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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

von Obstbäumen dergestalt verwüstet, daß auch nicht eine Blüthe zur Entwicklung kommt und die Bäume wie roth und verbrannt aussehen.

Glücklicher Weise giebt die Natur selbst durch den Mangel der Flugfähigkeit des Weibchens die Mittel an die Hand, seinen Verheerungen eine Grenze zu setzen. Man schabt eine ringförmige Stelle in einer gewissen Höhe um den Stamm herum glatt ab und klebt darüber ein Theerband, welches man am besten aus angefeuchtetem Papier bereitet, das man mit einem Bindfaden fest bindet. Man trägt zuvor Sorge, mit Lehm, Kalk, Gyps alle Zwischenräume zwischen dem Stamme und dem Bande dergestalt zu verkleben, daß auch nicht das kleinste Thierchen zwischen dem Stamme und dem Bande durchschlüpfen kann. Dann überstreicht man dasselbe, das wenigstens handbreit sein muß, mit dickflüssigem Theer und wiederholt den Anstrich so oft, als seine Oberfläche trocken wird. Man legt diese Theerbänder im October an und unterhält sie, je nach Bedürfniß, durch öfteres Ueberstreichen bis in den Januar in der Weise, daß sie stets eine klebende Oberfläche darbieten. Man wird nun mit Erstaunen sehen, welche Unzahl von verschiedenen kleinen Bestien, die in den Rindenspalten eine Zuflucht suchen, sich auf diesen Theerbändern fängt und wie namentlich in Jahren, wo die Verhältnisse die Entwickelung des Frostspanners begünstigen, oft eine Nacht hinreicht, das Theerband so über und über mit Spannerweibchen zu besetzen, daß man die Vermuthung hegen kann, einige derselben seien über die Leiber der angeklebten hinüber doch zu den Zweigen gelangt. Ich erinnere mich noch sehr wohl, daß in meiner Vaterstadt Gießen erst gegen das Ende der zwanziger Jahre den Gartenbesitzern ein Licht über die Verheerungen des Frostspanners aufging und daß mein Vater sich unendliche Mühe gab, die Naturgeschichte des Thieres durch gemeinnützige Belehrungen bekannt zu machen. Nichts half im Anfang! Man lachte ungläubig zu der Behauptung meines Vaters, daß das Weibchen flügellos sei und durch Theerringe gefangen werden könne, während das Männchen vortreffliche Flügel besitze. Wir besaßen einen großen Obstgarten mit mehr als hundert hochstämmigen Obstbäumen, der dem früheren Walle abgewonnen und mitten zwischen anderen Obstgärten derselben Art gelegen war. Mehrere Jahre hindurch bepinselte mein Vater unverdrossen alle Bäume bis in die letzten Zweige hinein mit ungelöschtem Kalk und legte dann seine Theerringe im Herbste an. Der Kalkanstrich, öfter wiederholt, schuf förmlich eine neue, glatte Rinde um die Bäume, welche dem Ungeziefer keine Schlupfwinkel mehr bot; auf den Theerringen fingen sich Millionen von Spannern, so daß die ganze Familie Nachmittags in hellen Haufen ausziehen mußte, um den Anstrich zu besorgen. Die Spaziergänger, welche um den Wall herumgingen, hatten mancherlei spitzige Redensarten und höhnende Zurufe über meines Vaters Gespenstbäume zur Hand, und die „Schmeerbuben“ mit ihren Theertöpfen wurden auch nicht übel gehänselt. Als aber im nächsten Frühjahre unser Garten in vollem Blüthenschmuck prangte, während die benachbarten Gärten alle aussahen, als hätte sie der giftige Hauch der Wüste versengt, als wir im Sommer Kirschen, im Herbste Pflaumen, Aepfel und Birnen, die Nachbarn aber nur das Nachsehen hatten: fand man die weißen Bäume doch nicht so ganz unschön und die Theerringe nicht übel, und es brauchte nicht einmal die Probe eines zweiten Jahres, um die Maßregel fast allgemein durchgeführt zu sehen.

Mit den bis jetzt erwähnten Schmetterlingen ist indessen die Reihe unserer Feinde bei Weitem noch nicht geschlossen. Es giebt eine Unzahl sogenannter Kleinfalter (Microlepidoptera), welche in Dämmerung und Nacht ihr Wesen treiben, durch ihre Kleinheit und meist Unscheinbarkeit der Farben wenig die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, von den jugendlichen Sammlern deshalb meist verschmäht werden und dennoch die höchste Beachtung verdienen. Die Zünsler (Pyralis), deren Schmetterlinge besonders große Taster besitzen, Schnurren, die wie Hörner am Kopfe hervorragen, die Wickler (Tortrix) mit geschulterten Flügeln, deren Raupen meist die Blätter in Gestalt einer Cigarre zusammendrehen, häufig aber auch in Früchte und Schossen bohren, die Motten oder Schaben (Tinea), deren Flügel in der Ruhe etwa wie ein Hofdamenmantel den Leib decken – all dieses Kleinzeug der Schmetterlingswelt treibt beständig seine Minengänge gegen uns in Feld und Wald, Garten und Wiese, in Häusern, Ställen und Speichern, in Kleidern und Vorräthen, so daß wir kaum wissen, wo wehren. Und wenn es noch mit den sichtlich in die Erscheinung tretenden Wicklern und Motten gethan wäre! Aber all jene unsichtbaren Wickelraupen, welche durch Spinnen und Nagen die vielfachen Blätter, aus welchen das einige Deutschland gemacht werden soll, so gerollt und gewickelt haben, daß kein Mensch mehr in der welken Cigarre sich wohl fühlt und Niemand weiß, wie die Verwicklung zu lösen sei – und all jene lichtscheuen Motten, welche nach den germanischen Köpfen umherflattern und hier preußisch schwarz-weiß sich kleiden, dort schwarz-gelben Hofmantel tragen oder gar lichtensteinische Verbrämung an ihr scheckiges Gewand setzen – wer, meine Herren, treibt uns diese Wickler und Motten aus? Die Polizei wenigstens gewiß nicht!

