Seite:Die Gartenlaube (1862) 792.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

entstehen und daß der gefräßige Raupenzustand allein es ist, in welchem das Thier uns Schaden zufügt. Denn mit Ausnahme der Seidenraupe, deren Gespinnst wir zu unserer Kleidung verwerthen, sind alle Schmetterlingslarven ohne Ausnahme höchst schädliche Thiere, die wir um unserer Selbsterhaltung willen zu verfolgen gezwungen sind. Wir haben zwar im Verlaufe dieser Vorlesungen schon manche Verwüster kennen gelernt, die mit dem Menschengeschlechte in beständigem Kriege leben; allein so ausgiebige Verheerungen, wie manche Raupen in Wäldern und Feldern, in Gärten und Wiesen anrichten, kann keine andere Insectenordnung aufweisen. Wenn deshalb der Schmetterling das Symbol der reinen Seele darstellt, die sich als Psyche zu höheren Sphären erhebt, so muß man gestehen, daß die Schlacken, welche Psyche von sich werfen muß, ehe sie zu der Verklärung gelangt, nicht geringer Art sind und namemlich solchen Leidenschaften angehören, welche man sonst nicht gerade zu denjenigen zählt, die zu Großem führen können. Denn die Leidenschaft, welcher die Raupe fast ausschließlich fröhnt, ist ohne Zweifel die Freßgierde, und hierin leistet die Raupe auch in der That Unglaubliches. Der Schmetterling selbst hingegen lebt eigentlich nur der Liebe, wenn er diese auch nicht von dem höheren seelischen Standpunkte aus auffaßt.

Die Eier, welche häufig sehr sonderbare Formen zeigen und meist von dichten Kapselwänden eingeschlossen sind, werden von dem weiblichen Schmetterlinge bald einzeln, bald auch in ganz charakteristischen Bündeln und Haufen an diejenigen Pflanzen gelegt, welche den ausschlüpfenden Räupchen zum Futter dienen sollen. Bei vielen Arten überwintern die Eier, so daß die Raupen bei der ersten Frühlingswärme auskriechen und sogleich über die jungen, zarten Knospen herfallen können, welche ihre erste Nahrung bilden. In andern Fällen sind es die Raupen, welche im Grase, in der Erde, in eigens geschützten Nestern, welche sie sich spinnen, die Winterkälte überdauern; doch ist auch dieses nur eine Ausnahme und die Puppe gewöhnlich derjenige Zustand, durch welchen die Generationen über die Zeit der Ruhe sich hinüberleiten.

Die Räupchen, welche aus den Eiern kriechen, zehren häufig zuerst die Eierschalen, in welchen sie sich entwickelten, auf und beginnen dann ihre Verheerungen an den Gewächsen. Diejenigen, die aus Eierklumpen hervorgehen, bleiben wenigstens während ihrer ersten Lebenszeit, häufig aber auch während der ganzen Dauer ihrer Existenz als Raupen gesellig beisammen, und oft erstreckt sich ihre Geselligkeit so weit, daß sogar sämmtliche Bewegungen, Märsche und Wanderungen wie auf Commando gemeinschaftlich ausgeführt werden. Die Processionsraupe, die in manchen Wäldern so arge Verwüstungen anrichtet, bietet hiervon ein frappantes Beispiel. Keine Soldatencolonne kann regelrechter, Schulter an Schulter, marschiren und ihre Schwenkungen ausführen, als dieses Raupengezücht, das seine Wanderungen nur dann unternimmt, wenn der Hintermann mit seinem Kopfe das Ende des Vordermannes berührt. Bei der ungemeinen Gefräßigkeit, welche alle Raupen zeigen, kann es nicht Wunder nehmen, wenn die Raupen außerordentlich schnell wachsen und deshalb mehrmals während ihres Lebens sich häuten – ein Vorgang, der stets nicht ohne Gefahr für ihr Leben ist. Gewöhnlich ist die Raupe hinsichtlich ihrer Nahrung auf eine Pflanzenart beschränkt und geht eher zu Grunde, als daß sie von anderen fressen sollte. Gerade die zerstörendsten aber sind häufig Allesfreser oder besitzen wenigstens insofern eine gewisse Auswahl, als sie verwandte Pflanzen derselben Familie mit gleicher Begierde angreifen. Der Unrath, den sie in großen Massen von sich geben, zeigt gewöhnlich ganz eigenthümliche Formen und Eindrücke, welche von vorspringenden Leisten der letzten Darm-Abtheilung herrühren, und dient häufig dem Kenner zur Erkenntniß und als Leitung nach dem Orte hin, wo die Raupe sich versteckt hält.

