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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)


geringste Lust zum Einhauen. Sie thaten nur so und schwenkten, indem sie in unsere Schaar hineinritten und uns trennten, ihre Säbel über unseren Köpfen. Der Präsident selbst war in Gefahr niedergeritten zu werden. Es lag also nach alldem weder an Herrn Römer noch an dem guten Willen der würtembergischen Officiere, daß das Parlament ein unblutiges Ende nahm. Hätten die Soldaten gehorcht, ihre große Anzahl hätte unser kleines Häuflein binnen fünf Minuten bis auf den letzten Mann niedermetzeln können. Das Volk drängte sich mit in das Gewirre, und die Erkenntniß von der Stimmung der Soldaten, die man sofort gewinnen mußte, war wohl mit eine der Ursachen, daß es zu keinem weitern Conflicte kam.

Bei dem Gedränge von Abgeordneten, Soldaten und Volk, bei der Verwirrung war es nicht möglich uns wieder zusammenzufinden und an Ort und Stelle etwas Gemeinschaftliches zu beginnen. „Nach dem Hotel Marquart!“ rief ein Abgeordneter dem andern zu, und in der That fanden wir uns dort zur selben Stunde zusammen, auf welche die Sitzung in der Reitschule angesetzt war. Aber wir zählten uns – unsere Zahl belief sich nur noch auf 94 – wir waren nicht mehr beschlußfähig – die Nationalversammlung war gestorben oder, wenn es besser klingt, hingerichtet.

Man nahm noch ein Protokoll auf über die Vorgänge, und wir erfuhren bei dieser Gelegenheit, daß auch die Reichsregentschaft auf ihrem Wege zum Sitzungslocale vom Militär aufgehalten und dann mit Gewalt unter militärischer Begleitung in ihr Haus zurückgebracht wurde, daß sich während dieser Zeit zwischen Bürgern und Officieren ein Conflict erhoben, und daß die Officiere gegen die wenigen Männer der Reichsregentschaft ihre Soldaten die Gewehre laden ließen.

Indessen war die Hoffnung nicht aufgegeben, die beschlußfähige Anzahl von Abgeordneten wieder zusammenzubringen, obwohl Manche in wahrhafter Verzweiflung während der letzten Tage ihren Posten verlassen hatten. Der Präsident hatte das Recht uns wo immer zusammenzuberufen. Natürlich wandten sich unsere Blicke nach Baden, als dem einzigen Winkel auf deutscher Erde, in welchem sich die einzigen rechtlichen Vertreter deutscher Nation noch versammeln konnten. Es kam nicht darauf an, daß wir noch Berathungen hielten, es kam nur darauf an, daß die Reichsversammlung noch zu Recht bestand. Viele Abgeordnete begaben sich bald auf badischen Boden, Andere verweilten noch einige Tage in Stuttgart, obwohl sich schon am 18. Juni, dem Tage der Auflösung, das Gerücht verbreitete, daß die Reichsregenten und viele Abgeordnete verhaftet werden sollten. Es scheint auch in der That die Absicht der Regierung gewesen zu sein, uns zwangsweise über die Grenzen bringen zu lassen. Aber sie kam davon ab und begnügte sich damit, einige andere politische Persönlichkeiten, die nicht zum Parlamente gehörten, aus dem Lande zu weisen. Was die Abgeordneten betrifft, so hatte der König die Gnade, ihnen, im Falle es ihnen an Mitteln fehlte, Reisegelder anbieten zu lassen. Ich will nicht weiter untersuchen, welche Motive dieser Anerbietung zu Grunde lagen, und selbst annehmen, daß diese der besten Art waren – Thatsache aber ist, daß auch der Aermste unter uns von diesen Anerbietungen keinen Gebrauch machte.

In Baden-Baden fanden wir uns wieder in bedeutender Anzahl zusammen. Aber es war nach der Schlacht bei Waghäusel. In Freiburg machten wir noch ein Mal Halt, aber nur um von da aus mit der Masse badischer Flüchtlinge, mit der Reichsregentschaft und mit dem Archive der deutschen Nationalversammlung in’s Exil zu wandern.


Aus den Zeiten der schweren Noth.
Nr. 8. Der Landtag zu Königsberg und die Errichtung der Landwehr.
Von Ferd. Pflug.


