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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)


„Wenn ich nicht indiscret sein darf, Herr Driesbach, theilen Sie mir die Geschichte mit,“ sagte ich.

„Ach, das ist eine traurige Geschichte,“ sagte er, und ein trüber Schatten flog über sein schönes Gesicht. „Ich verlor dabei einen braven Freund, welcher vor meinen eigenen Augen zerrissen wurde, ohne daß ich ihm helfen konnte. Hören Sie. Vor ungefahr zehn Jahren fand ich in Baltimore einen hülflosen deutschen Emigrantenknaben, dessen Eltern auf der Ueberfahrt gestorben waren. Der Junge gefiel mir, da er ein gutes Gesicht hatte und anstellig schien. Anfangs verwandte ich ihn zu leichtern Arbeiten, zum Zetteltragen und dergleichen; da er aber einen furchtlosen Charakter hatte und ein unerschrockenes Auge, so lernte ich ihn an, und bald ließ er die Wölfe durch den Reif springen, daß es einem wohl that. George, so hieß er, wuchs immer mehr heran, und sein Körper versprach wahrhaft athletische Formen; dabei war er treu wie Gold und machte seinem Lehrer in jeder Beziehung Ehre, so daß ich eine wahre Freundschaft für ihn empfand. Zu derselben Zeit hatte ich einen Irländer Mike (Michael) zum Gehülfen, einen rohen Patron, den ich zum Metzger der Menagerie degradiren mußte, weil er ein Trunkenbold war und einmal im Rausch grausamer Weise einem ganz zahmen Jagdleoparden ein Auge mit dem Eisen ausgebrannt hatte. Dieser Bursch warf einen verstockten Zorn auf George, weil letzterer von jener Zeit an als zweiter Darsteller an seiner Stelle mit dem größten Beifall auftrat. Hätte ich ahnen können, welch ein hartgesottener Schurke dieser Mike war, so würde ich ihn augenblicklich entlassen haben, so konnte ich ihn aber nicht gut entbehren, well er mit der Wartung und Plege der Thiere genau vertraut war und ein unerfahrener Mann damit viel Schaden stiften kann. Zu dieser Zeit hatten wir eine bengalische Tigerin, Flora genannt, deren Abrichtung mir viel Mühe und Zeit kostete. Es ist ja bekannt, daß die weiblichen Thiere viel schwerer zu zähmen sind, da manche Mittel, die wir bei den Männchen anwenden, hier wegfallen. Ich sah es deshalb nicht gern, daß George zu ihr ging, da ich sie positiv für die gefährlichste Bestie in der ganzen Menagerie hielt. Indessen er war ehrgeizig und bat mich inständig, ihm die ganze Dressur zu überlassen; vielleicht hätte auch der brave junge Mann kein Unglück gehabt, wenn Mike seine höllische Hand nicht mit im Spiel gehabt hätte. Ja, diese höllische Hand war auch blutig, und ich habe das leider an mir selbst erfahren, als es fast für mich zu spät war.

Es war in Charleston, als George am Ende der Vorstellung in den Käfig der Tigerin trat, um sie die gelernten Sprünge machen zu lassen, während ich zufällig in einem entferntern Theile der Menagerie beschäftigt war. Plötzlich höre ich ein Gebrüll, das ich augenblicklich als das der Flora erkannte und das von dem gewöhnlichen Gutturalton so verschieden war, daß mir die Haare zu Berge standen. In einem Nu hin ich vor dem Käfig und sehe mit Schrecken, wie George am Boden liegt, während die Tigerin über ihm steht. Sie hatte ihn mit einem Schlage der Vorderpfote vollständig scalpirt und ihm das Genick gebrochen. Alles schrie durch einander und flüchtete, während Mike mir auf meinen Ruf die Büchse brachte. Ich drücke ab, das Gewehr versagt; was war nun zu thun? Dem jungen Manne konnte Niemand mehr helfen, denn er war offenbar todt; nur seine Leiche vor weiterer Verstümmelung zu schützen, das war meine Aufgabe. Die Bestie, welche durch meine Stimme und meinen Blick eingeschüchtert war, wagte nicht ihr mörderisches Werk fortzusetzen, sondern zog sich zähnefletschend in den hintersten Winkel des Käfigs zurück und leckte lüstern ihre blutige Pfote, gierige Blicke auf die Leiche werfend. Als Mike eine neue Büchse brachte, befahl ich ihm das Thier bei der ersten Bewegung zu erschießen und stürzte dann um die lange Wagenreihe herum, um von hinten in den Käfig zu kommen. Unbewaffnet wie ich war, öffnete ich die Thür, trat ein und ergriff den warmen Körper meines Freundes, den ich auch ohne weitere Verstümmelung in Sicherheit brachte. Mein erster Gedanke war dann, die Flora für immer unschädlich zu machen, indessen besann ich mich bald anders und beschloß, trotzdem daß die Bestie nun doppelt gefährlich sein mußte, ihr zu zeigen, daß ich ihr Herr und Meister sei. Ich wollte auf solche Weise mit ihr umspringen, daß ihr die Widersetzlichkeit für immer vergehen sollte. Nachdem ich für ein ehrenvolles Begräbniß meines Freundes gesorgt hatte, schiffte ich mich mit der Menagerie nach der Havanna ein, wo mir die Behörden nicht weit vom Tacontheater eine unbenutzte Reitbahn einräumten. –