Von ganz besonderer Wichtigkeit ist die Structur der Raupen und namentlich diejenige ihrer Füße. Alle haben drei Paar hornige, aus verschiedenen Gelenken zusammengesetzte echte Füße an dem vorderen Theile ihres Körpers, alle besitzen aber außerdem noch sogenannte falsche Füße oder Bauchfüße, deren Zahl je nach den Gruppen wechselt. Im höchsten Falle finden sich, wie bei den meisten Tagfaltern, Schwärmern und Spinnern, fünf Paar solcher Füße, deren letztes gewöhnlich an dem hintersten Ende des Körpers, die übrigen mehr in der Mitte des Bauches stehen. Bei den sogenannten Spannraupen aber vermindert sich die Zahl bis auf drei Paare, die dann an dem hintern Ende des Körpers stehen, so daß die Raupe bei jedem Schritte einen Katzenbuckel macht und den hinteren Theil des Körpers so nachzieht, daß er in der Nähe des Kopfes wieder sich festklammert. Während man an diesen allgemeinen Kennzeichen die Gruppen unterscheidet, dienen die Größe, Färbung, namentlich aber die Ausdehnung der Behaarung, welche viele Raupen besitzen, zur Unterscheidung der Arten. Manche Raupen sind ganz nackt, andere über und über mit langen Haaren besetzt, die unter dem Mikroskope wie dornige, mit Widerhaken besetzte Lanzen aussehen und hierdurch sowohl, wie durch leichtes Abbrechen sehr unangenehme Folgen beim Menschen verursachen können. Nicht ungestraft greift man eine Processionsraupe an: die Haut röthet und entzündet sich, und in Wäldern, welche von Processionsraupen erfüllt sind, hat man sogar durch Einathmen der giftigen Haarbruchstücke, welche der Luftzug mit sich führt, gefährliche und schmerzhafte Reizung der Luftwege zu gewärtigen.

Nach der letzten Häutung (und es können deren bis zu sieben stattfinden) bereitet sich die Raupe zum Puppenschlafe vor. Die einen, namentlich Tagfalter, machen gar kein Gespinnst, sondern hängen sich frei an dem Ende auf oder schlingen noch einen Seitenfaden um ihre Brust, so daß sie in wagerechter Stellung sich befinden. Andere, besonders Eulen und Schwärmer, kriechen bis zu einer gewissen Tiefe in die Erde und verwandeln sich dort in eine Puppe, die meistens nur durch eine geglättete Höhle geschützt ist. Die meisten hingegen fertigen mittelst eines zähen, klebrigen Saftes, der aus den Spinndrüsen quillt, welche häufig die ganze Länge des Leibes einnehmen und neben dem Munde sich öffnen, ein mehr oder minder kunstvolles Gespinnst, einen Cocon, in dessen Innerem erst die Puppe liegt, an welcher sich meistens die einzelnen Körperabtheilungen, sowie der Rüssel schon unterscheiden lassen. Bekanntlich ist gerade das Gespinnst des Seidenwurms deshalb vor anderen brauchbar, weil der feste Faden, aus dem es gesponnen ist, mit äußerster Regelmäßigkeit in Spiraltouren angelegt ist und deshalb mit großer Leichtigkeit abgesponnen werden kann.

Innerhalb der Puppe entwickeln sich auf Kosten des in großer Masse angehäuften Bildungsstoffes während der Ruhezeit alle diejenigen Organe, durch welche sich der Falter von der Raupe unterscheidet. Namentlich bilden sich nun die Geschlechtsorgane aus, so daß der Schmetterling in dem Augenblicke, wo er die Puppeuhülse durchbricht, vollkommen zur Fortpflanzung befähigt erscheint. Gewöhnlich ist hierzu die Begattung unerläßlich, und in der That sehen wir die Männchen mit vielem Eifer dieselbe suchen und sogar in Auffindung der Weibchen von goßer Schärfe der Sinne Zeugniß ablegen. Alle Schmetterlingssammler wissen, daß man namentlich bei gewissen Nachtschmetterlingen, wenn sie auch sehr selten in der Gegend vorkommen, nur ein eben ausgeschlüpftes Weibchen angespießt in das Freie stellen darf, um nach Verlauf weniger Abendstunden einige Männchen in seiner Nähe versammelt zu sehen.

Gewöhnlich haben die Schmetterlinge nur eine einfache Generation während des Jahres. Der Falter erscheint im Frühlinge oder Sommer; die aus den Eiern schlüpfenden Raupen fressen während des Sommers, verpuppen sich im Herbste und lassen im Frühling den Falter wieder erscheinen. Oft auch, wenn die Falter erst später im Sommer erscheinen, überwintert die Raupe, frißt sich im Frühjahre noch fertig und verbleibt dann kürzere Zeit während des Vorsommers im Pnppenzustande. Doch findet man auch, namentlich bei den kleineren Faltern, manchmal zwei Generationen, indem Falter im Frühjahr und Herbst zum Vorschein kommen.

Unter den Tagfaltern (Papillo), welche sich durch große und breite, meist sehr lebhaft gefärbte Flügel, die in der Ruhe senkrecht über dem Körper getragen werden, durch an der Spitze geknopfte Fühler, langen Rüssel und ein häufig verkümmertes erstes Fußpaar auszeichnen, besitzen wir einzelne Feinde, die namentlich unseren Gärten wehe thun. Vor allen sind es die Weißlinge, deren wie mit Mehlstaub gepuderte Flügel häufig nur einzelne schwarze Adern oder Flecken zeigen, welche unseren Nutzgewächsen erbitterte Feinde sind. Der Baumweißling (Papillo crataegi), der unsere Birnen, Aepfelbäume, Pflaumen, Zwetschen verheert; der Kohlweißling (P. brassicae), der Kohl, Kraut, Wirsing, Raps, Rüben und Kohlraben angreift; der Rübenweißling (P. rapae), welcher außer denselben Pflanzen noch namentlich der wohlriechenden Reseda einen höchst verderblichen Krieg macht, sowie der Rübsaatweißling (P. napi), der namentlich dem Sommerrübsen nachstellt, gehören dieser Gruppe an, welche der Bauer in unserer Gegend mit dem freilich nicht allzu

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 792. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_792.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2020)