Seite:Die Gartenlaube (1862) 827.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

ganz einfach eine Erbschaftsmasse, über welche kein Concurs verhängt war, als Concursmasse angesehen. Mein Gott, es ist ja ein Princip in diesem Erpressungssystem. Nur die deutsche Bevölkerung wird in dieser Weise ausgesogen. Die kunstvollsten Mittel und Kniffe werden angewandt, damit nur recht Viele dabei zu Grunde gehen, damit sie auswandern und den Dänen zu Spottpreisen ihr Hab und Gut überlassen. Sie waren ja in Schleswig. Sehen Sie sich die einst so blühende Stadt an. Die Nahrungslosigkeit greift dort täglich mehr um sich; Fallissements über Fallissements; die meisten Nahrungsquellen werden den Bürgern entzogen; viele Wohnungen stehen leer; die Häuser sind zu verkaufen; es ist aber weder Jemand da, der miethet, noch der kauft. In dieser Noth und Nahrungslosigkeit, wo es sich um das tägliche Brod handelt, greift so mancher sonst brave Mann zu eben keinen moralischen Mitteln. Er wird ein Renegat; er geht zu den Dänen über, oder er macht Concurs und übervortheilt seine Gläubiger. Und wem haben wir das Alles zu verdanken? Schleswig war einst ein so wohlhabendes und glückliches Land!“

„Der preußischen und österreichischen Regierung,“ antwortete ich, „welche das Land entwaffnet, gebunden und erschöpft den Dänen auslieferte; wem anders?“

Hundegebell draußen vor dem Thor und das Vorfahren eines Wagens unterbrach unser Gespräch. Der Arzt sprang auf. „Da kommt mein Freund von seiner verdammten Entenjagd,“ rief er, „welche ihm noch Gicht und Podagra einbringen wird; auch die gnädige Frau scheint von ihrem Besuch zurück zu sein.“

Ich stand ebenfalls auf und wandte mich nach der Thüre, welche in das Vorhaus führte. Die Thür öffnete sich, und der Besitzer des Gutes trat mit seiner Frau in den Saal. Er war noch im Jagdanzuge, in hohen Wasserstiefeln, das Gewehr über der Schulter, ein schöner, stattlicher Mann in den Dreißigen; seine Gemahlin war eine schöne Blondine, mit großen seelenvollen lichtblauen Augen; ihr zarter, weißer Teint war rosig angehaucht von der scharfen Abendluft; ihr reiches, vorn gescheiteltes Haar hatte einen goldigen Reflex. Sie war eine Holsteinerin; Schleswig und Holstein hatten sich auch hier verschwägert. Der Arzt stellte mich vor; sie hießen mich auf das Herzlichste willkommen. Dann erfolgte die ärztliche Standrede wegen der verbotenen Entenjagd. „Geschossen hast Du nichts,“ rief er, „aber der Sprühregen und der Teich haben Dich durchnäßt, mit allen meinen Medicamenten kann ich Dir das Podagra nicht wegcuriren, wenn Du es erst in den Füßen hast!“

„Tröste Dich, Doctor,“ rief der Gutsbesitzer lachend aus, „die Dänen waschen mir den Pelz alle Tage, und doch wird er nicht naß. Du weißt, ich habe eine zähe Natur und einen energischen Willen. Ich soll schon wieder 50 Bankthaler Brüche bezahlen; heute habe ich die Verfügung bekommen; aber so leicht kommt der dänische Amtmann nicht mit mir zu Rande; erst werde ich mich wehren.“

„Was ist denn wieder vorgefallen?“

„Vorgefallen? nichts; ich habe das Verbrechen der Mißlichkeit begangen, und der Amtmann braucht Geld. Ich erzähle Dir’s hernach. Aber erst werde ich mich, Deiner Besorgniß zu Liebe, umkleiden. Und dann wollen wir zu Abend speisen. Unterhalte unsern Besuch so lange.“

Der Gutsherr und seine Gemahlin entfernten sich, um andere Toilette zu machen. Ich blieb mit dem Arzte allein, der sich noch gar nicht wegen der Entenjagd in diesem Regenwetter beruhigen konnte. Dann kam ein Diener in den Saal, um den Tisch zu decken. Nach einer Viertelstunde saßen wir zusammen an der reichbesetzten Abendtafel Zwei Diener warteten auf. Der Wein war vortrefflich. Der Gutsbesitzer gehörte zu den reichsten des Landes; er besaß große Complexe von Ländereien, welche er durch Ankauf noch vergrößert hatte. Intelligent, von bedeutender wissenschaftlicher Bildung, von energischem Charakter und mit den Zuständen im Lande vollkommen bekannt, gehörte er zu den bedeutendsten Repräsentanten des deutschen Elements. Da er vornehme verwandtschaftliche Beziehungen in Kopenhagen hatte, wagten sich die dänischen Beamten nicht so leicht an ihn heran, so verhaßt er ihnen auch war. Seit mehreren Jahren waren unter der Hand Versuche gemacht, ihn zum Verkauf seines großen Grundbesitzes an einen Dänen zu vermögen. Verschiedene Kniffe und Ränke waren zu dem Zwecke in Bewegung gesetzt. Er hätte mehrmals sehr vortheilhaft verkaufen können. Aber er wollte grundsätzlich nicht verkaufen, weil, wenn er das Land verließ, das deutsche Element in Schleswig eine bedeutende und mächtige Stütze verlor. Er schlug deshalb die vortheilhaftesten Anerbietungen aus. Ich bin dieser ehrenhaften und braven Gesinnung in Schleswig vielfach, sowohl auf dem Lande, wie in den Städten, begegnet. In den Friesen und Angeln ist ein Element des Widerstandes und des Ausharrens, wie es sich in keinem deutschen Volksstamm in diesem Maße vorfindet. Renegaten giebt es auch dort; aber im Allgemeinen tritt dieser Widerstand und dieses Ausharren den Dänen in massenhafter Weise und mit zäher Consequenz, selbst oft unter den ungünstigsten äußeren Verhältnissen, entgegen. Die Lombarden und Venetianer haben den Oesterreichern keinen zähern Widerstand entgegengesetzt, als diese braven Angeln und Friesen, welche zur Ehre Deutschlands, welches sie verließ, hier an den äußersten Grenzen deutscher Erde ihren heimtückischen und mit großer Zähigkeit ihre Zwecke verfolgenden Feinden nun seit zehn Jahren mannhaft widerstehen. Es kann das in Deutschland nicht genug gewürdigt werden.

