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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

An das Comité zur Errichtung eines Jahndenkmals stellte der Ausschuß den Antrag: das Denkmal (zu dem beim Berliner Turnfest der Grundstein gelegt wurde) soll auf der Hasenhaide in Form eines Malhügels aus den von den Turnvereinen aus allen deutschen Gauen und selbst über’s Meer her eingesandten Steinen, geziert durch ein einfaches Brustbild oder eine Platte, ausgeführt werden.

Im Hinblick auf die mancherlei unrichtigen und unklaren Urtheile über die Stellung der Turnvereine im staatlichen Leben gab der Ausschuß die Erklärung ab: „Das Turnen kann nur dann seine reichen Früchte entfalten, wenn es als Mittel betrachtet wird, dem Vaterlande ganze tüchtige Männer zu erziehen; jedwede politische Parteistellung jedoch muß den Turnvereinen als solchen unbedingt fernbleiben, – die Bildung eines klaren politischen Urtheils ist Sache und Pflicht des einzelnen Mannes“ Mit der Frage der politischen Stellung der Turnvereine ist die der Wehrhaftmachung eng verknüpft. Der Ausschuß erklärte, und wohl in richtiger Erwägung der Verhältnisse und namentlich der den Turnvereinen zu Gebote stehenden Mittel: „Waffenübung mit Ausschluß aller Äußerlichkeiten kann der Ausschuß nur denjenigen Vereinen empfehlen, welche dazu genügende Lehrkräfte besitzen; der treue, regelrechte Betrieb eines Turnens, welches den Körper zu allen männlichen Leistungen befähigt, muß Hauptsache bleiben.“

Als alleiniges Organ der Turnerschaft wurde die von Dr. Goetz in Lindenau redigirte und seit 1856 bei Ernst Keil in Leipzig erscheinende „Deutsche Turnzeitung“ anerkannt. (Die deutschen Turnlehrer benutzen als Organ die wissenschaftlichen, von Dr. Moritz Kloss in Dresden herausgegebenen „Neuen Jahrbücher für die Turnkunst“.)

Dr. Lion (seit 1. October d. J. Director des gesammten Turnwesens in Leipzig) wurde mit der Veröffentlichung eines gemeinsamen Leitfadens der Frei- und Ordnungsübungen beauftragt; ferner wurden zunächst die Vereine zu Leipzig, Dresden, Köln, Königsberg, Stuttgart, München, Gera, Berlin, Stettin, Bielefeld u. a. aufgefordert, Gelegenheit zur Ausbildung von Vereins-Vorturnern und Turnlehrern zu geben.

Auch für weitere Kreise und namentlich das gesammte deutsche Vereinswesen (Schützen-, Gesang-, Bildungs-, Vorschußvereine etc.) von großem Interesse ist die vom Ausschuß unternommene „Statistik des deutschen Turnwesens“. Wenn auch der Gedanke an die Sache nicht ganz neu ist (schon vor zwei Jahren gab der Berliner Turnrath eine statistische Uebersicht der Turnvereine heraus, und Gutzkow sagt irgendwo: „Eine Vereinsstatistik unserer Zeit müßte außerordentlich lehrreich sein“), so ist die Anlage des heurigen Unternehmens doch so ursprünglich und den gegebenen Verhältnissen nach so vortrefflich, daß ein näheres Eingehen an dieser Stelle wohl gerechtfertigt erscheint. – Nur bei zweckmäßiger Vertheilung der statistischen Arbeiten war für diese Tüchtiges und Gediegenes zu erwarten; daher übertrug der Ausschuß jedem Einzelnen seiner Mitglieder einen bestimmt abgegrenzten Wirkungskreis, und es hat laut dieses Beschlusses, während der Schreiber dieses für die Gesammt-Redaction der Statistik verantwortlich ist, von den 15 Ausschußmitgliedern jeder Einzelne für die gewissenhafte Ausführung derselben in seinem Kreise zu haften. Die 15 deutschen Turnkreise deren Zusammensetzung nach politischen Gebieten und Vereinen aus Nr. 15 der Deutschen Turnzeitung hervorgeht) und ihre Vertreter im Ausschuß sind folgende:

1. Kreis Nordosten. (39 Vereine.) Dr. K. Friedländer in Elbing.
2. „ Schlesien und Südposen. (78 Vereine.) Oberturnlehrer Rödelius in Breslau.
3. „ Mark und Pommern. (185 Vereine.) Dr. Ed. Angerstein in Berlin.
4. „ Norden. (59 Vereine.) Kaufmann G. Jacobi in Hamburg.
5. „ Unterweser und Ems. (42 Vereine.) Dr. J. C. Lion, Turnlehrer, in Bremerhaven (jetzt in Leipzig).
6. „ Hannover. (50 Vereine.) H. Schäfer in Lüneburg.
7. „ Oberweser. (34 Vereine.) Turnlehrer E. Boppenhausen in Cassel.
8. „ Niederrhein und Westphalen. (97 Vereine.) W. Angerstein, Turnlehrer in Köln.
9. „ Mittelrhein. (168 Vereine.) F. Wilhelmi, Turnlehrer in Neustadt a. H.
10. „ Oberrhein. (28 Vereine.) Dr. med. Gißler in Pforzheim.
11. „ Schwaben. (64 Vereine.) Rechtsanwalt Th. Georgii in Eßlingen.
12. „ Baiern. (115 Vereine.) Inspector G. H. Weber in München.
13. „ Thüringen. (140 Vereine.) Reallehrer E. Hausmann in Neustadt a. D.
14. „ Sachsen. (180 Vereine.) Dr. med. Ferd. Goetz in Lindenau b. Leipzig. (Geschäftsführer des Ausschusses.)
15. „ Oesterreich. (30 Vereine.) Konr. Lecher in Wien.[1]

