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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Kappel die Kammerjungfer Anna Dutkin schon erwacht. Unter dem Vorwande, ein Schreiben abgeben zu müssen, ließ er sich von ihr in das Arbeitszimmer des Barons führen. Hier siegelte er den von Gerlach copirten Brief mit dem Petschaft seines Herrn und ging dann vorsichtig in den Hof. Er weckte den Jägerburschen Johann Böhmelt, befahl ihm, sich schleunig anzukleiden und heraus zu kommen. Er händigte dem Burschen die Copie des Briefes ein und beauftragte ihn, das Schreiben nach Siebenhuben an den Curatus Schmidt zu bringen, aber, so lieb ihm sein Dienst und sein Rücken sei, Niemandem, auch wenn er zurückgekehrt sei, ein Wort von der Sache zu sagen. Diesen Auftrag hat Böhmelt pünktlich ausgerichtet. Kappel verabschiedete sich nun von Gerlach, der ihm seinen Segen gab, und ging bis zum Vorwerk Casserei; hier borgte er ein Pferd und sprengte mit verhängten Zügeln nach Strehlen. Als der Hufschlag über das Steinpflaster donnerte, liefen die Wachen zusammen, aber er kümmerte sich nicht darum. Endlich hielt er, in eine Dampfwolke gehüllt, vor der Thür des Hauses, welches der König bewohnte. –

Vor der Thür der Wohnung stand der im Briefe bemerkte Wagen, an welchen Kappel sein Pferd band. Der Jäger hatte sich während des Rittes noch einmal Alles überlegt und war zu dem Resultate gelangt, daß er in diesem Augenblicke eine Person von großer Wichtigkeit sei und das Geschick von Ländern in Händen hatte. Kraft dieses Bewußtseins trat er deshalb keck in den Hausflur und auf des Königs Zimmer zu. Hier aber stellte sich ihm ein baumlanger Grenadier in den Weg, der ihn mit den Worten: „Zurück! So geradezu geht man nicht zum König,“ bei Seite stieß.

„Ich aber,“ entgegnete Kappel, „habe Sachen von Wichtigkeit abzugeben.“

„Dafür ist in der andern Stube der wachthabende Officier, wenn der Ihn annimmt, so wird Er beim König gemeldet.“

Der Officier schien jedoch nicht geneigt dazu. Er sagte: „Ich bin nicht dazu da, Leute beim Könige zu melden, besonders solche, die so verwirrt aussehen. Geh’ Er über die Straße zum General-Adjutanten von Krusemark.“

„Aber, mein Lieutenant,“ entgegnete Kappel, „ich habe einen offenen Brief, den der König gleich haben muß. Wenn Sie mir nicht glauben wollen, so lesen Sie ihn. Sie werden dann erfahren, wie wichtig die Sache ist.“

„Ich lese keine Briefe, die der König haben muß,“ versetzte der Officier, „und nun scheert Euch zum General Krusemark.“

Damit warf der Mann sich wieder in seinen Sessel.

Kappel eilte, immer besorgter werdend, zum General Krusemark. Hier war er glücklicher. Er wurde eingelassen. Der General lag im Bette. Eilig übergab Kappel den Brief und begann seine Erzählung.[1] Je weiter er in der Darlegung kam, desto höher richtete Krusemark sich wie eine Steinfigur im Bette aus, desto länger und bleicher ward sein Gesicht. Endlich warf er die Augen auf den Brief, durchflog ihn und war mit einem ungeheuern Satze aus dem Bette, fuhr wie der Blitz in die Beinkleider und Stiefel, dann in seinen Rock, stülpte den Hut auf den Kopf, legte seinen Degen an und packte den erschrockenen Kappel. „Er bleibt hier im Zimmer,“ rief er, „läßt sich nicht am Fenster sehen, denn Er ist in Strehlen bekannt. Ich werde Ihn durch einen Officier abholen lassen.“

Nach diesen Worten eilte Krusemark aus dein Zimmer und schloß die Thüre zu. Eine Viertelstunde verstrich. Dann erschien ein Lieutenant, der Kappel aufforderte, mit ihm zum Könige zu kommen. Der Jäger mußte einen blauen Roequelor umhängen und einen Federhut aufsetzen; so vermummt ward er durch den Garten in das Zimmer des Königs geführt. Es war außer dem König nur noch Krusemark zugegen. Friedrich ging eine Zeitlang schweigend heftig auf und ab. Plötzlich blieb er vor dem Jäger stehen und fragte mit bewegter Stimme:

„Weiß Er nicht, womit ich das an Seinem Herrn verdient habe?“

„Ich weiß es nicht. Nur so viel ist mir bekannt, daß der Baron sehr unzufrieden mit Ew. Majestät Regierung ist, weil er mit seinen Gutsbauern nicht machen kann, was er will.“ – –

Kappel mußte nun eine genaue Schilderung machen, von dem Plane selbst, dessen Entstehung und Fortgang reden und darlegen, wie es in der nächsten Nacht hätte kommen sollen. Schweigend hörte der König ihn an und wendete nicht eine Secunde seine Augen von Kappel’s Antlitz. Als dieser geendet, fragte der König: „Wie lange dient Er dem Baron?“

„Acht Jahre lang.“

„Er muß ihm nicht mehr dienen. Er ist ja wohl aus Mitrowitz? Wessen Unterthan?“

„Des Grafen Wratislaus, in der Nähe von Kollin ansässig.“

„Ich kenne die Gegend.“ Der König trat dicht an den Jäger heran, so nahe, daß dieser den Athem spürte. „Katholisch ist Er? Nicht wahr?“ fragte Friedrich.

