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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

und fest behaupten, die weite, weite Welt sei erfüllt von ahnungsreichen Geistersehern.

Ein so wunderbares Institut, geschaffen von menschlicher Schlauheit und Divinationsgabe, etwas näher kennen zu lernen, verlohnt sich doch wohl der Mühe, zumal wenn man bedenkt, daß an Allem, was an der Börse getrieben, besprochen, eingeleitet und abgeschlossen wird, das Wohl ungezählter Millionen hängt, und daß ein einziger unbedeutender Rechnungsfehler in einem großen Speculationsexempel einer Unzahl Menschen auf beiden Hemisphären unheilbare Kopfschmerzen und unsägliches Herzweh bereiten kann.

Aber wir wollen, um uns nicht von dem träumerischen Segler der Lüfte, genannt Phantasus, in’s Schlepptau nehmen zu lassen, zurückkehren auf die feste Erde, und eine sehr solide und materielle Einrichtung kaufmännischen Scharfsinnes vom rein materiellen Standpunkte aus schärfer in’s Auge fassen. Von diesem aus ist uns die Börse nur der Ort, wo – mit Shylock zu reden – alle Kaufmannschaft zusammenkommt, damit sie sich über eigene und private Angelegenheiten bespreche, kaufe und verkaufe, Contracte eingehe und erledige, Schlußnoten genehmige und andere vorbereite, mit einem Worte: sie ist der höchst prosaische Ort, wo man im allerweitesten Sinne Geschäfte macht.

Auf der Hamburger Börse.


Das Börsengebäude, im Mittelpunkte der Stadt gelegen, imponirt schon von außen durch seine Größe. Am 2. December 1841 ward es eingeweiht, und als im Mai des nächsten Jahres die große Feuersbrunst ausbrach, gelang es nur der mit größter Lebensgefahr verbundenen Aufopferung einiger patriotischer Kaufleute, das rings von Flammen umwogte Gebäude vom Untergange zu retten. Mitten aus den glühenden Ruinen ragte am 8. Mai, dem Ende des großen Brandes, die Börse unversehrt über die Gluthatmosphäre der eingeäscherten Stadt empor.

Von dem verstorbenen Baudirector Wimmel und nach dessen Plane erbaut, bildet sie ein längliches Viereck, dessen Fronte dem Adolphsplatze zugekehrt ist. Ihre Länge beträgt 249, ihre Breite 178 Fuß. Das Innere dieses gewaltigen Baues besteht aus einem einzigen großen Raume, welcher den Börsenbesuchern als täglicher Versammlungsort in rein mercantilischen Geschäftsangelegenheiten dient. Dieser Raum hält 125 Fuß 5 Zoll in der Länge und 96 Fuß 9 Zoll in der Breite, bei einer Höhe von 76 Fuß. Rund um diesen im Ganzen 28,000 Quadratfuß bildenden freien Raum laufen 25 Fuß hohe Bogengänge, durch welche man in die verschiedenen Geschäftszimmer und Comptoire der Makler gelangt, deren die Börse zwanzig enthält.

Nach dem oberen Raume geleiten zwei sehr bequeme, breite Haupt- und zwei Nebentreppen, über welche man auf den Corridor gelangt, der in einer Breite von 14 Fuß auf allen vier Seiten den innern Börsenraum umschließt. Auf diesen Corridor öffnen sich wieder die Thüren sämmtlicher in der obern Etage befindlichen Säle, Geschäfts- und Lesezimmer, wie anderer Locale. Vier der größeren, an der Hinterseite gelegenen Gemächer dienen zur Aufbewahrung der Commerz-Bibliothek, einer Büchersammlung von großem Werth, die namentlich reich ist an Reisewerken, geographischen und statistischen, wie handelspolitischen Schriften des In- und Auslandes. Die Benutzung derselben steht jedem Wißbegierigen unentgeltlich zu Gebote, so daß namentlich das kaufmännische Publicum hier zum Selbstunterricht eine Auswahl seltener Schätze

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 773. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_773.jpg&oldid=- (Version vom 12.5.2019)