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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

zum König kommen. Friedrich war halb entkleidet. „Baron,“ begann er, „ich muß bald wieder fort; können Sie mir einen Menschen nachweisen, auf dessen Treue ich mich verlassen kann?“

Warkotsch stutzte! Welche Unternehmung hatte der König vor? „Ew. Majestät können versichert sein, daß mein Jäger ein redlicher Mann ist; ich empfehle ihn, weiß ich gleich nicht, zu welchen Diensten Ew. Majestät ihn brauchen wollen?“

„So ruft ihn.“

Wenige Augenblicke später trat der Jäger in’s Gemach. Der König hatte sich in einen Lehnstuhl geworfen und blickte ins Feuer des Kamins. Als der Jäger eintrat, wendete er sich um, und die plötzliche Gewalt der großen Augen wirkte so mächtig auf den Waidmann, daß er bestürzt zurückwich. „Wenn Er redlich ist, braucht Er nicht zu erschrecken,“ sagte der König. „Wie heißt Er?“

„Matthias Kappel.“

„Woher?“

„Aus Mitrowitz in Böhmen.“

„Katholisch?“

„Ja.“

„Er ist des Barons Jäger?“

„Ja, Majestät.“

„Weiß Er in der Gegend hier herum Bescheid?“

„Ja Majestät.“

„Kann Er mich von hier nach Strehlen bringen? es ist aber sehr finster.“

„Ja, Majestät. Wenn Sie nur befehlen, welchen Weg ich nehmen soll, denn es giebt zwei Wege von hier nach Strehlen.“

„Den will ich über Riegersdorf durch das königliche Vorwerk Melter und Treppendorf, das ist der Fußsteig nach Strehlen. Er kann um 4 Uhr mit einem guten Reitpferde vor dem Schlosse halten. Jetzt geh’ Er. Ich will ruhen.“

Kappel ging. Um 4 Uhr kam der König aus dem Schlosse. Warkotsch begleitete ihn und der Reitknecht führte einen kleinen Schimmel heraus. Der Adjutant, der Kämmerer Leining und zwei reitende Jäger, die Laternen bei sich hatten, waren zugegen. Der König trug wieder den blauen Rock mit Pelzkragen. Er stieg nicht zu Pferd, sondern befahl den Jägern, zu Fuß vor ihm herzugehen. Er selbst, Leining und Kappel folgten. Es war finster. In einiger Entfernung gewahrte Kappel eine lange, dunkle Linie, die gleich einer ungeheuren Schlange sich fortbewegte. Dumpfes Summen von verhaltenen Menschenstimmen schallte an sein Ohr; zuweilen flammten die Feuer von Pechfackeln auf und in ihrem gluthrothen Scheine blitzten die Schuppen jener Schlange – die Bajonnette.

Es war die preußische Armee, die während der Nacht auf die umliegenden Dörfer und Güter gerückt war; – der Jäger hatte das unheimliche Schauspiel des Nachtmarsches vor sich. Der König wollte den Oesterreichern das Vordringen auf Breslau wehren und verlegte seine Winterquartiere von Neiße nach Strehlen und dessen Umgegend. Eine halbe Meile lang ging der König zu Fuße. Er sprach kein Wort. Immer zwischen den schweigenden Colonnen entlang führte der Weg. Regiment bei Regiment standen sie aufmarschirt, über ihre Häupter strich der eisige Morgenwind, und der Hauch wirbelte aus den arbeitenden Lungen. – Der König stand am Ende einer Colonne, bei den Geschützen angelangt, still. „Nun Bursche,“ rief er, „es geht zum Marsch.“ Ein Kanonier, der ihn nicht erkannte, antwortete: „Den Teufel zum Marsch, wir rücken ins Lager.“ Der König lächelte. Wenige Schritte ging man noch. Plötzlich befahl der König, die Laternen auszulöschen. Er schwang sich in den Sattel, und die Begleiter mußten ebenfalls aufsitzen. „Jäger Kappel,“ rief er. „Er bleibt fünf Schritte vor mir, daß ich ihn sehen kann, denn es ist sehr finster.“ Vorwärts ging der Zug.

Zu derselben Zeit verließ der Curatus Schmidt durch eine Hinterthür das Schloß Schönbrunn. Er ritt ein Pferd des Barons und jagte auf die österreichischen Linien zu. Den am weitesten vorgeschobenen Posten commandirte der Hauptmann Wallis. Ihm überreichte der Pfarrer einen Zettel des Barons, der nur die wenigen Worte enthielt: „Die preußische Armee bewegt sich vorwärts! Der König bleibt in Strehlen.“ Unterdessen hatte Kappel den König bis Treppendorf vor Strehlen geleitet. Der König fragte nach dem Namen und ob der Jäger wisse, wo der Kahlenberg sei. Als sie den Berg erreicht hatten, dämmerte der Tag herauf. Der König forderte sein Fernrohr. Eine Zeitlang blickte er durch dasselbe, dann schob er es zusammen, gab es dem Reitknecht zurück und sagte: „Sehr gut, die Oesterreichs sind noch nicht da.“ Er befahl nun den Rückweg über Großburg. Hier erhielt Kappel vier Achtgroschenstücke durch den Kämmerer, und der König trug ihm auf, dem Baron zu danken. Auf dem Rückwege begegnete Kappel der ganzen preußischen Armee in vollem Marsche.[1] Die erste Verrätherei war mißglückt. Am folgenden Tage stand Friedrich bei Strehlen. Seine Armee halte das Lager bezogen, die Oesterreichs blieben bei Münsterberg und Hennrigau im Gebirge stehen. Sie hatten die Posten bei Strehlen in Besitz nehmen wollen, aber der König war ihnen zuvorgekommen. Die Nachricht, welche der Baron durch Schmidt gesendet hatte, traf zu spät ein.