Unter den deutschen Zünslern ist es namentlich der Pfeifer (Pyralis mararitalis), welcher hie und da bedeutenden Schaden zufügt, indem er in die jungen Schoten von Raps und anderen kreuzblüthigen Pflanzen, welche zur Oelgewinnung benutzt werden, große Löcher bohrt, so daß die Schoten etwa wie Querpfeifen aussehen. Die Raupe frißt nur den Samen und lebt lange genug, um mehrere Schoten nach einander auszuhöhlen. Haben wir auf der rechten Seite des Rheins es mit diesem Musikliebhaber zu thun, so kämpft dagegen die linke Rheinseite, und zwar mit weit geringerem Erfolge als gegen die Oesterreicher, gegen den Weinzünsler (Pyralis vitana), welcher durch die Vernichtung der Weinernten den kriegerischen Geist der Franzosen bedeutend herabzustimmen droht und schon zu verschiedenen Zeiten die Heimath Lamartine’s, die Umgegend von Macon, ohne die mindeste Rücksicht auf die finanziellen Verhältnisse des Dichters auf die grausamste Weise mißhandelt hat. Der Falter fliegt im August, legt seine gelblichen, mit härtlichem Schleime bedeckten Eier in einen Haufen auf die Oberseite der Blätter, so daß sie leicht sich erkennen und wegnehmen lassen. Die Räupchen spinnen Alles zusammen, was sich nur irgend in ihrer Nähe befindet: Blätter, Ranken, Schossen, thun indessen zu dieser Zeit noch nicht viel Schaden, da sie noch klein sind, nur das Blattgrün fressen und bei dem ersten Froste sich in Schlupfwinkel in der Rinde und den Weinpfählen zurückziehen, wo sie den Winter über in Erstarrung zubringen. Mit dem ersten Frühlinge aber brechen sie aus, fallen über die Knospen her, spinnen stets größerwerdende Nester zusammen, aus welchen man sie nicht herausschütteln kann, und verheeren nun den Weinstock in schauerlicher Weise. Als einziges Mittel gegen diese Verheerungen empfiehlt man das Einsammeln der Eier auf den Weinblättern im August.

Der deutsche Weingärtner beklagt sich über den Sauerwurm oder Heuwurm (Tortrix uvana), dessen erste Generation im Beginne des Frühlings, die zweite im Juli erscheint. Die Frühlingsräupchen oder Heuwürmer fressen in den Knospen hauptsächlich die Blüthenknöpfe, die im Herbst erscheinenden Räupchen der zweiten Generation die Traubenbeeren selbst, in welche sie sich einfressen und nach dem Kerne hinbohren. Diese angestochenen Beeren zeigen in der Nähe des Stieles einen blauen Fleck mit einem Löchelchen darin, durch welches der Unrath herausgeschafft wird. Die Raupe höhlt eine Beere nach der andern aus, spinnt sie zusammen, erzeugt saure Fäulniß und hat namentlich in dem Seegebiete Würtembergs und Badens öfters schon die ganze Traubenernte zerstört.

Sowie in den Traubenbergen haust ein anderer Wickler, dessen Raupe gewiß allen meinen Lesern wohl bekannt ist, in den Aepfeln (Tortrix pomonana), ein anderer in den Pflaumen. Die Eier werden von den kleinen Faltern in die Blüthen gelegt, die jungen Raupen bohren sich meist oben von dem Kelche der Aepfel aus in das Kernhaus hinein, legen sich einen Gang nach außen an, durch welchen sie den Unrath hinausschaffen, und haben ein ganz besonderes Talent in der Auffindung derjenigen Stellen, wo zwei nebeneinander hängende Aepfel sich berühren, wo sie dann von einer Frucht in die andere hinübergehen. Die angebohrten Früchte fallen meist früher ab, als die andern, worauf die Raupe sie verläßt und sich irgendwo an einem geschützten Orte, am liebsten an morschem Holze, mit dessen abgenagten Schabseln sie ihr Gewebe vermengt, einspinnt und als Raupe das Frühjahr erwartet. Ganz in ähnlicher Weise haust der Pflaumenwickler (Tortrix nigricana) in allen Sorten von Pflaumen und namentlich Zwetschen. Das sorgfältige Abschütteln und Auflesen der frühreifen Früchte ist gewiß das beste Mittel, den Verheerungen des ekelhaften Wurmes Einhalt zu thun.

In jeder Beziehung die unangenehmsten Raupen für den Obstzüchter sind die unleidlichen Wickelraupen, welche vorzugsweise in den Blüthenknospen der Obstbäume sich festsetzen (Tortrix variegana, Tortrix orellana, Tortrix pruniana), diese zusammenspinnen

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 811. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_811.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)