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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

ist ein für allemal gebüßt. Läßt sich hier nicht bald etwas für mich finden, dann in Gottes Namen nach New-Orleans – mein Alter daheim soll wenigstens nicht sagen, daß ich vor irgend einem möglichen Schritte zur Erlangung meines Lebensunterhaltes zurückgeschrocken wäre. Die Cholera fürchte ich nicht, und das gelbe Fieber ist vorläufig noch nicht da!“

Er blickte nach seiner Uhr; noch waren zwei Stunden bis zu Mittag, und mit einem Nicken der Befriedigung wandte er sich nach seinem Koffer, um für die zu machenden Besuche die nöthigen Aenderungen an seinem Anzuge vorzunehmen. – –

Es war am Abend desselben Tages; schwere Wolkenmassen hatten den Himmel überzogen und schienen das Mondlicht, auf welches die nur zum Nothbedarf entzündeten Gasflammen in den Straßen schließen ließen, völlig ausgelöscht zu haben; dunkel und unhörbar flossen unten die Wasser des breiten Stroms, und nur die unabsehbare Reihe der Dampfbootlichter bezeichnete die Uferlinie. – Die Landung herauf stiegen zwei Gestalten und blieben auf der halben Höhe unweit eines Haufens aufgestapelter Frachtgüter stehen. „Alles in Ordnung, Wilson?“ klang es halblaut, nachdem ein vorsichtiger Rundblick des Fragers ihn von der völligen Einsamkeit des Ortes überzeugt zu haben schien.

„Alles, Sir!“ war die Antwort, „die Mehlfässer lagern im Schuppen, das Schweinefleisch und der Whiskey sind im Hofe untergebracht, und wenn uns nicht der Teufel geradezu ein Faß entzwei schlägt, so wird es als die prächtigste Ladung, die nur ein Boot getragen, den Mississippi hinunter schwimmen. Wollen Sie die Colli noch einmal genau nachsehen, so können Sie nachher mit gutem Gewissen Stück für Stück beschwören.“ Ein heiseres Lachen folgte den letzten Worten, aber eine hastige Bewegung des ersten Sprechers unterbrach es.

„Keine Thorheit, Wilson, so sicher man auch sein mag!“ rief dieser mit vorsichtig gedämpfter Stimme, während er von Neuem einen raschen Blick über die nächste Umgebung gleiten ließ; „ich werde jetzt allerdings die gesammten Stücke noch einmal mit der Liste vergleichen und danach morgen bei Zeiten die Versicherung vornehmen lassen. Ich wünsche indessen, daß, ehe dies geschehen ist und ich nach dem Boote komme, diese Ladung schon völlig an Bord gebracht sei, und dann erst die Verladung der fremden Fracht erfolge; auf so genauem Fuße ich auch mit dem alten Burschen von der Versicherungs-Bank stehe, so ist er noch ein Schnüffler, der bei jeder Versicherung selbst seine Nase so tief als möglich in die Güter stecken möchte. – Was nun aber das Weitere anbetrifft,“ fuhr dieselbe Stimme in noch sorgfältigerer Dämpfung fort, „haben Sie sich mit Butler über die beste Weise geeinigt, Wilson, damit jeder Fehlschlag zur Unmöglichkeit wird?“

„Ohne Sorge, Sir!“ lachte der Andere in seiner früheren unangenehmen Weise, „das Geschäft ist richtig arrangirt, und Sie können um so ruhiger sein, als wir nicht nur unseren Gewinnantheil haben, sondern auch unglücklichen Falles den Schaden mitzutragen hätten!“

Der Erstere nickte langsam und wandte sich dann mit einem: „So kommen Sie!“ der Höhe der Landung zu.

Als Beide sich kaum zehn Schritte von ihrem bisherigen Standpunkte entfernt hatten, löste sich von dem Haufen der Frachtgüter eine dunkele Gestalt los und folgte den Davongehenden vorsichtig durch die Finsterniß, bis die Letzteren sich der Reihe von Lagerhäusern, welche oben parallel mit dem Flusse sich hinzog, näherten und dort in den ungewissen Schein der Straßenlaternen traten. Hier versuchte der Nachfolgende, den sicheren, raschen Schritt eines zufällig Passirenden annehmend, die Voranschreitenden zu überholen, augenscheinlich um einen Blick in ihre Gesichter zu erhalten; in der nächsten Secunde aber verschwanden die Beiden in einer sich aufthuenden Seitengasse, und als Jener die Mündung derselben erreicht, starrte ihm ein völlig undurchdringliches Dunkel daraus entgegen. Er blieb stehen und wandte sich langsam wieder zurück. „Ich hätte darauf schwören mögen, daß es seine Stimme war; man braucht sie eben nur einmal im Leben gehört zu haben!“ brummte er nachdenklich und stieß beim nächsten Schritte gegen einen vom Flusse heraufkommenden Menschen, der indessen sofort mit einem schmiegsamen: „Bitte um Verzeihung, um Verzeihung, Sir!“ zur Seite wich.

