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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

(sacerdotes simplices), deren Tagewerk nur im Wesselesen besteht, zu nützlichen Menschen umzuschaffen.

Mit gleichem Eifer trat er in die Volksschule und forderte auch hier vor Allem Berufsbildung des Lehrers. Das ist das einzige Feld, aus dessen Saat ihm nur Freuden blühten, denn noch heute ist es Wessenberg’s anerkanntes Verdienst, daß das Schul- und Unterrichtswesen in Baden, theilweise auch in der Schweiz und mittelbar auch anderwärts auf der gegenwärtigen Höhe steht. Selbstverständlich drang Wessenberg auch auf die Schulbildung der Geistlichkeit, denn er wollte, daß der Geistliche nicht der herrische Gebieter des Lehrers, sondern sein erster Freund, sein fachkundiger Berather, sein Vorbild in Berufstreue und christlicher Humanität sei. Daß dieser Wunsch des edlen Reformators nicht in Erfüllung ging, ist die Schuld der Geistlichkeit, und der Ruf nach Erlösung der Schule von ihr wird so lange gerechtfertigt sein, als Beck’s Ausspruch gilt: daß Hierarchen so wenig wie Junker je angethan seien, sich selbst zu reformiren.

Von großer Bedeutung sind endlich Wessenberg’s gottesdienstliche Reformen, und obwohl in Folge äußerer Ereignisse mitten in ihrer Entwicklung aufgehalten, auch später von der kirchlichen Reaction zum guten Theil wieder beseitigt, haben sie dem deutschen Volk doch wenigstens zwei unschätzbare Errungenschaften gebracht: die Einführung des deutschen Kirchengesangs und den Gebrauch der deutschen Sprache bei der Liturgie. Sein deutsches Gesangbuch, in welches er das Beste aus alter und neuer Zeit und ohne Rücksicht auf die Confession der Versasser aufnahm, war eine große deutsche That, das Bestreben, der großen Hälfte des deutschen Volks seine Sprache für das religiös-kirchliche Leben zurück zu erobern, war der erste kühne Schritt auf der Bahn zu nationaler Selbstständigkeit.

In unseren Tagen mag es für Viele schwer sein, die Schwierigkeiten, ja Gefahren dieses Unternehmens zu würdigen. Diese mögen bedenken, daß Wessenberg nicht nur in einem sehr großen Theil der Geistlichkeit, sondern im Volke selbst hartnäckige Widersacher fand, gegen die er nicht die Bekehrungsmittel des Kurfürsten von Mainz anwenden durfte. Erthal hatte schon zu Anfang der neunziger Jahre in seinem Erzstift den deutschen Kircheugesang einzuführen gesucht. Da erklärten die Bewohner des Mainzischen Ortes Rüdesheim, ihre Eltern und Großeltern seien doch auch keine Narren gewesen und hätten kein Latein verstanden, wären aber doch selig geworden, wie der Herr Pfarrer sage; darum wollten auch sie mit ihrem lateinischen Gesang in den Himmel kommen. Gegen diesen Widerspruch versuchte das Hochstift erst das Mittel väterlicher Belehrung; als dieses nicht fruchtete, legten sich 600 Mann Executionstruppen in den Ort, und eine solche Last ertrugen diese Rüdesheimer neun volle Monate, ehe sie von ihrem geliebten Latein losließen.

Wessenberg durfte nur belehrend bekehren, denn er verfolgte ein höheres Ziel, als die bloße Einführung deutschen statt lateinischen Gesangs. Sein Streben war gegen den Aberglauben gerichtet, der sein Wesen in dem für den Laien geheimnisvollen Latein sogar noch gesetzlich trieb. Noch im Jahre 1781 war ein lateinisches liturgisches Handbuch im Constanzer Bisthum eingeführt, welches eine förmliche Theorie über Teufel- und Geisterbeschwörung und eine lange Reihe vorgeschriebener Formeln enthielt, um alles Mögliche, Menschen und Thiere, Haus und Stall, die Bettstätten der Eheleute, Milch und Butter u. s. w. zu beschwören. Und so mächtig wirke noch im Anfang des 19. Jahrhunderts der Wahn, daß Wessenberg selbst von Protestanten, namentlich aus der Schweiz, nicht selten Bittbriefe erhielt, ihnen diesen oder jenen Geistlichen oder Mönch, als den Mann ihres besonderen Vertrauens, zu einer Teufelsbeschwörung bald an einem kranken Kinde, bald an einem Stück Vieh und dergl. abzuordnen. Gegen solchen Unfug konnte Wessenberg anfangs nicht einmal verbietend auftreten, weil die Seelsorger und Mönche auf die einträglichen Geschäfte der Exoreismen als auf ihr Recht, ja ihre Pflicht pochten, die ihnen durch ihre lateinische Liturgie vorgeschrieben sei. Diesem konnte Wessenberg vor der Hand nur den Befehl entgegensetzen, für jede Teufelsbeschwörung erst die Erlaubniß der bischöflichen Oberbehörde einzuholen. Dadurch kamen wenigstens die meisten solcher Fälle zu seiner Kunde, und er beeilte sich dann, so oft wie möglich, persönlich die Irrenden, Priester und Laien, belehrend und ermahnend von ihrem Vorhaben abzubringen und gegen Widerspenstige strenge Zurechtweisung zu üben. Erst durch seine deutsche Liturgie legte er diesem durch Jahrhunderte von der Priesterschaft so sorgsam gepflegten Wahn das Beil an die Wurzel. Schon nach diesen wenigen Andeutungen wird auch der protestantische Norddeutsche keine Anmaßung mehr darin finden, daß man im katholischen Süddeutschland die Wessenbergische Einführung der deutschen Sprache in den Volksgottesdienst für ebenso epochemachend erklärte, als früher die deutsche Bibelübersetzung Luther’s. Beides waren deutsch-nationale Siege des Lichts gegen die jesuitisch-ultramontanen Dunkelmänner.

