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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Sache halber, vielleicht selbst zur Angabe einzelner Umstände bereit sein.“

„Ich stehe jedenfalls zu Diensten,“ erwiderte Behrend, „wenn Sie mich nur aufklären wollen, was der Gegenstand Ihrer Nachfrage ist –“

„Ah, ich vergaß, Sir, daß der Wollkopf geschwiegen hat, um sich allein die mögliche Belohnung zu sichern,“ lachte der Friedensrichter, seinen Hut schwenkend, „nun, es handelt sich, kurz gefaßt, um die Speculation eines Handelshauses in St. Louis, welches den Dampfer „Lilly Dale“ voll befrachtet, diese Fracht, allem Anscheine nach, als werthvolle Güter hat versichern lassen, während der angegebene Whiskey nur aus Mississippi-Wasser, das Schweinefleisch, der Speck und was sonst noch weiter aus anderem werthlosen Material, welches indessen mit leicht brennbaren Stoffen gesättigt worden, bestanden hat; es handelt sich ferner darum, daß der gestrige Nebel, welcher jede Beobachtung vom Ufer unmöglich machte, benutzt worden ist, um Seitens zweier Agenten des erwähnten Handelshauses das Boot in Brand zu stecken und so ohne Rücksicht auf das Leben der Passagiere die Versicherungssumme der gesammten Ladung als Gewinn herauszuschlagen. Die Speculation, obwohl etwas gefährlich,“ fuhr der Sprechende mit einem sardonischen Lächeln fort, „sieht sehr möglich aus und ist auch wohl schon dagewesen; nur handelt es sich darum, daß eines Niggers Zeugniß hier zu Lande kein Zeugniß ist und daß ihm von anderer Seite wenigstens die nöthigen Unterlagen geschaffen werden müssen – deshalb wollte ich mich hier sogleich unterrichten, was von einer Begründung der gemachten Angaben etwa vorhanden sein würde.“

„Und Bob’s – des Schwarzen Aussagen haben Sie zu der eben ausgesprochenen Ueberzeugung gebracht?“ fragte Behrend, welcher plötzlich in Allem, was er früher gehört und belauscht, so klar zu sehen meinte, daß er nicht begriff, wie er nicht längst selbst die Wahrheit habe erkennen müssen.

„Nicht ganz, Sir,“ erwiderte der Friedensrichter, „Sie sollen sogleich die Einzelnheiten hören, und wenn Sie dann im Stande sind, mir die nöthigen Ergänzungen zu geben, so wird es vielleicht noch möglich werden, die Hauptschuldigen hier in der Nähe zu fassen. Sie können nur am Tennessee Ufer gelandet sein, denn drüben im Rohrfelde ist meilenweit kein Unterkommen.“ Er winkte dem Schwarzen, welcher bisher unter einem seltsamen Mienenspiele dem Gespräche gefolgt, ihm den dritten Schemel neben der Thür herbeizuholen, und als er dann mit einer höflichen Verbeugung gegen das mit ernsten, großen Augen der Verhandlung folgende Mädchen dieses zum Niedersitzen eingeladen, wandte er sich mit einem: „Warte draußen, bis Du gerufen wirst!“ nach dem Neger und nahm dann selbst Platz.

„Die Sache ist die,“ fuhr er fort, während Behrend gespannt sich ebenfalls niederließ, „daß der Neger, welcher bereits ein Jahr alle Fahrten des Boots mitgemacht hat, bei der Abreise von St. Louis plötzlich einen neuen Frachtmeister am Bord erblickt, der zugleich, sonst ganz ungewöhnlich, den Dienst des Maschinenmeisters mit versieht; daß er aus einem belauschten geheimen Gespräche des Boot-Eigenthümers mit diesem Manne auf irgend ein verstecktes Vorhaben schließt und mit der Neugierde seiner Race ihn auf Tritt und Schritt während der Reise belauscht. Da nimmt er denn wahr, daß dieser Wilson, wie er ihn nennt, in jeder Nacht den Dienst an der Maschine und den Oefen selbst übernimmt und die Arbeiter zum Schlafen schickt, nimmt wahr, daß der Genannte die hart am Bord des Bootes aufgeschichteten Whiskeyfässer nach und nach leer laufen läßt, sobald er sich allein glaubt, und entdeckt bei einer gelegentlich passenden Untersuchung der ausgelaufenen Flüssigkeit, daß diese nichts als Flußwasser ist – die spätern Folgen seiner Beobachtungen trägt er noch heute im Gesichte, wie er Ihnen erzählt haben will. Er sieht ferner, daß die Deckarbeiter nur bis zu einzelnen Stationen angenommen sind und dort das Boot verlassen, da in Memphis, wie es heißt, die frühere Mannschaft wartet, um die Reise nach New-Orleans mitzumachen, sieht gestern das untere Deck bis auf diesen Wilson, welcher zu Zeiten in heimlichem Gespräche mit dem herunter gestiegenen Office Clerk steht, völlig entblößt und findet sich endlich bei beginnender Nacht in seiner Kammer eingeschlossen. Aus Furcht vor neuen Mißhandlungen wagt er nicht, sich zu befreien, bis plötzlich eine blendende Helle und ein lautes Prasseln ihn aus einem kurzen Halbschlummer aufschreckt. Er sprengt die Thür und sieht die gesammte aufgestapelte Fracht in eine emporflammende Feuermasse gehüllt, während nirgends sich ein lebendes Wesen erblicken läßt. Sein erster Gedanke ist, den äußeren Bord zu gewinnen und nach dem Steuerruder zu eilen, um zu versuchen, dem Boote die Richtung nach dem Ufer zu geben; dort findet er aber jede Mühe vergebens, das Ruder steht unbeweglich, und zugleich entsinnt er sich, daß auch die Maschine stillgestanden, als er seine Kammer verlassen. Jetzt stürzt er nach dem Salon hinauf, um die Passagiere wach zu rufen, und findet bereits eine junge Lady, wie sie in Hast die Cabin verlassen, nach ihrem Begleiter rufend –“ ein Blick nach Ellen, während der Sprecher seine Worte unterbrach, schien diese zur Bestätigung aufzufordern.

