Seite:Die Gartenlaube (1862) 775.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

die Präliminarien von Geschäften besprochen, deren Werth sich wahrscheinlich nur nach Millionen berechnen läßt.

Inzwischen hat die Uhr Eins geschlagen, und das verhängnißvolle Gebimmel der Börsenglocken, im Süden und Norden des gewaltigen Gebäudes, läßt sich hören. Bei diesem Mahnruf rüstet sich Jeder zu eiligem Aufbruche. Dort wird eine kaum halb verrauchte Cigarre mit verdrießlicher Miene weggeworfen; hier vertilgen späte Ankömmlinge mit doppelter Kinnladenkraft die eben ergriffenen und bezahlten Butterbrode. Ein kaum eingeleitetes Geschäftsgespräch, das ausgezeichnete Resultate hätte liefern können, muß nolens volens aufgegeben, eine nicht minder interessante Partie Billard ohne Gnade im Stich gelassen werden. Denn schon zeigen sich die unerbittlichen Harpyien am gesperrten Eisengitter der Vorhalle, leicht erkennbar an ihren blauen, blankbeknöpften Röcken und rothbetreßten Mützen, in der Hand die abscheulichen Büchsen, welche unbarmherzig von jedem Spätlinge, will er aus der Welt der Sonne oder des Nebels in die düstern Räume der goldbringenden Speculation gelangen, die hunderttausend Mal vermaledeiten 4 Schillinge als Obolus eintreiben.

Um dies verhaßte Entree nicht bezahlen zu müssen, verdoppelt Jeder seine Eile, und es beginnt nun von allen Seiten ein förmliches Sturmlaufen auf die Börse. Durch das Andrängen so vieler Hunderte muß sehr bald eine Verstopfung des Einganges entstehen, wo die Börsendiener mit ihren Büchsen Wache halten und ihre Blicke schon auf die Unglücklichen richten, die aller Wahrscheinlichkeit nach die Strafschillinge werden erlegen müssen.

So lange die Glocken bimmeln, ist noch keine Gefahr vorhanden, weil es aber gar oft schwer hält, sich in die Queue hineinzuschieben, die gewöhnlich auch nach dem letzten Glockenrufe noch außerhalb des Gitters steht und aus Courtoisie mit eingelassen wird, so beginnt auf allen Straßen, und zwar oft schon in ziemlicher Entfernung, unter den Börsenwallfahrern ein Eilen, das für den Nichtbetheiligten in der That etwas Komisches hat.

Der Menschenstrom von der Börsenbrücke her ist, weil er aus dem alten Stadttheile kommt, in welchem sich die größten Comptoire befinden, in der Regel der stärkste. Mit ihm vereinigen sich an der Bank die vom Burstah Heraufkommenden. Großenteils sind es gesetzte Männer von stattlichem Aeußern. Bekannte und Befreundete gehen ruhig plaudernd neben einander, wohl auch Arm in Arm. Da schreitet ein Vorderster, dem entweder der Mahnruf der Glocke selbst zu Ohren kam, oder der die entfernteren Vordermänner ihre Schritte beschleunigen sah, weit und rasch aus. Die Bedeutung dieses Eilens kennt Jeder, und sofort beginnt eine Art Wettlauf, der mit dem Austönen des letzten Gtockenschlages für die Behendesten und Leichtfüßigsten zum Wettrennen wird. Man läuft, weil die Andern laufen; man schiebt, weil man geschoben wird, und man muß schließlich doch zahlen, weil die Börse begonnen hat und der Eingang gesperrt ist.

Sehen wir jetzt, welche Wirkung das Läuten der Börsenglocken auf den oben beschriebenen Versammlungsraum selbst hervorbringt. Wir nehmen, wie es Zuschauern ziemt, Platz auf dem Corridor der Nordseite, der jedem Fremden unentgeltlich offen steht. Uns gegenüber liegt der große Saal, durch dessen geöffnete Thüren man jetzt nur ein Durcheinander schwarzer, grauer und weißer Hüte von den verschiedensten Façons gewahrt.

Der unter uns befindliche Raum mit seinen scharf gezeichneten Quarrés ist fast noch leer. Nur vereinzelte Herren durchschreiten ihn, diese langsam, als gehörten sie zur Schule der Stoiker, jene in rapider Eile. Dort geht Einer mit stolz erhobenem Kopfe, hier zuckelt oder schlürft ein Anderer vorüber und verschwindet zur Linken unter den Bogengängen. Es wird ein Kaffeemann sein oder ein Matador der Kornbörse, denn wir bemerken einige bekannte Persönlichkeiten, die abwechselnd in Kaffee und in Korn machen, denselben Weg einschlagen.

Verschiedene Rheder, unter ihnen die ersten Größen, halten es mit den Peripatetikern, so lange der weite Raum das Hin- und Herwandern gestattet. Schon aber wird es lebendig an allen Ecken und Enden. Der große Börsensaal entleert sich, ebenso die Corridore und die Lesezimmer der Börsenhalle. Auf den meisten Quarrés pflanzen sich einzelne Herren auf, still wartend der Dinge, die da kommen sollen. Aus dem Geflüster wird ein dumpfes Summen, dieses steigert sich allmählich zu lautem Brausen, bis wenige Minuten nach dem Verstummen des Geläutes die ganze Börse dicht gedrängt voll Menschen ist, deren vieltausendstimmiges Sprechen dem rollenden Donner am Gestade sich brechender Meereswellen gleicht.

