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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

dem, was sich von den Vorgängen im Innern des Salons wahrnehmen ließ, und dem wunderlichen dicken Nebel zu theilen, welcher mit dem Niedergehen der Sonne aus dem breiten Strome aufstieg, anfänglich nur das Wasser und den unteren Theil des Fahrzeugs einhüllte, während die rothbestrahlten Ufer noch wie hinter einer Wolke hervorblickten, dann aber auch diese verbarg. Für den jungen Mann war die eintönige Fahrt indessen eine Zeit voll sich drängender Ereignisse gewesen.

Als das Boot St. Louis verlassen, hatte er mit dem Entschlusse den Salon betreten, seine unerwartete Reisegefährtin zu begrüßen und sich ihr für alle Nothfälle zur Verfügung zu stellen, dann aber jede weitere Berührung mit ihr zu vermeiden und so neuen zwecklosen Kämpfen mit sich selbst aus dem Wege zu gehen. Er hätte aber des letzteren Entschlusses kaum bedurft. Ellen Peters war ihm mit einer so kalten Gehaltenheit entgegengetreten, hatte ihm so formell für seine Erbietungen gedankt, daß von einer Annäherung seinerseits, selbst wenn er sie gewünscht, kaum die Rede hätte sein können, und umsonst hatte Behrend nach diesem Empfange sich selbst überreden wollen, daß die Weise desselben nur seinen Wünschen entsprochen. Jemehr er sich jedes Gedankens an das Mädchen zu entschlagen gestrebt, um so bestimmter hatte sich ihr Bild ihm aufgedrängt, und mehr als einmal ertappte er sich, daß er, in eine Ecke zurückgezogen, seine Augen unbewußt ihren graziösen Bewegungen folgen ließ oder sich im Anschauen ihrer Züge, in denen beim Gespräche mit ihrer heimkehrenden Freundin die ganze lebendige Anmuth von früher aufstrahlte, berauschte. Hätte sie eine ruhige Freundlichkeit gegen ihn beobachtet oder wenigstens seine Anwesenheit nicht so völlig ignorirt, so wäre ihm, wie er meinte, wohl mehr Kraft zur Bekämpfung einer Empfindung geworden, welche ihm unter den obwaltenden Verhältnissen selbst wie eine Lächerlichkeit erschien, als dieser Haltung gegenüber, die ihn durch ihre zurückweisende Kälte reizte, und ihm zugleich den Ton von Besorgniß in ihrer früheren Frage: „Aber wenn er nun wirklich nach New-Orleans ginge, Vater?“ diesen Ton, der noch immer aus seinem Herzen herauf klang, wie eine Sinnestäuschung erscheinen lassen wollte. Nur einmal meinte er bemerkt zu haben, daß sie sich mit ihm beschäftige. Es war kurz vor der Ohiomündung, an welcher sie mit der heimkehrenden Freundin das Boot verlassen sollte, als sie mitten im Gespräch mit der letzteren aufsah und wie unter einem bedrückenden Gedanken die Augen suchend über die wenigen in dem geräumigen Salon zerstreuten männlichen Gestalten laufen ließ, bis sie ihn in seiner Ecke entdeckt. Fast war es ihm, wie jetzt ihr Blick in dem seinen hängen blieb, als drücke sich eine Art ängstlicher Theilnahme darin aus, und in dem jungen Manne zuckte es, sich zu erheben und ihr, noch ehe das Boot anlegte und sie es verlassen mußte, ein herzliches Wort des Abschieds zu sagen; da aber senkte sie plötzlich, wie sich ihrer bewußt werdend, das Gesicht, und ihr nächster Ausblick zeigte ihm so kalte, steife Züge, als wolle sie damit ihr augenblickliches Sichgehenlassen ausgleichen. Behrend konnte einem Gefühle tiefinnerlicher Verletzung nicht wehren, er erhob sich rasch und wandte sich nach seiner „Cabin“, um dort sich auf sein Bett zu werfen, bis das Boot die Landungsstelle, welcher es zusteuerte, wieder verlassen haben würde. Sobald das Mädchen dort einmal das Ufer betreten, mußten alle diese quälenden Gefühlserregungen für ihn ein Ende nehmen.

Fast war ihm unter dieser ausschließlichen Beschäftigung mit sich selbst der Gedanke an jene seltsamen Unterredungen Webster’s mit einem Menschen, der kaum zu einer guten Vermuthung Anlaß geben konnte, aus der Seele gewichen; er sollte indessen auf eine überraschende Weise daran erinnert werden.

Das Boot hatte am Lande angelegt und begann wieder in sein Fahrwasser einzubiegen; nur die wenigen Passagiere, welche trotz der Jahreszeit weiter südwärts gingen, waren an Bord geblieben, und fast hatte das auffällig kurze Verbleiben an der Landung darauf schließen lassen, daß dem Capitain, der übrigens noch nirgends sichtbar geworden, kaum etwas an einem Ersatze der abgegangenen „lebendigen Fracht“ liege. Behrend war, sobald er das wiederbeginnende Arbeiten der Maschine gehört, aus seiner „Cabin“ in den jetzt völlig leeren Salon getreten und hatte sich einem der Seitenausgänge zugewandt, um dort einen letzten Blick auf die Landung und damit vielleicht auf Ellen, welche hier das Ende ihrer Reise gefunden und wohl auf Nimmerwiedersehen geschieden war, zu erlangen. Da trat ihm durch die offene Thür ein Gesicht entgegen und drehte sich, ohne ihn zu beachten, nach der im vordern Theile des Boots befindlichen Office, in welchem ihm sofort das treue Bild, welches Bob von Wilson’s Erscheinung entworfen, in die Augen sprang. Unwillkürlich wandte er sich, um dem Eingetretenen nachzublicken, und sah, wie der „Office-Clerk“, als habe er jenen bereits erwartet, hinter seinem Pulte hervor und dem Nahenden entgegentrat.

