiten vor der sehr nahen Wendung des Wetters gewarnt, sogar von einem Manne, der die Leiche seines Sohnes mit im gesunkenen Schiff weiß, dringend von der Fortsetzung der Arbeiten abgemahnt, mußte Bauer sich entschließen, jetzt entweder das Aeußerste zu wagen, d. h. falls die Winterstürme rasch hereinbrechen sollten, selbst das Hebematerial am Schiffe nicht mehr retten zu können und beim halben Heben (erklärt im nächsten Artikel) Schiff und Material zugleich preiszugeben – oder die Arbeiten für dieses Jahr einzustellen. Nach schwerem, bitterem Kampfe siegte das Gewissen, das ihm sagte, daß er weder das Leben der Taucher noch das von Nationalgeld beschaffte Hebungsmaterial wagen dürfe, – und so gab er den Befehl zum Abnehmen und Bergen des letzteren. Nach zwei Arbeitstagen fuhren am Freitag, den 7., Abends die beiden Arbeitsschiffe in den Hafen von Rorschach ein, und der See war so freundlich, in der Nacht zum Sonnabend mit einem seiner wildesten Stürme den Entschluß Bauer’s zu feiern und ihm den Glückwunsch aller Redlichen und Verständigen zu erwerben.

Schließlich darf nicht verschwiegen werden, daß auch von den Tauchern selbst Mancherlei verschuldet worden ist und daß auch in dieser Beziehung Bauer Erfahrungen gemacht hat, die ihm beim nächsten Hebeversuch zu Statten kommen werden.

Das war der Verlauf und das Ende der Herbstarbeiten am Taucherwerke. Im nächsten Artikel werden wir unseren Lesern auch eine Zeichnung des von Bauer abgelotheten Terrains von der jetzigen Lagerstelle des Ludwig bis zum neuen Hafen von Rorschach mittheilen, um ihnen Bauer’s Hebeplan vollkommen klar darlegen zu können. Dort sollen dann auch die einzelnen neuen Versuche und Erfahrungen Bauer’s bei dieser Arbeit offen mitgetheilt werden. – Das hier Vorliegende möge vor Allem dazu dienen, die hämischen Zeitungsberichte gegen Bauer, die nur darauf angelegt sind, das ganze Unternehmen zu verdächtigen und wenigstens auf dem Bodensee und am Ludwig zu unterdrücken, in das rechte Licht zu stellen. Die Richtigkeit von Bauer’s Hebeprincip ist erprobt, und die Hindernisse, die sich ihm bis jetzt noch entgegenstellten, sind zu überwinden; darum sei es unser gemeinsamer und entschiedener Entschluß: nun erst recht das Werk zu fördern und ihm zum Sieg zu helfen – trotz alledem und alledem!





Deutsches und englisches Geschäftsleben.

Von H. Beta in Berlin.