Wir können nicht wissen, was die Tausende da unter uns mit einander verhandeln, was sie abschließen und über welche Dinge sie sich einigen. Daß es aber wichtige Angelegenheiten sind, welche Alle ohne Ausnahme beschäftigen, das verrathen uns Haltung, Blicke, Mienen. Sehr Viele notiren irgend etwas in ihre Schreibtafeln, und wir können, ohne daß wir uns erst zu erkundigen brauchen, sicher sein, daß ein zustimmendes Kopfnicken, ein bejahender Händedruck, ein „Sollen es haben!“ oder „Abgemacht!“ Geschäfte regelt, die Hunderttausende in Umlauf setzen und denen, die sie machen, einen Gewinn liefern, der sich ebenfalls nur nach Tausenden berechnen läßt.

Glück, kühnes Wagen, seltenes Speculationstalent und Energie im Handeln sind die Hauptfactoren, welche an der Börse denen, die sie besitzen, gewöhnlich in nicht sehr langer Zeit zu großen Reichthümern verhelfen. Alle die glänzenden Paläste und prachtvollen Landhäuser an dem malerischen Ufer der Elbe abwärts von Altona bis Blankenese und an dem reizenden Wasserbecken der dunkelblauen Außenalster, da unten in diesem turbulenten Gewühl, an der Zucker-, Kaffee-, Oel-, Korn-, Tabaks-, Fettwaaren-, Produkten-, Steinkohlenbörse, wurden sie, mit dem Bleistift in der Hand, gewonnen. Darum sehen wir immer auf’s Neue die unermüdlich nach Gewinn und Besitz dürstende Menze die gleichen Wege wandeln. Gewiß, schimmerte nicht Gold zwischen den Proben von Leinsaat und Heusamen, die dort in einem Maklercomptoire so scharf beäugelt und berochen werden, als dufteten sie nach allen Gewürzen Indiens, man würde sich nicht so ernstlich damit beschäftigen!

Die Börse ist aber auch der Ort, wo der angehende Kaufmann sich für seinen Beruf am sichersten begeistern kann; denn unter den vielen Reichen und Mächtigen in unserer Handelsrepublik begegnen wir während der Börsenzeit gar Manchem, der mit leeren Taschen nach Hamburg kam, der in seiner Jugend sich kümmerlich behelfen mußte, vielleicht ein ganz untergeordnetes Geschäft betrieb, und der jetzt unter den Großen mit zu den Größten gehört. Solche Persönlichkeiten finden sich beinahe in jeder Geschäftsbranche, und obwohl sie fast immer etwas Originelles an sich haben, genießen sie doch gerade, weil sie durch eigenen Fleiß sich so hoch emporgearbeitet haben, die größte Achtung bei allen Börsenmännern.

Das Wagen und Speculiren muß übrigens einen wunderbar fesselnden Reiz besitzen, denn es hält nicht nur den gelernten Kaufmann gefangen, es umstrickt auch manchen Gelehrten dergestalt, daß er sein Studirzimmer verläßt, an die Börse eilt und dort auf kaufmännische Weise Geschäfte macht.

Mehr als andere studirte Herren hat in Hamburg besonders der Advocat Veranlassung, sich in das kaufmännische Fach und in kaufmännische Usancen einzuleben. Um sich eine einträgliche Praxis zu schaffen, muß er die Börse besuchen. Da lernt er die bedeutendsten Börsenherren kennen, gewinnt ihr Vertrauen und wird von ihnen zu Rathe gezogen, wenn streitige Fälle vorliegen. In großen Handelsstädten fehlt es nie an Processen. Sehr häufig kommt es an der Kornbörse zu Differenzen, die ohne juristischen Beirath sich selten schlichten lassen. Advocaten aber, welche sich das Vertrauen Vieler erworben haben und stark beschäftigt sind, leiden in Hamburg keine Noth. Es dürfte wenigstens in Deutschland schwerlich eine zweite Stadt geben, wo das Jahreseinkommen der gesuchtesten Rechtsanwätte, die an der Börse niemals fehlen, auf dreißig- bis vierzigtausend Mark (12 bis 16,000 Thaler) geschätzt wird. Einzelne besonders Bevorzugte sollen sogar noch beträchtlich mehr einnehmen.

Gegen zwei Uhr beginnt sich die Börse wieder zu leeren. Die größten Geschäfte sind dann abgeschlossen, Jeder strebt nach Hause, um Briefe zu schreiben etc. Nach allen Hauptplätzen Europa’s fliegen telegraphische Depeschen; denn Gott Mercur ist ein schlauer Gesell, der das Necken nicht lassen kann und denen, die er lieb gewann, nur dann ein treuer Führer bleibt, wenn sie sich selbst keine Zeit gönnen und sich, gleich ihm, Flügel an die Sohlen heften.


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 775. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_775.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2020)