„Ja, Majestät.“

„Und Sein Herr ist lutherisch?“

„Ja, Majestät.“

„Nun sieht Er, Jäger, es giebt unter allen Religionen ehrliche Leute und Schufte. Die Sache kommt aber nicht von Ihm selbst; Er ist ein bestimmtes Werkzeug für mich von höherer Hand abgeschickt und nicht schuld daran. Ich werde Ihn gut aufheben lassen.“ –

Kappel bezeigte nun sein Bedauern, daß der Baron solchergestalt gegen den König verfahren. Hierauf entließ ihn Friedrich, gab aber Befehl, ihn mit Niemandem, bis auf weitere Ordre, sprechen zu lassen. Er erhielt sein Quartier beim Jägercorps und ward schon am folgenden Tage in Strehlen verhört, darauf aber nach Breslau abgeführt.[2] – Es ward sofort Befehl gegeben, den Warkotsch zu verhaften, und der Hauptmann von Rabenau mit 100 Dragonern zur Arretirung abgesendet. Rabenau fand den Baron im Schlafrocke bei Tische. Er kündigte ihm den Arrest an. Warkotsch benahm sich sehr ruhig, lud den Hauptmann ein, mit ihm zu speisen, und während des Desserts ging er in das Nebenzimmer, sich umzukleiden. Da er die sein Haus umzingelnden Dragoner bemerkte, bat er den Hauptmann, er möge die Soldaten in das Wirthshaus des Dorfes senden und nicht fürchten, daß er, der Baron Warkotsch, entrinnen werde, dafür seien die großen Besitzungen, die er ja dann im Stiche lassen müsse, Bürge. Rabenau war unvorsichtig genug, auf des Barons Bitten einzugehen. Kaum waren die Posten abgezogen, als Warkotsch, der dem Hauptmann fleißig zutrank, in sein Schlafzimmer ging. Er hatte vor Rabenau’s Augen Geld zu sich gesteckt, eilte von seinem Schlafzimmer in den Stall, wo ein trefflicher Engländer für alle Fälle gesattelt stand, und jagte durch den Schloßpark auf die österreichischen Vorposten zu. Nach Verlauf einer Viertelstunde ward Rabenau unruhig, er fragte nach dem Baron – Niemand wollte mit der Sprache heraus, bis endlich einer der Diener die sehr unerwünschte Auskunft gab, der Herr sei in gestrecktem Galopp durch den Park geritten. Ein nachgesendetes Commando kehrte unverrichteter Sache zurück; der Baron war schon im Gebirge, wohin er nur eine halbe Stunde zu reiten hatte, verschwunden. Rabenau, einer der tüchtigsten Männer der Armee, wollte sich in Verzweiflung den Degen durch den Leib rennen, woran ihn die Frau von Warkotsch hinderte. Rabenau ward später arretirt, vor ein Kriegsgericht gestellt, aber nur mit Arrest und Verweis bestraft. Sein Avancement ließ jedoch fünf Jahre warten. Endlich erhielt er den Majorscharakter und nahm dann seinen Abschied. Er starb auf seinem Gute Tschertschendorf bei Grünberg.

Nicht glücklicher war man mit dem Einfangen des Curatus Schmidt. Dieser war bei dem Herrn von Nimptsch zur Tafel. Ein Unterofficier von den Zastrow’schen Dragonern verhaftete ihn. Schmidt entfloh durch einen seiner priesterlichen Würde sehr unangemessenen Ort – – dessen Besuch der Unterofficier ihm gestattet hatte. Herr von Nimptsch ward an seiner Stelle arretirt, aber auf Kappel’s Zeugniß freigelassen. – Warkotsch hatte die Frechheit, in derselben Nacht nach seiner Flucht unter Escorte von 300 österreichischen Husaren nach Schönbrunn zurückzukehren. Er fand sein Schloß ganz verlassen, und nur die Frau des Jägers Kappel hütete das öde Gebäude, da Rabenau die Baronin in das preußische Hauptquartier transportirt hatte. Warkotsch weckte die Kappel und rief ihr freundlich zu: „Liebe Susel, mach auf.“ Er fragte zuerst: „Wo ist Kappel?“

„Ich weiß es nicht.“

„Gott stehe ihm bei.“[3]

Sodann forderte er die Schlüssel und ging mit dem Officier

in sein Arbeitscabinet. Er nahm 30,000 Thaler aus dem Schreibspinde,

  1. Verhörsacten Fol. 198, 199, wörtliche Aussage Kappel’s.
  2. Mündliche Aussage Kappel’s.
  3. Aussage des Jägers Kappel Fol. 125, 128.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 809. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_809.jpg&oldid=- (Version vom 31.3.2021)