Mit der Zeit, den Eisenbahnen und Dampfschiffen, welche die Menschen immer häufiger und massenhafter durcheinander würfeln, werden auch die verschiedenen Völker mehr von einander lernen. Bis jetzt machen sie in dieser Schule des Lebens und Verkehrs freilich noch keine besonderen Fortschritte, und leider kommt es uns vor, als wenn die Deutschen neuerdings am meisten zurückblieben. Man beeilt sich zwar, französische Moden und Narrheiten möglichst schnell nachzuäffen, englische Medicin-Pfuschereien und sonstigen Schwindel ein- und die Leute damit anzuführen; aber just die Vorzüge der Franzosen und die Tugenden der Engländer scheinen bei uns nicht recht Wurzel fassen zu wollen. Um die Hauptstädte zu vergleichen, so ist der Pariser durchweg wirklich höflich und gefällig, der echte Berliner aber meist unerträglich grob und frech mit dem Mundwerke. Es wird keinem Franzosen, nicht einmal einem Engländer, einfallen, im engen vollen Omnibus sein nicotingiftiges Unkraut den Damen in’s Gesicht zu stänkern. Bei den Berlinern ist diese Unverschämtheit Regel und zwar auch mit Cigarren, das Tausend für drei Thaler. Noch weniger wird sich auch der gemeinste Pariser Straßenjunge oder der zerlumpteste Katharinen-Radschläger in London erlauben, öffentliche Orte zu verunreinigen. In Berlin bilden diese Frechheiten aller Stände die einzigen Bewässerungs-Anstalten im staubigen Sommer. Wo die bessern Stände solche Beispiele von Schamlosigkeit geben, kann es uns nicht wundern, daß der eigentliche Pöbel an Rohheit und herausfordernder Beleidigung der guten Sitten und gebildeten Menschen die schmutzigsten Bodensätze aller andern größern Städte der Welt übertrifft. Ueberhaupt sind die Berliner in der ganzen Welt wegen ihres vorlauten Maules, des schneidenden Rasirmesser-Dialekts und des giftigen Witzes mehr oder weniger verrufen. In keiner Stadt der Erde giebt’s so viel verdrießliche, kalte Essiggesichter, als in Berlin. Sie sind immer etwas „giftig“ auf einander, und „sich giften“ ist eine ganz wesentlich Berliner Redensart. Dies ist physisch und moralisch richtig. Die Berliner hocken in ihren zahllosen „Mieths-Kasernen“ viel zu dicht neben, über und in einander. Alle Stände und Bildungsgrade wohnen ganz dicht zusammen in je demselben Hause. Der Professor, Dichter, Künstler, Geheimrath, General der ersten Etage muß mit Frau und Kindern die allergemeinsten Schimpfreden und Unfläthereien der Leute im Keller, im Hofe, im Waschhause mit anhören. Der Kaufmann oder Schneider oder Kanzlei-Secretär im zweiten Stock über ihm bringt ihn mit seinen claviermißhandelnden und opernarienkrächzenden Töchtern, mit den über ihm trampelnden und schreienden Kindern zur Verzweiflung, während die Miether parterre über jeden seiner Schritte fluchen, in immerwährender Wuth erhalten von dem Zank oder Dienstbotengeklatsche auf dem Hofe und dem häuser- und nervenerschütternden Wagengerassel auf dem spitzigen, löchrigen, schauderhaften Steinpflaster, von dem Staube und Rinnsteingestank der Straße, auf die sie kaum hinaussehen können, ohne irgend einen Flegel den Ort verunreinigen zu sehen, den man durch eine Warnungstafel eben schützen wollte.

Verhältnißmäßig glücklich wären vielleicht die Miether in der obersten Etage zu preisen, wenn nicht über ihnen noch Trockenböden und Holzgelasse allen 10–12–15 Familien des Hauses zugleich das Recht gäben, mit Holz-Pantinen über deren Köpfen zu wandeln, Holz hinauf und herunter zu tragen und dabei immer Stücke, auch manchmal den ganzen Korb fallen zu lassen. Auch kommt es vor, daß Leute nach zwölf Uhr des Nachts gleich oben Holz hacken. Die in je einem Hause zusammengepferchten Familien werden sich gegenseitig auch dann zur Last, wenn sie den besten Willen und die gebildetste Schonung für einander haben. Sie können sich aus den Hinterstuben in die Fenster sehen. Man hört, man behorcht sich gegenseitig. Durch die Dienstboten auf Vorder- und Hintertreppen, des Abends hinter dunkeln Hausthüren mit verdächtigen rothen Kragen und Schmalz-Töpfchen, wird Scandal, Klatsch, Verleumdung, Gift und Galle hin- und her-, auf- und abgetragen, geschürt, genährt, in Gährung gebracht. Zu den Kellern und Hinterhäusern wohnen Leute, die sich betrinken, schlagen, schimpfen. Zu den Familienkriegen unten bilden sich Zungengefechte aus den Hinterfenstern von 3 – 4 – 5 Etagen. Kinder schreien, Hunde bellen dazwischen. Von der Straße her dringt der Sandfuhrmann, der Schleifer, der Faßbinder, der Milchmann in den Hof, schlägt metallenen Lärm und ruft mit furchtbarer Stimme für alle Etagen und Familien zugleich. Hat der Wirth oder die Wirthin (Haus-Potentaten in der Regel von sehr untergeordneter Bildung und längst gährend Drachengift gegen alle ihre Unterthanen) etwas Ruhe gestiftet, wogegen die unterliegenden Parteien noch lange hinterher protestiren, so kommt natürlich der erste, zweite, dritte bis sechste und siebente Leierkasten und durchschallt alle Etagen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 761. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_761.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)