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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

gleichsam ahnungsvollen Abneigung des französischen Kaisers gegen Preußen konnte überdies über den Ausfall der Entscheidung desselben in einem solchen Falle schwerlich der geringste Zweifel obwalten.

Ehre und Pflicht hätten bei der so gestalteten Lage der Dinge wohl zum Einschlagen des gerade entgegengesetzten Weges rathen sollen, ja, es blieb unter den obwaltenden Verhältnissen hier eigentlich gar keine Wahl, als, gestützt auf Rußland, den Kampf um Sein oder Nichtsein wider die französische Uebermacht aufzunehmen. Indeß die Männer, welche unmittelbar nach dem Unglückskriege von 1806 und 1807 den Wiederaufbau des durch denselben zertrümmerten preußischen Staats mit so kräftiger Hand aufgegriffen hatten und die einen derartigen Entschluß wohl jener schwachmüthigen Unterwerfung vorgezogen haben würden, befanden sich längst nicht mehr in der Lage, ihren Einfluß hierfür geltend zu machen. Stein, der große, freisinnige Staatsmann, war seit 1810 bereits in der Leitung der Staatsgeschäfte durch Hardenberg ersetzt worden und schließlich, geächtet von dem französischen Kaiser und verlassen von denen, die ihn hätten stützen sollen, nach Rußland entwichen, um von dort aus für seine Lebensaufgabe, die Befreiung Deutschlands vom fremden Joche, zu wirken. Scharnhorst, der tiefe Denker auf militärischem Gebiet, besaß seit dem gleichen Zeitraume kaum mehr als eine berathende Stimme in der Umgebung Friedrich Wilhelm’s III.; selbst Blücher, der kühne Feuergeist, hatte eben erst dem französischen Einflusse weichen müssen.

Die Einrichtung der preußischen Landwehr in der Ständeversammlung zu Königsberg am 5. Februar 1812.

Dieser schlimme Einfluß erhob täglich kühner sein Haupt und fand eine mächtige Stütze in den Feudalen, welche durch die seit 1808 angetretenen innern Reformen, ganz wie auch heute wieder, zu der blindesten und maßlosesten Opposition aufgestachelt, nur den einen Zweck verfolgten, wie sie redlich beigetragen, den Urheber dieser ihnen widerwärtigen Richtung, Stein, zu stürzen, jetzt auch dessen Nachfolger, Hardenberg, der die Reformen desselben größtentheils aufgenommen, zum Fall zu bringen. Kaum daß dieser letzte bedeutende Mann und seine wenigen Anhänger sich wider die unablässig gegen sie angesponnenen Intriguen noch in ihren Stellungen zu behaupten vermochten. Der König endlich, langsam im Entschluß und seinem ganzen innersten Wesen nach mehr zum Festhalten an dem Alten und Bestehenden hinneigend, schwankte zwischen den ihn bestürmenden Ansichten hin und wieder. Wo hätte da ein Aufraffen zu einer so großen Handlungsweise, wie die entschlossene Aufnahme eines letzten Entscheidungskampfes, wohl Platz greifen sollen?

Der Eindruck, welchen jene Entschließung zu einem Zusammengehen mit Frankreich auf die preußische Nation und Armee hervorbrachte, konnte in der That für nicht viel besser als der Anfang einer völligen Auflösung betrachtet werden. Gegen 600 Officiere, darunter Männer wie Pfuel, Clausewitz, der jüngere Dohna u. A., quittirten den preußischen Dienst und gingen größtentheils nach Rußland, um unter russischer Fahne den gehaßten Landesfeind zu bekämpfen. Das Volk, das unter dem unerträglichen Druck der Fremdherrschaft eben noch zu den schwersten Opfern bereit gewesen war, sank mit dieser getroffenen Entscheidung in eine dumpfe Lethargie zurück. Auch die Hoffnungsreichsten begannen jetzt an der Zukunft des Vaterlandes zu verzweifeln.

Und dennoch sollte gerade aus diesen anscheinend hoffnungslosen Zuständen die Rettung keimen, und jene schwächliche Eintagspolitik

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 45. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_045.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)