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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

weißem Haar, dunklen Brauen und stolzen Zügen, ruht auf dem Sopha und betrachtet nicht ohne Unruhe ihren Sohn.

„Theodor!“ begann sie endlich; „Du siehst recht krank aus. Du nimmst Dir das Unglück des Rendanten mehr zu Herzen, als sein eigenes Kind.“

„Mutter!“ erwiderte Reinhold vorwurfsvoll, „wie können Sie das sagen? Hätten Sie doch den Schmerz meiner Braut gestern gesehen!“

„Kann denn Amanda Schmerz empfinden? Ihre leichtlebige Natur scheint Thränen nicht zu kennen.“

„Theuerste Mutter, ich bitte, ich beschwöre Sie, mich in meiner Braut nicht so tief zu verletzen. Sie lieben nur den Ernst, aber meinen Sie nicht, daß auch die Freude in dieser Welt ihr Recht besitzt?“

„Nein – gottselige Heiterkeit hat mit dieser Freude nichts gemein! Sang und Tanz, Tanz und Sang, das ist Amanda’s einziger Wunsch. Ich will schweigen von ihrem ewigen Lachen, ihren knabenhaften Scherzen, aber das kann ich nun und nimmer verwinden, daß sie, eines geweihten Priesters Braut, auf den fürstlichen Bällen mit den Officieren und jungen Adeligen tanzt; daß sie, die Tochter eines Rendanten, sich wie einer Gräfin huldigen läßt und dem Schmeicheln eitler Gecken –“

„Sie ist in vieler Beziehung noch ein Kind,“ unterbrach Reinhold die Mutter; „die Schule des Lebens wird und auch ich werde sie zum Ernste lenken.“

„Mög’ es Dir gelingen!“ versetzte seufzend Frau Reinhold. „Sieh’, Dein und mein Vater waren Superintendenten. Unsere Familien zählen hinauf bis in die Jahre der Reformation. Als ein heiliges Erbe pflanzte sich von Sohn auf Sohn das Priesteramt. Ich messe mich mit jeder Freiin. Ist Amanda, die Tochter des weltlich gesinnten Subalternen, würdig in einen solchen Kreis zu treten? Wird sie deinen Aeltesten einst zum geweihten Priester erziehen können?“

„Liebe Mutter, die Tochter eines solchen Mannes wie des Rendanten Günther wird unserer Familie nicht zur Schmach gereichen.“

„Ja, Er ist ein Ehrenmann,“ erwiderte die Greisin. „Du kannst ihn von mir grüßen.“

„Ich danke Ihnen, theuerste Mutter,“ sagte Reinhold sich erhebend und küßte ihr die Hand. „Auf Wiedersehen!“

„Gott behüte Dich, mein Kind, zerstreue Dich nicht zu sehr!“

In diesem Augenblick ward an die Thüre gepocht, und es trat ein schmächtiger, nicht mehr ganz junger Mann herein. Es war der königliche Gerichtsschreiber Scybylski. Immer trug er einen schwarzen Frack, weiße Halsbinde, dunkle Pantalons und Winter wie Sommer leichte Zeugstiefelchen. Er stammte aus dem benachbarten Polen und führte natürlich seine Familie auf einen uralten Königsstamm zurück. Doch war er ein tüchtiger Arbeiter und nicht ohne Mutterwitz. Sein Vorgesetzter, der Rendant, war ihm das leuchtende Vorbild. Ihm zu gefallen, ihm ähnlich zu werden, erschien ihm als das schönste Ziel.

„Setzen Sie sich, lieber Scybylski,“ sagte herablassend die Greisin.

Der Pastor war nach freundlichem Gruß am Gerichtsschreiber vorüber nach seinen Zimmern gegangen.

„Sie kommen gewiß vom Rendanten?“

„Ja, Frau Superintendentin,“ erwiderte der Actuarius und erwartete vergebens eine Frage nach dem Befinden des Kranken.

„Wir hoffen das Beste,“ fuhr er nach einer Pause unaufgefordert fort. „Freilich fühlt sich mein verehrter College und Chef recht matt und angegriffen. Auch untersagte ihm Doctor Michaelis auf’s Strengste jede Aufregung und Anstrengung. Seine Geschäfte hat der Kreisgerichtsrath einstweilen mir übertragen. Gebe Gott, daß der theure Mann möglichst bald hergestellt seiner gewohnten Thätigkeit nachgehen kann. Wie gesagt, es ist Hoffnung, gegründete Hoffnung vorhanden, und dies Ihnen und Seiner Ehrwürden mitzutheilen, hat mich Fräulein Günther beauftragt.“