Bald nach meiner Ankunft ließ mir der Generalcapitain sagen, daß er bei der ersten Vorstellung mit seinem Stabe gegenwärtig sein wolle. Sie wissen ja, die Dons lieben dergleichen Sachen, sind sie doch die eifrigsten Freunde der Stiergefechte. Da die andern Thiere nun eine vollkommene Dressur besaßen, beschloß ich Flora allein noch einmal vorzunehmen und ihre lauernde Tücke in blinden Gehorsam zu verwandeln. Es war gegen Abend nach der Fütterung, als ich die letzte Probe mit ihr vornehmen wollte, um sie den nächsten Tag als ein ganz dociles Thier vorführen zu können. In dem Locale war außer einem Paar untergeordneter Wärter, die eben von einem Auftrage zurückgekehrt waren, Niemand weiter, als Mike gegenwärtig, der wie gewöhnlich den Nachmittag die Fleischrationen an die Raubthiere vertheilt hatte, wie dieses sein Geschäft war. Ich fragte ihn, ob Alles in Ordnung sei, und ob die Tigerin gut gefressen habe. Der Irländer antwortet: „Noch nie hat Flora einen so guten Appetit gezeigt, wie heute,“ was mich beruhigte, da ich den zweideutigen Sinn nicht verstand. Ich trat vor den Käfig hin und sah, daß sie zwischen den Vorderpfoten einen nackten Schenkelknochen hielt, indessen lag etwas in ihrem Blick und ihrem Knurren, was mir auffiel, so daß ich mich nicht mit der gewöhnlichen Peitsche, sondern mit der schweren, deren Griff einen Todtschläger enthält, bewaffnete. Ich trat ein und hatte Mühe die Bestie aus ihrer Ecke auf die Beine zu bringen; durch Drohungen und Schläge brachte ich es endlich so weit, daß sie durch den Reif sprang, aber sie suchte stets in ihre Ecke wieder zurückzukehren, während sie mir giftige Blicke zuwarf. Ich zwang sie dann, den Sprung noch ein halbes Dutzend Mal zu wiederholen, worauf ich sie beim Ohre faßte und mir gegenüber auf die Hinterbeine stellte. Sie haben ja das Manöver oft genug gesehen. Da, als ich ihren Kopf dem meinigen gerade gegenüber sah, merkte ich, daß sie Böses im Schilde führte. Ich fühlte, daß ihre Augen sich meinem Blicke zu entziehen suchten, und gewahrte, daß die Spalte ihrer Pupillen sich haarfein gestaltete. In demselben Augenblick bemerke ich, daß auf meinem linken Aermel Blutflecke waren, und der Gedanke, daß Mike mich absichtlich mit seinen noch blutigen Händen berührt habe, schoß mir durch das Gehirn. Ich hatte keine Zeit diesen Gedanken zu fassen, als ich auch schon sah, wie sich die Tatzen des Ungethüms zum Schlage zusammenzogen. Aber blitzschnell und ehe die Bestie noch ordentlich zugreifen konnte, holte ich auch aus und traf sie mit aller Gewalt mit dem Todtschläger dermaßen zwischen die falschen Augen, daß sie augenblicklich zusammenbrach und kein Glied mehr rührte. Hätte sie mehr Zeit gehabt, würde sie mir den Arm ohne Frage amputirt haben, so aber kam ich mit einer freilich abscheulichen Fleischwunde davon, die mir lange genug zu schaffen gemacht hat.

