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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

eleganten Namen der „Wiesenschisser“ belegt. Die Eier aller dieser Schmetterlinge haben die Gestalt einer kurzhalsigen, kleinen Flasche und gewöhnlich eine gelbe Farbe und werden in Haufen von einigen Hundert an die Unterseite der Blätter der Nahrungspflanzen abgesetzt, wo man sie mit Leichtigkeit entdecken kann. Der Bauweißling fliegt hauptsächlich im Juli, und die vierzehn Tage nach der Ablagerung ausschlüpfenden Räupchen halten sich stets nesterweise zusammen, bilden sich auch durch Ueberspinnen von Blättern ein Nest, welches sie stets vergrößern und in welches sie bei schlechter Witterung oder bei allzu grellem Sonnenscheine sich zurückziehen. Im Anfange, wo die Räupchen noch sehr klein sind, fressen sie nur das Blattgrün, während sie das Geäder der Blätter stehen lassen, und dann sehen wirklich die kleinen gelblichen Thierchen mit schwarzem Köpfchen und Halsring, die dichtgedrängt in einer Reihe auf einem Blatte sitzen und im Ebenmaße vorwärts fressen, einer mikroskopisch weidenden Schafheerde nicht unähnlich. Im Herbste, wo die Thiere zu fressen aufhören, wird das Nest bedeutend verstärkt und häufig sogar so fest mittelst einer Art von Strang an die Zweige angeheftet, daß dieselben durch allzustarke Compression der Rinde absterben. In diesem Neste bringen die Raupen, indem sich jede noch eine besondere Zelle spinnt, in halber Erstarrung zu, um mit dem ersten Frühjahre die Blüthenknospen und das junge Laub zu zerstören. Ende April oder je nach den Jahren auch erst Ende Mai sind die Raupen ausgewachsen und wandern nun ebenso wie die Kohlweißlingraupen nach allen Seiten umher, um eine passende Stelle zur Verpuppung zu suchen. Jetzt werden sie namentlich in Land- und Gartenhäusern höchst unangenehm, indem sie überall eindringen und aller Orten die Ecken und Vorsprünge aufsuchen, um sich daran aufzuhängen und ihre eckige, gelb und schwarz getüpfelte Puppe zu bilden. Jetzt kann man aber auch sehen, welche Verwüstungen unter diesen Raupen die Schlupfwespen angerichtet haben. In manchen Jahren findet sich von Hunderten kaum eine, welche wirklich zur Verpuppuug gelangt; die andern sehen aus wie Glucken, welche über Eiern brüten, indem die gänzlich Matsch gewordene Raupe über den zahlreichen kleinen gelben Puppen der Schlupfwespen vertrocknet, welche sich aus ihrem Leibe hervorgebohrt haben.

Mit den Abendschwärmern (Sphinx), jenen meist großen, dickleibigen, spitzflügeligen Faltern, die gewöhnlich, ohne sich zu setzen, im Fluge schwirrend die Blumen aussaugen, hat die Landwirthschaft wenig zu schaffen; wenn auch ihre Raupen gewaltig groß und gefräßig sind, wie z. B. die Raupe des Todtenkopfes (Sphinx atropos), welche auf dem Kartoffelkraut gewöhnlich die Länge eines halben Fußes und die Dicke eines Mannsfingers erreicht, so treten sie doch nie massenhaft auf, um wahrhaft zerstörend wirken zu können. Auch hier, wie überall in der Natur, macht sich das Gesetz geltend, daß es nicht die Wucht des einzelnen Individuums, sondern im Gegentheil die Zahl der kleineren Individuen ist, welche in dem großen Wechselspiele der Natur die bedeutendste Rolle übernimmt. Die mikroskopischen Thiere und Pflanzen sind es hauptsächlich, welche massenbildend aufgetreten sind und Schichten und Gebirge aufgebaut haben, und ganz in gleicher Weise sehen wir bei dem Gegenstande, der uns hier beschäftigt, gerade die kleinen Arten als Verwüster, die größeren dagegen nur in untergeordneter Rolle auftreten.

