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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

noch dort, wenn die jetzige Geschäftskrisis nicht die Hälfte der jungen Leute beschäftigungslos gemacht hätte,“ erwiderte der Ankömmling in freimüthiger Haltung. „Ich hatte das Unglück, in einem der Häuser placirt zu sein, die ganz schlossen. Dann wandte ich mich nach Cincinnati, um mein Heil auf die eigene Brauchbarkeit hin zu versuchen, und erst als ich auch dort fand, daß alle Arbeitskräfte auf das Nothwendigste beschränkt werden, entschloß ich mich hierher zu gehen, wo das Geschäft noch flott sein soll, und mich Ihnen nach dem Wunsche meines Vaters vorzustellen.“

„Hm, hm!“ brummte der Bankier, mit halb zerstreutem Blick den Brief in seiner Hand zusammenfaltend, und wandte sich dann nach seiner Begleiterin. „Hier, Ellen, dies ist der Sohn unseres alten Freundes Behrend, dessen Du Dich wohl noch aus den Lebzeiten Deiner Mutter erinnerst!“

Die Dame wandte langsam den Kopf, und der junge Mann sah in ein jugendliches Gesicht voll durchsichtiger, aristokratischer Blässe, das indessen durch ein großes, dunkeles Augenpaar ein wunderbares Leben gewann. Sie ließ einen gleichmüthigen Blick auf die Züge des vor ihr Stehenden fallen und sagte dann, kalt den Kopf neigend, englisch: „Ich habe wohl kaum noch eine recht klare Erinnerung aus Deutschland, Pa!“ In das Gesicht des jungen Mannes aber war plötzlich ein helles Roth geschossen. „Wenn dies Fräulein Helene ist,“ erwiderte er wie in leichter Befangenheit, „so habe ich wenigstens noch eine deutliche Erinnerung an die dunkeln, böse zusammengezogenen Augenbrauen des kleinen Mädchens, das ich wider seinen Willen aus dem Wasser zog, aus dem es sich trotz der Gefahr durchaus selbst helfen wollte!“

Für einen kurzen Moment erhielten ihre Wangen einen Anflug von Farbe, und ihr Auge ruhte schärfer auf dem Gesicht des Sprechenden, „Wohl möglich,“ versetzte sie dann leicht, ihr Englisch beibehaltend, während ihre Züge wieder den Ausdruck der frühern Kälte annahmen, „es mag indessen eine ziemlich lange Zeit zwischen Ihrer Erinnerung und heute liegen!“

„Und währenddem sind aus Kindern Leute geworden,“ nickte der Alte mit einem Zuge leiser Satire um den Mund. „Sagen Sie, Mr. Webster,“ wandte er sich dann englisch an den Genannten, „hier ist der Sohn eines alten Freundes von mir, der bereits längere Zeit in New-York im Geschäfte gewesen ist; haben Sie selbst irgend eine Vacanz oder wissen Sie zufällig eine solche?“

„Ich denke, Sir,“ erwiderte dieser, sich nur halb zurückwendend, „wir haben bereits eine solche Menge unbeschäftigter und ganz tüchtiger junger Leute aus dem Osten hier, daß Sie Ihren Landsleuten rathen sollten, diese nicht noch zu vermehren!“

„Es ist im Grunde wirklich so,“ schloß sich Peters mit einem halben Achselzucken dem Ausspruche an, „indessen will ich Ihnen nicht alle Hoffnung nehmen, und wenn ich auch in meinem eigenen Geschäfte übervoll besetzt bin, so soll es mich doch jederzeit freuen, Sie, so oft Sie wollen, bei mir zu sehen – Bank der Versicherungs-Compagnie, Sir, die Ihnen jedes Kind zeigen kann und wo Sie mich immer bis drei Uhr Nachmittags finden werden!“ Er neigte leicht den Kopf und bot dem jungen Manne die Hand.

Dieser hatte sich bei der kühlen Entlassung zwei Secunden lang entfärbt, dann aber schien eine Art Scham über die unbewachte Regung in ihm lebendig zu werden. Er richtete sich plötzlich voll auf, legte mit einem kurzen englischen: „Ich danke Ihnen, Sir!“ das indessen ein rasches Zucken von Bitterkeit um seinen Mund nicht verbergen konnte, seine Finger in die dargereichte Hand und wandte sich dann mit einer flüchtigen, allgemeinen Verbeugung ab, rasch dem Orte wieder zustrebend, wo er sein Gepäck gelassen. Noch hatte er aber nicht die Linie des nach der Stadt wogenden Menschenstroms erreicht, als er sich am Arme gehalten fühlte und einen der Lastträger neben sich sah. „Mr. Peters wünscht Ihnen noch ein Wort zu sagen, Sir!“ hörte er; aber nur zögernd und erst nach sichtlichem innerem Kampfe folgte er der Aufforderung. Als er sich zurückgewandt, sah er, wie der Bankier ihm einige Schritte entgegengetreten war. „Entschuldigen Sie mich,“ sagte dieser, während ein eigenthümlicher Ausdruck, fast wie ein halber zurückgedrängter Spott, sich in dem steifen Gesichte zeigte, „ich wollte nur sagen, daß ich jedenfalls bestimmt darauf rechne, Sie bei mir zu sehen, da Sie mir doch Mancherlei über Ihren Vater erzählen müssen –“

„Wenn ich mich dafür lange genug in St. Louis aufhalten sollte, werde ich nicht verfehlen, Sir!“ erwiderte der Angeredete mit einer kalten Verbeugung; in diesem Augenblicke aber war die junge Dame ihrem Vater rasch nachgetreten, und der Sprecher sah einen so freundlichen Blick aus ihrem dunklen Auge auf sich fallen, daß er unwillkürlich seine neue Abschiedsbewegung unterbrach.