Ich kenne Männer in Flensburg, Tondern und Schleswig, welche selbst unter den drückendsten Nahrungssorgen aushalten. Der „Märtyrer von Oland“ bleibt auf seiner einsamen, von Weststurmfluthen umbrausten Insel in der Nordsee und kämpft mit den salzigen Meereswogen, weil er es für charakterlos hält, Nordfriesland in der Noth zu verlassen. Noch vor wenigen Tagen waren dem braven Manne, an dessen Tische ich heute Abend saß, von seinem Hardesvogt im Namen eines reichen, in Kopenhagen ansässigen Dänen die vortheilhaftesten Anerbietungen zum Verkauf seines Grundbesitzes gemacht worden. Er hatte sie ausgeschlagen. Am andern Tage hatte der schlaue Däne die Anerbietungen in drohender Weise wiederholt und einen noch höheren Kaufpreis geboten. „Ich kann mein Gut nicht verkaufen,“ hatte der deutsche Edelmann erwidert.

„Warum nicht?“ fragte der Däne.

„Weil es Fideicommiß ist, Herr Hardesvogt.“

Da lächelte der Däne schlau und verächtlich. „Wenn es nur das ist,“ sagte er, „dann ist leicht abzuhelfen. Ein Ministerialrescript, nöthigenfalls eine Cabinetsordre wird die Fideicommißqualität für ungültig erklären. Das ist sehr leicht zu bewerkstelligen.“

„Aber ich erkläre sie für gültig und bestehend, Herr,“ erwiderte der Edelmann.

Nach dem Abendessen verließen wir den Speisesaal und blieben noch mehrere Stunden in dem Studirzimmer meines Gastfreundes zusammen. Ich war genöthigt, am andern Morgen abzureisen, um mich nach Flensburg zu begeben. Der Verwalter, an den der Gutsbesitzer einen Theil seines Grundbesitzes verpachtet hatte, leistete uns Gesellschaft. Das letzte Mißlichkeitsdecret wurde mir in Original vorgelegt. Der Gutsbesitzer war in eine Strafe von 50 Bankthaler genommen, weil er einen Bericht an das Ministerium nicht in dänischer, sondern in deutscher Sprache abgesandt hatte. „Ist das nicht, um toll zu werden?“ fuhr er heraus; „ich verstehe kein Wort dänisch, spreche und schreibe kein Wort dänisch, und in meinem ganzen District, in dem das Gut liegt, lebt kein Däne, außer dem dänischen Pastor, den dänischen Beamten und dem dänischen Schulmeister. Trotz alledem ist es ein sogenannter „gemischter District“, wo ein um den andern Sonntag dänisch gepredigt, wo in den Schulen in dänischer Sprache, außer drei Stunden wöchentlich, unterrichtet wird, und wo nun durchaus die dänische Sprache als Geschäftssprache eingeführt werden soll. Bestätigen Sie das, Doctor, Sie kennen durch Ihre Praxis jedes lebende Wesen in unserm District.“

„Ich kann Alles das nur bestätigen,“ sagte der Arzt, „in keiner Familie wird dänisch weder verstanden, noch gesprochen. Es leben hier nur zwei alte Leute, welche, weil sie in ihrer Jugend auf der dänischen Flotte dienten, etwas dänisch verstehen, ohne die Sprache vollständig sprechen, geschweige denn dieselbe schreiben zu können.“

„Noch gestern,“ fügte der Pächter hinzu, „hat der Hardesvogt wieder versucht, mit zwei Landleuten in dänischer Sprache zu verhandeln. Sie verstanden auch nicht ein Wort. Da ist die Verhandlung gar nicht zu Stande gekommen, sehr zum Schaden der Leute, welche einen nothwendigen Vertrag abschließen wollten.“

„Und wie ist denn Ihr Schulmeister und der Pastor?“ fragte ich.

„Der Schulmeister ist dumm, wie ein Klotz, der Pastor ist wie die andern im Lande. Seit Jahren habe ich die Kirche nicht

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 827. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_827.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)