„Halloh, Bob, seid Ihr das?“ rief Jener, und der aus dem Wege getretene Neger näherte sich, den jungen Deutschen vom Morgen wiedererkennend, mit zwei grotesken Verbeugungen. „Ihr könnt mir vielleicht Auskunft geben, ob morgen früh schon irgend ein Dampfboot nach New-Orleans geht?“ fuhr der Sprechende fort, „ich habe bereits umsonst versucht, eine bestimmte Auskunft darüber zu erhalten.“

„Weiß von keinem, Sir,“ war die bereitwillige Antwort, „unsere „Lilly Dale“ wird in den nächsten Tagen wohl überhaupt das einzige Boot sein, das die ganze Reise dahin macht.“

„So – dann werden wir also doch die Tour zusammen machen, Bob! Aber was ich dabei fragen wollte: War das wohl Colonel Webster, der vor einigen Minuten vom Boote herauf kam? ich meine ihn soeben gesehen zu haben, konnte ihn aber nicht mehr erreichen.“

„Glaube kaum, Sir, daß Mr. Webster Abends und bei dieser Dunkelheit ohne Noth hier herunter kommen würde,“ erwiderte der Schwarze kopfschüttelnd, „am Bord war er nicht, ich komme daher, Sir.“

„Hm – nun dann nur noch eine Frage: Kennt Ihr Jemand von den Bootbeamten oder der Mannschaft, der Wilson heißt?“

„Sicherlich nicht auf unserm Boote, Sir,“ gab der Befragte unter neuem Kopfschütteln zurück und mit einem nachdenklichen: „Bis auf Weiteres denn, Bob!“ nahm der Andere seinen Weg wieder auf.


(Fortsetzung folgt.)


Hamburger Bilder.

Von E. Willkomm.
Nr. 3. Die Börse in Hamburg.

Eine fast sprüchwörtlich gewordene Redensart sagt, Deutschland sei das Herz Europas, und nimmt man weniger Rücksicht auf die geographische Lage des Ländercomplexes, aus welchem unser Vaterland gebildet wird, als auf die ganz eigenthümlichen Charakteranlagen der gesammten deutschen Nation, so wird man diese Bemerkung für eine bezeichnende und vielfach zutreffende gelten lassen müssen. Ist es nun erlaubt, Kleines mit Großem zu vergleichen, so hat eine Welthandelsstadt von der Bedeutung Hamburgs die vollste Berechtigung, als den Mittelpunkt und Zusammenfluß aller sichtbaren und unsichtbaren Fäden ihrer den Erdball umspannenden Handelsthätigkeit die Börse zu bezeichnen.

Die Börse Hamburgs spielt aber nicht blos in der Handelswelt im Allgemeinen eine erste Rolle, sie ist auch für alle politischen Fragen und Begebenheiten, mögen sie von geringer Bedeutung oder von ganz unberechenbarer Tragweite sein, derjenige Ort, wo Jeder, sei’s für’s Haus und seinen Bedarf an individueller Bildung, sei’s für seine Geschäftsthätigkeit, die stets in einer gewissen Abhängigkeit vom politischen Barometer steht, fast zu jeder Stunde des Tages sich Raths erholen kann.

Nicht wöchentlich wenigstens einige Male „zur“ oder doch „an die Börse“ gehen, ist in Hamburg für Leute von Intelligenz beinahe gleichbedeutend mit gänzlicher Theilnahmlosigkeit an allen öffentlichen Angelegenheiten. Unbedingt nöthig ist allerdings der Besuch der Börse denjenigen, welche von den großen und kleinen Handelsströmungen nur hören, ohne persönlich von ihnen berührt zu werden, nicht, aber wünschenswerth bleibt er der großen Mehrzahl schon deshalb, weil er Allen gleich bequem ist, weil er schnell orientirt, weil er Jeden binnen wenigen Minuten mit den politischen Ereignissen der letzten vierundzwanzig Stunden nach allen Richtungen der Windrose hin bekannt macht. Die Börse sieht Alles, fühlt Alles, weiß Alles, was sich auf das eigentliche Weltleben im Ganzen und Großen bezieht. Ja, man kann sagen, daß sie die Gabe des zweiten Gesichtes in einer solchen Vollkommenheit besitze, wie alle Hochschotten zusammengenommen sie niemals hatten. Wären wir Kinder des neunzehnten Jahrhunderts nicht so ganz verboten aufgeklärt und so eingeweiht in alle tiefsten Geheimnisse der Natur, wir würden, gingen wir tagtäglich an die Hamburger Börse, trotz aller Philosophie alter und neuer Zeit, steif


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