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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

„Wer wird an Aeußerlichkeiten hangen!“ erwiderte er, aber im Innersten that ihm die aufrichtige Bewunderung doch überaus wohl. „Wie geht’s dem Vater?“

„Er ist sehr aufgeregt und hat wiederholt nach Dir gefragt.“

„So gehen wir hinein zu ihm.“

„Erzähle ihm nur recht ausführlich vom Diner. Er wäre gar zu gern dabei gewesen. Auch bin ich selber neugierig.“

Sie traten in’s Krankenzimmer. Günther, ein kleiner, schmächtiger Mann mit ergrautem Haar, saß aufrecht im Bett und drückte hastig die Hand seines künftigen Schwiegersohnes. „Da sind Sie ja,“ sprach er mit flüsternder, heiserer Stimme, oft vom schlimmen Husten unterbrochen. „Die Tafel hat lange gedauert. Oder kommen Sie nicht direct vom Schloß?“

„Wie sollt’ ich hier vorübergeh’n, ohne anzupochen?“

„Ein armer, kranker Mann darf nicht verlangen, daß sich die Welt um ihn bekümmere.“

„Sie sehen doch die Welt in Ihren Freunden?“

„Ich bin allen Menschen Freund.“

„Und Alle sind es Ihnen. O mein verehrter, väterlicher Freund, hätten Sie doch hören können, wie heute wieder, bei der fürstlichen Tafel, Alle von Ihnen mit Liebe und Bewunderung sprachen!“

„Man sprach von mir?“ fiel Günther hastig ein. „Was – bitte, erzählen Sie!“ … Ein heftiger Husten folgte seiner Aufregung.

Amanda legte wie zur Besänftigung der empörten Natur die Hände auf des Kranken Stirn und Brust. Auch Reinhold war liebevoll um ihn besorgt. „Sie sprachen zu viel, lieber Vater,“ sagte das Mädchen, nachdem der heftige Anfall vorüber war.

„Ist von keiner Bedeutung, meine Theueren,“ versetzte der Rendant und zwang sich zu einem Lächeln. „Ein bloßer Kitzel! Ich habe eine starke Natur, und wenn ich erst wieder gehen und arbeiten darf, bin ich in vierzehn Tagen völlig hergestellt. Währenddessen seid Ihr ein Paar geworden, und eines Morgens dann reisen wir in’s Gebirg!“

Die Blicke der Verlobten begegneten sich; sie waren thränenfeucht.

„Aber nun, mein bester Reinhold, erzählen Sie mir Weiteres von der Tafel. War auch mein College Scybylski geladen?“

„Ja.“

„Das war doch sonst nie der Fall! Aber ich ahnt’ es! Man betrachtet ihn bereit als meinen Nachfolger.“

„Niemand denkt daran.“

„Doch, doch! Aber sie irren sich. Ich werde, ich muß genesen, und dann will ich arbeiten, noch viele Jahre arbeiten!“

„Das ist ja unser Aller Wunsch und tägliches Gebet! Ueber einen Mann, wie Sie, von Allen geliebt und Allen ein Muster, hält Gott schützend seine Hand. Der Stolz meines Herzens, mich bald zu den Ihrigen zählen zu dürfen, ist keine Sünde! Wie hob er heute meine Brust, als von Aller Mund Ihr Lob ertönte, als sich zuletzt der Fürst selbst erhob, dem Gefühl der Verehrung für Sie begeisterten Ausdruck gab, und die ganze Gesellschaft jubelnd auf Ihr Wohlergehen die Gläser klirren ließ!“

Hoch auf schlug Amanda’s Herz vor Freude und Genugthuung; auch über das Antlitz des Kranken flog eine leise Röthe, dann aber sagte er mit einer abwehrenden Handbewegung:

„Gott segne den guten, hohen Herrn, aber sein Lob verdien’ ich nicht! Ihr Alle habt zu viel Nachsicht mit mir; ich bin schwach, sündig und irdischen Gebrechen unterworfen, mehr als viel Tausend Bessere in dieser Stadt. Verdienste hab’ ich nicht –“

„Ihre Bescheidenheit sagt das,“ fiel der Pastor, von der schlichten Art des Mannes hingerissen, mit großer Wärme ein. „Anders reden Ihre Vorgesetzten, der Gerichtsrath, der Kreisrichter! Sie sagen, im ganzen Königreich finde man keinen gewandteren Arbeiter und treueren Verwalter. Vor acht Tagen war Ihr Chef, der Gerichtsrath, bei uns zu Tisch. Wir sprachen natürlich von Ihnen. „„Der gehörte an einen ganz andern Posten,““ meinte der Rath. „„Nach der Hauptstadt, in’s Ministerium müßte Günther! Ich wünsch’ es ihm und wünsch’ es nicht; er verdient es, aber ich möchte ihn auch um alle Welt nicht verlieren!““ So äußern sich Ihre Vorgesetzten, und die Ihnen untergeordneten Beamten stimmen nicht minder bereit Ihr Lob an. Der Actuar Scybylski würde für Sie in’s Feuer gehen!“