Jedes Ausschußmitglied bekam eine entsprechende Anzahl von gedruckten Fragebogen, die unterm 1. Juni dieses Jahres an die einzelnen Vereine zur Ausfüllung übersandt wurden. Die Ausfüllung von Seiten der Vereine geschah nach dem Thatbestand des 1. Juli und an diesem Tage. Die so mit einem getreuen Bilde des Turnwesens am Orte versehenen Bogen wurden dann unverzüglich an die Absender, bez. die einzelnen Ausschußmitglieder, zurückgeschickt, die nun aus dem vorliegenden Stoff einen vollendeten Bericht über ihre betreffenden Turnkreise zusammenstellten, so jedoch, daß alle diese Arbeiten nach einer gemeinsamen Anweisung, einem bestimmten Schema, gleichmäßig durchgeführt wurden. Bis Ende September d. J. sollten sämmtliche 15 Berichte zur Schlußredaction und Zusammenstellung in den Händen des Verfassers sein; das Ganze aber wird in Form eines „Jahrbuchs der deutschen Turnvereine auf 1863“ (Leipzig bei Ernst Keil) erscheinen.

Endlich heißt es in der Erklärung des Ausschusses: „Die Turnerschaft wird aufgefordert, in den einzelnen Staaten immer und immer wieder durch Petitionen an die Kammern und sonstige Mittel besonders für Hebung des Schulturnens und Errichtung von Turnlehrerbildungsanstalten nach deutschem System, auf Grundlage des Coburger Aufrufs von 1860 und unter wirklich praktischen Vorschlägen, zu wirken. Namentlich mögen die Turner allenthalben auch durch die Presse für das Turnen, besonders das der studirenden Jugend, wirken.“ Wir fügen Dem folgende Erläuterung bei, die zugleich unsere Mittheilungen passend abschließen möge: Trotz aller Anerkennung des Turnens als eines nothwendigen Erziehungs- und Bildungsmittels ist in der Mehrzahl der deutschen Staaten die Einführung desselben immer nur erst halbe Maßregel geblieben. Zwar ist neuerdings, z. B. von der königlich sächsischen, der würtembergischen und weimarischen Regierung, Umfangreiches für das Turnen auch in den Volksschulen gethan worden – aber grade die Länder, welche größere Bevölkerungen umfassen, haben bisher in der That nur für die Einführung in den höheren Unterrichtsanstalten gesorgt. Möge in Preußen das naturgemäße, vaterländische deutsche Turnen, für welches bekannterweise die heurige Volksvertretung so wacker eingestanden (Virchow, Techow u. A.), recht bald einen gründlichen Sieg über die importirte unnütze „schwedische Heilgymnastik“ feiern, wie sie leider noch in der Berliner Centralturnanstalt betrieben und von da dem ganzen Lande aufgedrungen wird; daß dieser Sieg kommen muß, steht über allem Zweifel, aber es muß dennoch von dem guten Willen der Regierung abhängen, dem deutschen Turnen durch energische Einführung in Schule und Heer die Anerkennung zu verschaffen, die es verdient. Soll das Turnen seine vollen Segnungen spenden, soll es mit einem Worte „eine neue kräftigere Generation heranbilden“, so muß es auf das ganze Volk, also vor Allem auf die Dorf- und städtischen Schulen sowie auf das Heer ausgedehnt und hier auch wirklich mit allem Ernste betrieben werden; als gerechte Folge hiervon aber erscheint die Forderung, daß von Seiten der Regierungen allen turnerisch Vorgebildeten eine Abkürzung der militärischen Dienstzeit gewährt werde.

So kann und wird es wahr werden, was Vater Jahn von

der Turnerei prophezeit: „Das Turnen, aus kleiner Quelle entsprungen, wallt jetzt als freudiger Strom durch Deutschlands Gauen. Es wird künftig ein verbindender See werden, ein gewaltiges Meer, das schirmend die heilige Grenzmark des Vaterlandes umringt!“

  1. Die Statistik besorgt für Thüringen E. Debes in Gotha, für Sachsen Ed. Strauch in Leipzig, für den Mittelrhein Dr. Weber in Gießen, für Baiern G. Hoffmann in Bayreuth.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 783. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_783.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2020)