Wenn wir die Schwärmer bei Seite lassen können, so ist es nicht möglich, den Spinnern (Bombyx) gegenüber dieselbe Indifferenz zu behaupten. Giebt es ja doch hier Arten, hinsichtlich deren sich selbst die liebe Polizei in das Zeug geworfen hat und höchst merkwürdiger Weise sogar mit voller Berechtigung, während ihr sonst gewöhnlich das unverzeihliche Unglück begegnet, zu verkehrter Zeit und an verkehrtem Orte einzuschreiten. Auch unter den Spinnern, welche sich durch ihren dicken, meist über und über behaarten Körper, große in der Ruhe dachförmig zusammengelegte Flügel, sehr kurzen Rüssel und bei den Männchen doppelt gekämmte Fühler auszeichnen, hat man sich am meisten vor dem Weiß der Unschuld zu hüten, in welches sich die gefährlichsten Arten gleißnerischer Weise hüllen. Die Spinner fliegen nur bei Nacht, huschend und flatternd von Zweig zu Zweig, und sehr charakteristisch nennt sie der Berner Dialekt „Nachthuddel“. Hüte dich also, Jüngling, der du den ererbten väterlichen Obstgarten weiter bebauen willst, vor den „Nachthuddeln“[1], die in weißer Hüllung Abends und Nachts umherschwärmen und ihren Eierschwamm an deinen Fruchtbäumen anzulegen beabsichtigen! Da ist der Goldafter (Bombyx chrysorrhoea), der Goldsteiß (Bombyx auriflua) und der Großkopf (Bombyx dispar), die alle drei unter den Schmetterlingen gewissermaßen die Rolle des Pelikans spielen, indem sie die Haare ihres Hinterleibes ausrupfen, um ihre Eier damit zu bedecken, die aber trotz dieses schönen Zuges von Elternliebe durchaus kein Mitleid verdienen. Die von den braungelben Haaren dicht bedeckten Eier, welche nicht auf der Unterseite der Blätter abgelegt werden, gleichen in der That kleinen Stückchen Schwamm, und auch die Löcher fehlen nicht, sobald die Räupchen ausgeschlüpft sind. Alle diese Raupen weiden zuerst das Blattgrün von den Blättern ab, während sie später, wenn sie stärker geworden sind, die ganzen Blätter verzehren. Die Nachkommen der beiden ersten Arten überwintern als Raupen; die des Goldafters in großen dickgesponnenen Nestern, die an den Zweigen befestigt sind; die des Goldsteißes in Einzelgespinnsten, welche an verborgenen Orten angebracht werden; im Frühjahre nach dem Hervorbrechen der Blätter wird dann noch ein Hauptfraß gehalten, nach welchem die Raupe sich verpuppt. Die Räupchen des Großkopfes, der erst spät im Herbste seine Eier legt, kriechen sogar erst im Frühjahre aus.

Nicht weniger gefährlich, als die genannten, ist der Ringelspinner oder die Gabelraupe (Bombyx neustria), ein rothgelber Spinner mit brauner Binde auf den Flügeln, der sich besonders durch die sonderbare Art auszeichnet, wie er seine Eier ablegt. Der Eierhaufen bildet ein förmliches Halsband um einen dünnen Zweig, indem die einzelnen Eier aufrecht stehend in eine klebende Masse eingegossen sind, welche allmählich erhärtet und so fest wird, daß sie förmlich federt, wenn man an einer Seite den Ring spaltet. Die Eierchen sind ganz kunstvoll, eines neben dem andern, in diese harte Masse eingegossen, doch immerhin nicht hinlänglich verwahrt, um allen Angriffen der Schlupfwespen Widerstand leisten zu können. In diesem Zustande trotzen die Eier aller Unbill des Winters, um im Frühjahre auszukriechen und über die ersten Knospen herzufallen.

(Schluß folgt.)




Ernst Moritz Arndt’s letzter Wunsch.
Von einem Rheinländer.

Es war wenige Tage nach seinem vom ganzen deutschen Volke gefeierten neunzigsten Geburtstage, daß der jugendlichste aller Greise, Ernst Moritz Arndt, in einer kleinen, traulichen Versammlung und bei einem Glase rheinischen goldenen Weines, die um ihn vereinten Freunde durch sein Feuer, seine Geistesfrische und die liebevolle Wärme, die sein ganzes Wesen wohlthuend durchglühte, erfreute und rührte. Man sah es dem heitern Jubilar an, wie wohl es ihm that, nach der Aufregung der letzten Tage, in denen er Deputationen und Festgeschenke aus allen Theilen Deutschlands hatte empfangen und wenigstens einige hundert telegraphische Depeschen beantworten müssen, endlich wieder einmal in engerem Kreise zu weilen. Unter den Anwesenden befanden sich Dahlmann, der unerschütterliche und glänzende Streiter für Recht und Freiheit, den das Vaterland seitdem leider auch verloren, Welcker, der ehrwürdige Nestor der Archäologen und Bruder des berühmten deutschen Volksmannes, und der rheinische Dichter Wolfgang Müller. Das Gespräch bewegte sich froh und heiter hin und her, zumeist aber lauschten wir dem herrlichen Alten, dem ein unerschöpflicher Redestrom von den Lippen zu fließen schien. Mit einer seltenen Elasticität des Geistes eilten seine Gedanken von einem Gegenstande zum andern, während er daneben für Jeden, auf dem gerade sein treues Auge ruhte, ein liebevolles Wort oder eine kleine Neckerei übrig hatte. So klopfte er z. B. mitten heraus aus einer Erörterung über die Deutschland im Westen eigentlich {references}}

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 793. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_793.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2020)
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