Die Vorsehung schien sich des schlichten Jägers Kappel eigens zum Werkzeug der Rettung des Königs bedienen zu wollen. Unausgesetzt mußte Kappel von dem sechsten November an in der Umgebung seines Herrn, des Baron Warkotsch, bleiben. Obgleich der Baron früher den Jäger ebenso rauh behandelt hatte, als seine übrigen Dienstleute, schien er plötzlich wie umgewandelt. War nun auch Kappel ein sehr einfacher Mann, so mußte dennoch die schnelle Veränderung des Benehmens seines Herrn ihm auffällig werden. Verstärkt ward sein Mißtrauen durch die fortwährenden Besuche, welche der Baron alle zwei Tage im preußischen Hauptquartiere zu Strehlen machte. Nach jedem Besuche mußte Kappel von Schönbrunn aus zu dem Curatus Schmidt nach Siebenkuben reiten und demselben einen versiegelten Brief, ohne Aufschrift, einhändigen. Die Antwort auf diesen Brief brachte der Curatus dann dem Warkotsch nach Schönbrunn. Das Einzige, was Kappel in seinen Muthmaßungen schwankend machte, war die gute Aufnahme, die der Baron im preußischen Quartier fand. Er erfreute sich sogar des intimen Umganges mit dem Cabinetsrath Eichel. Es machten preußische Officiere in Schönbrunn Gegenbesuche, und jedesmal suchte alsdann der Baron eilig den Curatus zu entfernen – ja, Kappel bemerkte sogar, daß Warkotsch den Priester vor dem Hause, hinter einer Gartenmauer sprach und ihn gar nicht in’s Zimmer ließ, während ein preußischer Major im Schlosse war; auch mußte der Jäger den Schmidt drei Mal an einen sehr entlegenen Ort, die „Pfarr-Erlen“ genannt, zur Unterredung mit dem Baron bestellen. Aengstlich besorgt trachtete Warkotsch ferner, daß Niemand im Dorfe seinen häufigen Umgang mit dem Priester erfahre. Kappel konnte sich freilich nicht denken, wem eine Unternehmung gelten solle? Unwillkürlich fiel ihm jedoch die Unsicherheit auf, in welcher sich der König befand. Beide Armeen standen sich so nahe gegenüber, daß ihre Patrouillen oft einander begegneten. In Strehlen selbst standen einige Bataillone, die übrigen Theile der Armee lagen auf den Dörfern umher. Im Rücken, hinter Strehlen, lag das Regiment Zastrow (Cavallerie), Jäger und Feldwachen schützten vor Ueberfällen. Gegen Feinde hatte der König sich gedeckt – nicht gegen Verräther und Meuchelmörder. – Er selbst wohnte nämlich nicht in Strehlen, sondern 300 Schritte von der Ringmauer dieser Stadt entfernt in dem offnen Dorfe Waiselwitz. Das Haus, welches er bewohnte, gehörte dem Bauinspector Bruchkampf. Neben demselben lang die Wohnung des Postmeisters Stiller, zwei Etagen hoch. In dieser Wohnung war das Cabinet des Königs.

Dicht hinter beiden Häusern lief der Stadtwall aus, neben und vor welchem man durch tiefe Gründe, an dem Dorfe Hussinetz vorüber, ohne einen Posten zu berühren, bis an den Stiller’schen Garten kommen konnte. Durch diesen Garten fließt die kleine Ohlau, deren seichtes Wasser eine Rotte von Abenteurern nicht abhalten konnte, einen Angriff auf die Person des Königs durch das Fenster des Schlafgemaches zu unternehmen. Der Baron Warkotsch hatte sich sogleich bei seinem ersten Besuche von der trefflichen Gelegenheit, welche sich seinem schändlichen Vorhaben darbot, unterrichtet. Lange schon lauerte er dem König auf; hier schien ihm endlich der Augenblick gekommen. Regelmäßig wurde der österreichische Hauptmann Wallis durch den Curatus Schmidt in Kenntniß von allen Veränderungen im preußischen Hauptquartier gesetzt. Warkotsch hatte Folgendes genau ermittelt: Die Bedeckung des Königs gab das erste Bataillon des Garde-Regiments, davon waren immer 13 Mann im Hause, welche leicht überwältigt werden konnten. Erst in Strehlen lagen Officiere und 4000 Mann, die wahrscheinlich zu spät gekommen wären. Es war ferner die Ordre gegeben, daß die hinter Strehlen liegende Cavallerie und Infanterie bei einem Angriff des Feindes sich nicht hinter Strehlen postiren, sondern sofort in die vorderste Linie eilen solle. Warkotsch

  1. Verhörsacten des Jägers Kappel
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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 799. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_799.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2020)