„Ich hoffe mit Sicherheit, Sie in unserer Privatwohnung zu sehen, Mr. Behrend – Sie sind doch der Joseph?“ sagte sie deutsch, während sich ein anmuthiges Lächeln über ihre Züge breitete, zugleich aber auch, ihr ganzes Gesicht verklärend, ein leichtes Roth in ihre Wangen trat.

Joseph fühlte den Eindruck, welchen dieses völlig veränderte Wesen des Mädchens auf ihn hervorbrachte, trotzdem aber konnte er sich auch des Gedankens nicht erwehren, daß es doch nur eine Höflichkeitsform darstelle, um die rücksichtslose Weise des Alten gegen ihn zu verwischen, und er vermochte nur mit einer neuen Verbeugung und einem gehaltenen: „Sie haben über mich zu befehlen, Miß!“ zu antworten.

Sie blickte einen kurzen Moment wie forschend in seine Augen. „Dann dürfen wir Sie morgen nach drei Uhr zum Mittag bei uns erwarten?“ fragte sie.

„Ich werde Ihre Freundlichkeit voll würdigen, Miß, wenn es mir bei den schlimmen Aussichten, die mir so eben gestellt wurden, möglich sein sollte, zwei Tage hier zu bleiben,“ erwiderte er ruhig, „jedenfalls aber hoffe ich auf das Glück, Sie, ehe ich gehe, noch einmal sehen zu können!“

Ihr Auge war wieder so ernst und der Ausdruck ihrer Züge so kalt als vorher geworden; fast schien es, als wolle sie noch ein Wort entgegnen, aber mit einem gemessenen Kopfneigen wandte sie sich schweigend ab.

„Well, Sir, das Geschäft natürlich vor allem Andern, und es ist immer am besten, man sieht sich die Dinge gleich mit den rechten Augen an, ohne sich unnütze Hoffnungen zu machen,“ sagte Peters, das glattrasirte Kinn reibend, „indessen muß ich, wie gesagt, noch das Nöthige über Ihren Vater hören, dann kann man auch vielleicht noch ein anderes Wort sprechen, und so lassen Sie mich nicht zu lange auf Sie warten!“

Behrend hatte auf’s Neue die knöcherne Hand des Alten in der seinen gefühlt und mit einem letzten unwillkürlichen Blick auf das Mädchen, das seine Gegenwart indessen kaum mehr zu bemerken schien, den Rückweg angetreten. Er fühlte sein ganzes Innere von dem Empfange und der rücksichtslosen Entmuthigung, die ihm geworden, wund; hatte er sich doch vorher eine so ganz andere Vorstellung von der eben stattgefundenen Begegnung gemacht – er wußte auch, daß ein anderes Benehmen seinerseits ihm gar nicht möglich gewesen wäre, und war mit sich völlig fertig, von dieser Seite nicht die kleinste Hülfe zu einem Unterkommen für sich mehr zu beanspruchen; trotzdem aber konnte er, wenn er an das Mädchen dachte, sich gerade dieses Benehmens halber einer leisen Unzufriedenheit mit sich kaum erwehren, und als er an dem freiwerdenden Flußufer den zurückgelassenen Schwarzen neben seinem Gepäcke erblickte, mußte er das Auge noch einmal nach der kaum verlassenen Gruppe zurückwerfen. Dort fuhr soeben neben der Office eine Equipage mit einem galonnirten Neger auf dem Bocke vor; der Dampfboot-Eigenthümer, in sichtlich angeregtem Gespräche mit dem Mädchen, öffnete selbst den Schlag, aber lachend kam sie mit einem leichten Schwunge seiner Hülfe beim Einsteigen zuvor; dann folgte der alte Peters, und Webster nahm zuletzt auf dem Vordersitze Platz.

„Muß es nicht ein schönes Paar geben, der Cornel und Miß Peters, Sir?“ fragte der herangetretene Schwarze, den Blick des jungen Mannes verfolgend, „und viel Geld, viel Geld auf beiden Seiten, Sir!“

„Ein Paar?“ fragte Behrend sich rasch zurückwendend, und als Jener mit einem: „Sicherlich, Sir, es ist schon allgemein bekannt!“ erwidert, drehte er sich langsam nach seinem Gepäck. Was ging ihn denn auch nur im Entferntesten eine solche Angelegenheit an? und doch war es ihm in demselben Augenblicke geworden, als sei ein heller Gedanke, der fast unbewußt ihm in der Seele gestanden, plötzlich verloschen. „Nach irgend einem anständigen Mittel-Hotel, Bob!“ sagte er in sonderbar gedrückter Stimmung und folgte dann dem rasch mit seinen Habseligkeiten vorauschreitenden Träger.

Das rege Leben und Treiben indessen, welches sich ihm beim Eintritt in die Straßen überall entgegenstellte und ein vollgültiges Zeugniß für das großartige, ungeschmälerte Geschäft der Stadt ablegte, ließ ihn für den Augenblick die gehabte Begegnung vergessen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 770. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_770.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)