Zu demselben Zweck sorgte Wessenberg für die Verbreitung der deutschen Bibel in allen seinen Gemeinden; sie galt ihm als das „Buch der befreiten Menschheit”, als die „Magna Charta der christlichen Geistesfreiheit und der Brudergleichheit aller Menschen”, darum als die unversiechliche Quelle der Humanität. – Zu demselben Zweck ordnete er für die reifere Jugend an den Sonntagsnachmittagen erst einen „christlichen Lehrunterricht” an, aus dem sich nach und nach die so segensreich wirkenden Sonntagsschulen und endlich die Fortbildungsschulen und Fortbildungsvereine entwickelten.

So war einzig und allein das Volksglück durch Volksbildung, durch Volksveredlung das Ziel, das er mit eherner Beharrlichkeit anstrebte, für das er die zäheste Geduld der Belehrung, eine unermüdliche Kraft der Abwehr aufwandte, für das er auf dem Lehrstuhl der Schule wie auf der Kanzel, mit der Feder des Schriftstellers wie mit der Harfe des geistlichen Dichters das Beste seiner Seele und feines Herzens opferte. Und selbst wo er mit dem Eifer eines Kirchenhauptes die Selbstständigkeit und die guten Rechte der Kirche verfocht, wo er namentlich das Kirchengut und das Vermögen milder Stiftungen aus den habgierigen Fingern der damals so säcularisationsseligen Dynastien zu retten suchte, geschah dies nur, damit das eingezogene Kirchenvermögen einem bessern Zwecke, als fürstlicher Vererbung oder Vergeudung, damit es zur Förderung kirchlich-religiöser und humaner Zwecke diene, insbesondere für Erziehungs- und wissenschaftliche Anstalten verwendet werde. Daß gleichwohl bei der Zerrüttelung und dem Umsturz des deutschen Reichs durch Napoleon für die Volksbildung in Wessenberg’s Geist so wenig abfiel, das ist nicht blos die Schuld, das lag im wohlerwogenen Plane der höheren Hierarchie selbst: „denn die erkannte Wahrheit macht frei, wie das Evangelium sagt, und duldet in die Länge keine hierarchischen Fesseln.”

Trotzdem und ebendeshalb trug Wessenberg’s Saat tausendfältige Früchte. Ein neues frisches Leben zog in die Kirche ein und wirkte auf das Leben der Familie und der Gemeinde zurück. Mehr und mehr wich aus den Kirchen der handwerksmäßige Formendienst, jeder Tag wirkte in den Seminarien zur Verbesserung der Schulen, zur Veredlung des Cultus, die Laien überkamen das Geschenk einer neuen Zeit, die Alten ergaben sich ihr mit immer geringerem Widerstand, und in der Jugend ward der Keim gepflegt, der den Sieg des Lichtes für die Zukunft sichern mußte. Soweit die deutschen Grenzen des Bisthums reichten, wuchs von Tag zu Tag die Einigkeit, knüpften sich die innigsten Beziehungen zwischen dem Generalvicar und seinen geistlichen Dienern. Das stille, reformatorische Werk innerhalb der katholischen Kirche war zu so schöner Blüthe gediehen, daß es die Augen von ganz Deutschland, und nicht blos des katholischen, auf sich lenkte und daß es bereits die Kraft der Nachahmungswürdigkeit erlangt hatte. Noch heute sind jene Geistesblüthentage int Volke unvergessen, und heute mehr als je hat die katholische Kirche Deutschlands Ursache, das Zertreten jener Blüthe zu beklagen, das ein Unglück für ganz Deutschland war. Das Gefühl dieser Wahrheit ist es, das sich seit Wessenberg’s stillem Dahinscheiden laut ausspricht in dem Wunsche, die Stätte seines Wirkens mit einem Ehrenmale zu bezeichnen,[1] und es wird auch den Männern des deutschen Nordens wohlanstehen, dem süddeutschen Geisteshelden die andere Hälfte zum vollen Lorbeerkranz zu reichen.

Wir verlassen heute den großen Mann auf der Höhe seines nach von außen ungestörten Wirkens, während es schon von Rom her droht. Wir werden in einem zweiten Artikel unsern deutschen Priester und Mann zu seinem höchsten Streben nach einer nationalen deutschen Kirche, zu seinem Kampfe mit dem Papstthume in Rom selbst, zu seiner Unterdrückung, zu seinem bittern Entsagen begleiten, wir werden ihn als wackern deutschen Staatsbürger in der badischen Ständekammer wiederfinden und endlich in seiner stillen Dichterklause zu Constanz von ihm scheiden.


  1. Zu Beiträgen fordert das „Central-Comit zur Errichtung eines Wessenberg-Denkmals in Constanz” auf und bittet alle Redactionen, sich der Sache und der Gabensammlungen anzunehmen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 39. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_039.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)