Ein hohes Roth stieg in das Gesicht des Mädchens und verschwand wieder. „Ich war allerdings schon im Salon, als der Schwarze hereinstürzte,“ sagte sie nach einer sekundenlangen Pause, „ohne daß ich mir indessen klar bewußt bin, was mich von meinem Lager aufgetrieben hat. Mir ist es, als hätte ich die Stimme Mr. Butler’s, des „Office-Clerks“, gehört: „Retten Sie sich, Miß Peters, das Boot brennt!“ ebensowohl kann das indessen auch eine Sinnestäuschung gewesen sein!“

„Aber Sie haben, so lange Sie wach waren, Niemand von den Beamten des Boots wahrgenommen?“ fragte der Friedensrichter und nickte auf ihre Verneinung dann nachdenklich. „Und nun, Sir,“ fuhr er, mit hellem Aufblick sich an Behrend wendend, fort, „was hätten Sie mir wohl zu sagen? Ich möchte nur noch bemerken, daß ich zwei der leeren Whiskeyfässer, welche der Neger aus dem Flusse gefischt, betrachtet und damit allerdings einen Theil der mir gewordenen Erzählung bestätigt gefunden habe. Jedes volle Whiskeyfaß hätte in diesem Brande explodiren müssen.“

Der junge Mann erhob sich erregt und machte einen raschen Gang durch das Zimmer; er wußte jetzt, daß an seiner Aussage Webster’s ganzes Schicksal hing, wußte auch, daß es in seiner Hand lag, die Versicherungsbank, welcher Peters vorstand, vor einem gewaltigen Schlage zu bewahren oder ihn auf sie fallen zu lasten – er hatte ja selbst gehört, daß dort die gesammte Ladung versichert war. An sich selbst dachte er in diesem Augenblicke gar nicht, es war nur die Wucht, die jedes Wort seines Zeugnisses ausüben mußte, welche ihn einen Moment lang zum Bedenken seiner Aussage gebracht. Dann aber hatte er auch erkannt, daß er, auf jede Folge hin, der einfachen und ganzen Wahrheit die Ehre geben mußte.

Er ließ sich langsam wieder nieder und begann dem Friedensrichter ausführlich die beiden von ihm belauschten Unterredungen mitzutheilen und daran die Bemerkungen Dutch-Henry’s über die Eigenthümlichkeit des Brandes zu knüpfen.

„Greift wie ein regelrechtes Mühlwerk ineinander!“ nickte der Hörer, als Behrend geschlossen; „unter diesen Umständen aber, lieber Herr, werden sofortige weitere Schritte nöthig, von denen der erste sein wird, Sie als einen der Hauptzeugen festzuhalten, bis Sie mir die nöthige Bürgschaft geleistet haben, daß Sie bei den kommenden Criminalverhandlungen sich auf die erste Aufforderung des Gerichts stellen und Ihre Aussage machen werden. Den Neger will ich, wenn er mir auch, schon seiner Belohnung von der Versicherungs-Compagnie halber, nicht davon laufen würde, dennoch in bequemen Verwahr nehmen, und für den Dutch-Henry muß auch ein Bürge gefunden werden –“ er wandte sich mit einem leichten Lächeln nach dem Mädchen, welches indessen den Sinn desselben sofort zu verstehen schien.

„Sie sollen noch heute Bürgschaft haben für uns Alle, die wir nach St. Louis zurück gehen werden, Sir!“ sagte sie, „gestatten Sie uns nur, daß wir von Troy aus die nöthige telegraphische Depesche nach Hause senden!“

Der Richter verbeugte sich zustimmend und erhob sich. „Ich werde der Angelegenheit sofort die erforderliche schriftliche Fassung geben und Sie der Kürze halber sodann selbst nach Troy begleiten!“ sagte er. „Im Uebrigen bitte ich, mein Eindringen mit der Wichtigkeit der Sache zu entschuldigen.“

Er verließ das Zimmer, und Ellen wandte sich mit einem großen, bedeutungsvollen Blicke nach dem jungen Manne. „Das ist Webster!“ sagte sie, sich langsam von ihrem Sitz erhebend. „Jetzt aber, ehe ich die Hand zu der geforderten Bürgschaft biete,“ setzte sie mit einem aufglänzenden, wunderbar aus Glück und Schelmerei gemischten Ausdruck ihrer Züge hinzu, „sagen Sie mir, ob Sie noch immer stromabwärts gehen wollen?“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 822. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_822.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)