„Das sagt wohl nur Ihre Artigkeit. An mich hat Mamsell Günther nicht gedacht. Mir traut sie kein Interesse für die Leiden meiner Nächsten zu. Aber ich nehme Antheil, tiefen Antheil! … Trinken Sie den Kaffee weiß oder schwarz?“

Unterdessen war der Pastor nach dem Hause des Rendanten gegangen. Er wurde von der schönen Amanda heiter empfangen. „Es wird Alles gut werden,“ sagte sie. „Väterchen hatte sich in der letzten Zeit zu sehr angestrengt. Der Fürst, der uns schon in früher Morgenstunde beehrte, wird eine Reise in’s Bad ermöglichen, und Doctor Michaelis hat für diesen Fall das Beste versprochen.“

„Danken wir dem lieben Gott, daß er diese Prüfung so schnell an uns vorübergehen ließ.“

Er trat mit seiner Braut in’s Krankengemach, wo ihm Günther mit lächelndem Angesicht entgegensah. „Mir ist so wohl,“ sagte derselbe mit leiser Stimme, „mir ist so leicht! Dem Himmel sei Dank, mit dieser schlimmen Nacht habe ich mir die Genesung erkauft!“

„Sicher, verehrter Freund, wenn Sie sich Zeit und Ruhe zur Genesung gönnen.“

„Wenn ich nur wieder, am liebsten morgen wieder meinem Amte nachgehen kann!“

„Denken Sie nicht daran!“ rief Reinhold. „Sie haben sich ohnehin geopfert. Lassen Sie einstweilen jüngere Kräfte für sich arbeiten! Scybylski ist ja Ihr Schüler.“

Der Kranke richtete sich krampfhaft auf. „Nein,“ rief er, „man soll mich nicht ersetzen, auch Scybylski nicht. Ich bin ja kein Greis; ich bin kein Sterbender. Man wird mich doch eines leichten Hustens halber nicht aus dem Amte entfernen? Siebenundzwanzig Jahre hab’ ich es treu und redlich verwaltet!“

„Verehrter, Niemand spricht von Entfernung. Im Gegentheil, der heiße Wunsch Aller ist es, Sie sobald als möglich thätig zu sehen. Darum aber müssen Sie jetzt um so mehr geschont werden.“

„Ich will, ich brauche keine Schonung,“ warf Jener heftig ein. „Weder Scybylski, noch ein Anderer kennt die Pflichten meines Amtes. Ich muß, muß sogleich auf das Gericht, ich bin nicht mehr krank. Nur Unthätigkeit wird mich krank, mich sterben machen!“

Er erhob sich und wollte das Lager verlassen, aber der Anstrengung seiner schwachen Glieder folgte sofort ein krampfhafter Husten. Erblassend bemühten sich die Verlobten, ihn zu beschwichtigen.

„Ich will nicht – ich will nicht – laßt mich gehen – ich muß – muß – –“ zuckten seine Lippen. Dann sank er zurück in die Kissen.

(Fortsetzung folgt.)



Zwei Dichter und ein Dichterasyl.


Von Ludwig Storch.


Das erste Viertel dieses Jahres, das voraussichtlich in Bezug auf den Fortschritt der politischen Entwicklung Deutschlands eine wichtige Stellung in der Weltgeschichte einnehmen wird, bringt uns die hundertjährige Geburtstagsfeier zweier sehr bedeutenden Dichter und Menschen, die auf diese Entwicklung und die Zeitigung des deutschen Volks zur Einheit und Erstrebung der ihm gebührenden Stelle im europäischen Concert einen mehr oder minder großen Einfluß ausgeübt haben. Sie waren beide nicht nur hochbegabte, sondern auch patriotisch treue und hochbegeisterte Verkünder des Völkerfrühlings, scharfe Tadler der obsoleten, faulenden öffentlichen Zustände unseres von ihnen so heiß geliebten Vaterlandes, Propheten und Deuter einer schönern Zukunft, Herolde der Freiheit und Sittlichkeit und Weltverbesserer im reinsten edelsten Sinne des Wortes. Der Eine die scharfschmetternde Lerche, der Andere die berauschende flötende Nachtigall, beide uns hochheilige Sänger, beide herrliche deutsche Männer durch und durch vom Wirbel des Haupthaars bis zur Fußsohle hinab; beide edle Gestalten, an deren Bildern – das eine aus deutschem Granit, das andere aus deutschem Marmor gehauen – unser Blick mit ehrfurchtsvollem Entzücken hängt, und die unser Herz mit dankbaren Gefühlen preist; denn beiden gebührt das beneidenswerthe Verdienst, rüstige Arbeiter im Weinberge der deutschen Bildung gewesen zu sein und ihr Volk

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_004.jpg&oldid=- (Version vom 29.7.2021)