Blutend stürzte ich aus dem Käfig, um an dem Irländer meine Rache zu kühlen, indessen Mike hatte sich, als er das Resultat sah, eiligst aus der Stadt begeben. Anzeige wurde gemacht, und da der Generalcapitain sich selbst für mich interessirte, konnte es nicht lange dauern, bis er in Eisen saß. Man hatte ihn am Fuß des Moro in einer jener berüchtigten catalanischen Kneipen, in denen sich die Mannschaft der Sclavenschiffe aufzuhalten pflegt, gefunden, wo er wahrscheinlich gehofft hatte, unbemerkt an Bord eines Fahrzeuges zu kommen. Dem Richter in meiner Gegenwart vorgeführt, konnte er nicht leugnen und gestand Alles. Seit ich ihn aus guten Gründen degradirt hatte, war er nur deshalb in meinen Diensten geblieben, um sich an mir und George zu rächen; er hätte ja leicht als gelernter Metzger ein anderes Unterkommen finden können. Um meinen jungen Freund und mich zu verderben, hatte er ein und dasselbe Stratagem benutzt, indem er der Tigerin ihre Fleischration entzog und, um der Entdeckung zu entgehen, ihr ein Paar abgeschälter Knochen in den Käfig warf, so daß die Bestie den Hunger doppelt fühlte. Um sie noch mehr aufzustacheln, hatte er es so einzurichten gewußt, daß er uns Beide, kurze Zeit bevor wir zu der Tigerin eintraten, mit seinen blutigen Metzgerhänden berührte, und Blut ist ja ein ganz besonderer Saft. So konnte es denn nicht ausbleiben, daß das bösartige Thier seinem unwiderstehlichen Instincte gemäß alle Dressur vergaß und zupackte. George, der weniger erfahren und kaum halb so stark war als ich, wurde auf diese Weise ein Opfer der Bosheit des Irländers, und ich entkam demselben Schicksal nur, weil ich zufällig mit der schweren Waffe versehen war. Mike wurde nach spanischer Weise durch die Garotte hingerichtet, und die verhängnißvolle Schraube brach ihm ebenso unbarmherzig das Genick, wie die grausame Pfote der Tigerin das meines beklagenswerthen Freundes.“ –

T. v. B.


An die Freunde der Gartenlaube

Der Unterzeichnete erlaubt sich nochmals auf das „Beiblatt zur Gartenlaube“ aufmerksam zu machen, welches bestimmt ist, unter der Redaction Berthold Auerbach’s, des bewährten Volksschriftstellers, eine nothwendige, zugleich aber auch schöne Ergänzung der Gartenlaube zu bilden. Wenn es der Gartenlaube bisher nicht vergönnt, unmittelbar in die Fragen der Zeit belehrend und anregend einzugreifen, wenn die Fülle des gebotenen Stoffes sie bis heute meist verhinderte, den Aufgaben des innern und äußern Lebens eine fortlaufende und eindringliche Berücksichtigung zuzuwenden – und wenn namentlich in den letzten Jahren durch die Größe der illustrirten Auflage und deren zeitraubende Herstellung jede Gelegenheit zur schnellern und dadurch wirksamern Mittheilung der Zeitereignisse und deren anregenden Beleuchtung genommen wurde, so soll nunmehr durch die

Deutschen Blätter

diese Aufgabe unter der Leitung des genannten Volksschriftstellers in bestem Maße erfüllt werden. Die glänzende Theilnahme, mit der die bis jetzt erschienenen Nummern von der deutschen Lesewelt aufgenommen wurden, beweist hinlänglich, wie richtig Auerbach seine Aufgabe erfaßt und gelöst hat.

Alle Fragen der Zeit also, sowohl die eines jeden Menschen in sich, in seinem Hause, in der Familie, in der Geimiende, sowie die der Kunst und Literatur und des öffentlichen Lebens, sollen den Lesern der Fartenlaube in anmuthiger, knapper und an’s Herz greifender Weise dargelegt und klar gemacht werden. Auch die Fragen der Politik werden, wenn es nöthig sein sollte, in den Bereich unseres Blattes gezogen werden, wie denn überhaupt, wo es gilt den Schmerz des Volkes und den Jammer des einzelnen aussprechen, wo es Pflicht wird den Anmaßungen der Gewalt von oben oder unten entgegenzutreten, das Beiblatt so wenig schweigen wird, wie es das Hauptblatt gethan.

Ich biete hiermit den in so erhebender Weise stets treuen und anhänglichen Freunden meiner Gartenlaube kein großes und weitschichtiges Organ, wohl aber in gedrängter Form nach des Tages Mühen und Lasten eine innere Labung für Gemüth und Verstand, die ihnen hoffentlich mit eder Woche eine stets willkommene Herzensfreude werden wird. Um aber auch den Aermsten meiner Leser die Anschaffung dieser Beigabe zu erleichtern, habe ich für die Abonnenten der Gartenlaube – den Preis des Vierteljahrs auf nur

6 Rgr. = 36 Neu-Kr. öster. W. = 21. Kr. rhn.

gestellt, während Nichtabonnenten der Gartenlaube 12 Rgr. oder 72 Kr. zu zahlen haben. Selbstverständlich findet dabei kein Zwang statt, und steht es den Abonnenten vollständig frei, auf das Beiblatt zu abonniren oder nicht.

Versucht es also auch mit diesem Blättchen, und – damit Gott befohlen!

Leipzig, Anfang Januar 1863.

Ernst Keil

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