„Halloh, Butler, so eilig?“ rief der Letztere, ohne seiner Stimme einen Zwang anzulegen, „was kann’s denn jetzt noch geben?“ Und in diesem „jetzt noch“ meinte Behrend ganz den satanischen Hohn klingen zu hören, wie Bob ihn angedeutet.

„Es kann nicht nur geben, es giebt, Sir!“ war die hastige gedämpfte Antwort, mit welcher der „Office-Clerk“ dicht an den Andern herantrat, „sie hat weitere Passage bis Memphis genommen und nicht daran gedacht, das Boot zu verlassen – was nun?“

Behrend, welcher bei dem ersten gefallenen Worte sich wieder in die Deckung des Ausgangs zurückgezogen, meinte plötzlich einen Stich in der Herzgegend zu fühlen; Alles, was Bob ihm von dem letzten Gespräche zwischen Webster und diesem Wilson mitgetheilt, war mit der Schnelle des Blitzes vor ihn getreten; er verstand in keiner Weise, um was es sich handelte, aber er wußte, daß diese „sie“ doch nur Ellen Peters sein konnte.

Eine momentane Pause, wie unter der Macht einer unvorhergesehenen Nachricht, war eingetreten. „Sie geht noch mit uns?“ klang dann Wilson’s hörbar unterdrückte Stimme von einem leisen, heiseren Lachen begleitet, „und ganz allein?“

„Sie scheint sich der einzigen Lady, die Passage bis Memphis genommen hat, angeschlossen zu haben,“ war die halblaute Antwort, „die Andere, welche früher bei ihr war, ist hier an’s Land gegangen.“

„Nun, verdammt will ich sein, wenn ich mich nur eine Minute lang daran kehre!“ erwiderte Wilson, man wußte aber kaum, klang Lachen oder Aerger in seinem Tone, „ich habe bis hierher mein Wort gehalten, von Weiterem aber weiß ich nichts.“

„Noch einen Augenblick, Wilson!“ sagte der „Office-Clerk“ hastig, als habe sich Jener zum Gehen gewandt, und die ferneren Worte wurden in einem jetzt folgenden Flüstern unhörbar; Behrend aber hielt es für gerathen, auf die Gallerie hinaus zu treten, um jeden Schein, als habe er von der stattgefundenen Unterredung etwas vernommen, von sich zu halten. Es war ihm vor den eindrängenden Gedanken fast wirr im Kopfe – was konnte denn beabsichtigt werden, das mit ihr oder ihrer Anwesenheit auf dem Boote hätte in Verbindung stehen können – und was war es auf der andern Seite, das sie hier zurückgehalten, sie zum Verlassen ihrer Freundin und zur Weiterfahrt vermocht? Der Gedanke durchschoß ihn, zu ihr zu reden, ihr Alles, was er beobachtet und gehört, mitzutheilen und sich damit vielleicht selbst Klarheit zu schaffen; aber wenn sie seine Einmischung in ihre Angelegenheiten hätte dulden wollen, wäre sie dann nicht längst eine Andere gegen ihn gewesen? Er dachte an Bob, den er seit der Abfahrt von St. Louis nicht wieder gesehen, diesem mußte Gelegenheit zu weiterer Beobachtung geworden sein – und froh, wenigstens einen Gedanken zu haben, dem er nachzugehen vermochte, begann er langsam das Boot zu durchwandern, um des Schwarzen habhaft zu werden. Was noch von Reisenden an Bord war, mußte sich in die Cabins zurückgezogen haben, denn der Salon und die Gallerien waren leer; aber auch als er nach dem untern Deck, das zum großen Theile mit Frachtgütern besetzt war, hinabstieg, fiel ihm der Mangel aller Arbeiter auf, und er hatte sich erst scharf umzublicken, ehe er außer dem Wächter an der Maschine einen zweiten Menschen entdeckte. Auf seine Frage nach dem Gesuchten ward er kurz nach einem Verschlage gewiesen; als er aber dort die Thür öffnete, prallte er fast vor dem sich ihm entgegenhebenden Gesichte des Schwarzen zurück. Ueber die Nase desselben lief ein breites Pflaster, die wulstige Oberlippe war wie von einem Schlage halb durchrissen, und eins seiner Augen, welches hervorgequollen und blutig im Kopfe hing, schien der Verwundete soeben mit Wasser zu kühlen. Mit einer Grimasse, wunderlich aus Höflichkeit und Schmerz gemischt, begrüßte dieser den Eintretenden, dann aber schloß er hastig die Thür und wie den Gesichtsausdruck Behrend’s beantwortend sagte er halblaut: „Es ist wirklich der Bob, Sir, und so hat ihn der rothe Teufel zugerichtet. Der meinte, ich belauere seine Schritte, was er mir austreiben wolle; aber bei Jesus Christ, Sir, ich denke es ihm nicht schuldig zu bleiben – ich habe hier schon genug gesehen! – Nichts, Sir, nichts, was von sich schon sprechen ließe,“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 802. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_802.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)