„Still, still! Nichts mehr von meinen Verdiensten“ rief der Gepriesene. „Ich wollte, daß Sie mein Herz sehen könnten, Ehrwürden, wie es sich krümmt unter Ihrem Lob. Ich bin ein schwacher, sündiger Mensch!“

„Vor Gott sind wir Alle Sünder; unter uns aber sind Sie ein Augentrost und eine Leuchte der Gerechten!“

Nach einer Pause begann Günther: „Haben Sie den Doctor gesprochen?“

„Nur flüchtig,“ antwortete Reinhold verlegen.

„Glauben Sie, daß er mich morgen aus der Stube entlassen wird?“

„Wenn es Ihrer Gesundheit heilsam ist, gewiß.“

„O, wenn ich nur wieder in meinem Büreau bin! Ich werde ein tüchtiges Stück Arbeit nachzuholen haben! das wird mir besser thun, als alle Medicin!“

„Willst Du jetzt nicht ein Weilchen schlafen?“

„Liebes Kind, Du behandelst mich gerade, als ob ich auf den Tod krank wäre. Um sieben Uhr schläft doch Niemand!“

„Aber Doctor Michaelis hat Dir das viele Sprechen verboten.“

„Die Aerzte haben leicht verbieten,“ entgegnete Günther mit der den Kranken eigenthümlichen Gereiztheit. „Doch,“ fügte er hinzu, „ich will es mit dem Doctor nicht verderben, denn er muß mir morgen auszugehen erlauben. Weißt Du was, Amanda? Sing uns ein schönes Lied. Reinhold wird Nichts dagegen haben, und mir thut Dein Gesang gar sehr wohl.“

„Ich bitte darum,“ sagte der Pastor, und Amanda setzte sich an den Flügel im Nebenzimmer und sang mit angenehmer Stimme und leidlichem Vortrag:


Noch nichts von winterlicher Trauer;
Noch einmal warmen Sonnenschein
Und düftetrunkne Ahnungsschauer,
Noch einmal laßt es Frühling sein!

Die schwergebeugten Wipfel warten
Der Hand noch, die die Früchte bricht;
Die Sonnenblume kehrt im Garten
Ihr Antlitz sehnend noch zum Licht.

Noch immer hör’ ich den gewohnten
Gesang der Vögel im Geheg,
Und Schatten gaukeln wie vor Monden
Auf dem verlaßnen Waldesweg.

Und geh’ ich Nachts im Sternenscheine
An Deinem Hause still vorbei,
Regt sich die Sehnsucht, und ich meine,
Daß es noch immer Frühling sei!


Amanda’s Lied verhallte. Von mannigfachen Gefühlen bewegt, blieben die drei Menschen im Schweigen versunken. Draußen aber hatten sich die Nebel zertheilt, und ein klarer Sternenhimmel spannte sich über der Winterlandschaft aus.


2.

Von allen Gästen der fürstlichen Tafel war, außer den Besitzern selbst, nur der Arzt im Schloß zurückgeblieben. Ein früher unbewohnter Flügel war ihm daselbst eingerichtet und enthielt in zwei geräumigen, braungetäfelten Zimmern seine Bibliothek, seine Sammlungen und Instrumente. Das Schlafgemach, das hoch in einem Thurm lag, benutzte er zugleich als Sternwarte.

Einsam und freundlos, wenn nicht Bücher und Sterne und ein alter Pudel seine Freunde genannt werden dürfen, lebte er hier, denn so liebevoll er für seine Kranken sorgte, ebenso kalt und unzugänglich blieb er den Gesunden gegenüber. Wohl hatten der Fürst und die andern Bewohner der Landschaft seine Kenntnisse, wie seinen uneigennützigen Sinn erprobt, aber mehr als Achtung wünschte weder, noch erlangte dieser immer besonnene, gemessene Mann, dessen scharfer Verstand jedes wärmere Gefühl erfrieren ließ. Nach dem Tode seines Vorgängers, des fürstlichen Leibarztes, war er aus der Hauptstadt hierher berufen worden. Von seinem frühern Leben wußte Niemand zu sagen. Nur der Menschenkenner errieth aus den leisen Falten seiner Stirn und einem schwermüthigen Zug um den Mund, daß auch andere Sorgen und Aufregungen als die der Arbeit ihn hatten altern lassen. Er selbst sprach nie von sich. Sogar die gelehrten Abhandlungen, die Früchte seiner rastlosen Studien, veröffentlichte er ohne seinen Namen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_002.jpg&oldid=- (Version vom 30.7.2021)