Wir stehen am Anfang eines Jahres, das durch die Reihe seiner weltgeschichtlichen fünfzigjährigen Jubiläen für Deutschland hohe Bedeutung hat, und wir beginnen hiermit diese Feste, indem wir die Erinnerung an die erste große That des deutschen Volksgeistes im Siegesjahre 1813 feiern, denn als der bedeutendste, der eigentlich entscheidende und bestimmende Moment in der Bewegung von 1813 muß unbedingt die Errichtung der preußischen Landwehr erachtet werden. Es datirt diese folgenschwere Handlung indeß nicht erst vom 17. März, dem Erlaß der königlichen Ordre hierüber, sondern bereits vom 5. Febr. des genannten Jahres, dem Tage, wo zu Königsberg die Ständeversammlung der Provinzen Ostpreußen und Litthauen, im Verein mit den Repräsentanten der Theile von Westpreußen diesteits der Weichsel, aus eigner Machtvollkommenheit und allein getragen von dem gewaltigen, diese herrliche Zeit belebenden und befruchtenden Geiste, die Aufstellung einer Landwehr für die gedachten Landestheile beschloß und unter der Dringlichkeit der Umstände die Ausführung dieser großen Maßregel sofort auch selbstthätig in die Hand nahm. Ohne diesen entscheidenden Schritt würde einerseits sicher der durch die That York’s zu Tauroggen unvermeidlich gewordene Krieg Preußens gegen Frankreich einmal nie in dem Maße, als dies wirklich geschah, ein Volkskrieg geworden sein, und zweitens würde andererseits noch viel unzweifelhafter die preußische Landwehr, wenn sie überhaupt in’s Leben getreten wäre, doch nur geworden sein, was auch die österreichische Landwehr des Jahres 1809 und die russische des Jahres 1812 gewesen sind, ein Zuwachs des stehenden Heeres an einer Miliztruppe von, bei der mangelhaften Ausrüstung und geringen Vorübung derselben, sehr zweifelhaftem militärischen Werthe. So jedoch, unter der naturgemäßen Rückwirkung jenes merkwürdigen Ereignisses, ward sie mehr, ward sie der wenn auch noch halb unbewußte Ausdruck der in dem Volke wachgerufenen eigensten und innersten Kraft und damit in des Wortes vollster und unmittelbarster Bedeutung eine Volkswehr. Was jene alte preußische Landwehr so weit über alle ähnlichen Erscheinungen ihrer Zeit emporhob, wie nicht minder, was von den ersten Tagen ihrer Errichtung ab die Staatskünstler der alten Schule und die Männer des absoluten Regiments mit geheimem Mißtrauen und schlecht verhehlter Besorgniß wider dieselbe erfüllte, es muß zunächst und vor allen Dingen auf diesen ihren Ursprung zurückgeleitet werden.

Seltsam genug ist in dem gegenwärtigen Streit der Parteien für und wider die neue preußische Armeeorganisation, d. i. der wesentlichen Bedeutung nach, in dem Streite für das auf die Landwehr gestützte Volksheer, oder eine stehende Armee nach dem neueren französischen Zuschnitt, noch kaum von jenem erwähnten großen Ereigniß die Rede gewesen. Dasselbe wird, wenn es hoch kommt, einfach als der Geschichte angehörig betrachtet, während es thatsächlich doch noch lebendig fort und fort wirkt, während eigentlich beinahe alle Fäden des neueren preußischen Staatslebens in ihm anknüpfen und auf dasselbe zurückleiten, und, was wichtiger als dies Alles, während nur auf die durch dasselbe begründeten großen militärischen Grundsätze zurückgegangen zu werden braucht, um für die angestrebte Wehrverfassung des neueren freiheitlichen Staats die bis dahin noch vergeblich gesuchten Formeln und eine nur des weiteren Ausbaus bedürfende Grundlage zu finden.

Es war eine verworrene, schicksalsschwere, eiserne Zeit, der die preußische Landwehr ihre Entstehung verdankt, und selten mag ein Staat sich in einer bedrohteren Lage befunden haben, als diejenige war, welche zu diesem Zeitpunkte Preußen verstrickt hielt. Anfang Sommer 1812 hatte Napoleon I. mit einem Heere, wie es seit den Zeiten des Alterthums und der Kreuzzüge zahlreicher und kriegsgerüsteter die Erde noch nicht gesehen, seinen Zug gegen Rußland angetreten, Angesichts der Gefahr aber, von der Wucht dieser sich heranwälzenden Riesenmacht erdrückt zu werden, hatte die preußische Regierung keinen besseren Ausweg zu finden gewußt, als mit dem gewaltigen französischen Schlachtenkaiser auf dessen Bedingungen hin ein Bündniß abzuschließen und 20,000 Mann, nahezu die Hälfte der ihr nach dem Frieden von Tilsit noch verbliebenen Waffenmacht, zu dessen Heere stoßen zu lassen. Es blieb keinesfalls zu verkennen, daß für Preußen mit diesem Schritt auch die letzte Möglichkeit, wenigstens des preußischen Namens würdig zu enden, als verschwunden erachtet werden mußte, und daß, wenn es Napoleon gelang, Rußland niederzuwerfen, das fernere Schicksal und die Entscheidung über die Existenz des preußischen Staats bedingungslos in die Hand dieses einen Mannes gelegt waren. Bei der bekannten,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_044.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)