Seite:Die Gartenlaube (1863) 049.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Die Tochter des Fälschers.
Von Carl Heigel.
(Fortsetzung)


Nach dieser langen Rede ließ sich die Superintendentin wieder auf dem Sopha nieder. Der Arzt sah fragend auf Reinhold. Dieser schwieg. Michaelis stieß unwillig seinen Stock auf die Erde und erhob sich. „So wären wir denn zu Ende.“

Pastor Reinhold, im höchsten Seelenkampf, vertrat ihm den Weg „Gehen Sie nicht so!“ flehte er. „Ich kann Amanda nicht so verlassen! Vielleicht – – Geben Sie mir Bedenkzeit!“

„Nein,“ entgegnete Jener bestimmt. „Wozu Bedenkzeit? Ich kann sie im Interesse des armen Mädchens nicht gestatten. Soll es sich wochenlang in der Qual der Ungewißheit, in Sehnsucht, Furcht und Hoffnung aufreiben, um endlich und aller Wahrscheinlichkeit nach zu erfahren, daß sie entsagen müsse?!“

„O,“ warf Reinhold’s Mutter ein, „Amanda ist keine so tiefe Natur! Sie weiß gar nicht, was Kummer ist. Sie wird auch diesen fortsingen und fortlachen.“

„Madame,“ sagte der Doctor ironisch, „unfertig sein ist ein Verbrechen, mit dem wir Alten gerne vierzig Jahre zurückkaufen würden. – Wie Sie das Glück härtete, so wird hoffentlich meine Mündel durch das Unglück ein Charakter werden.“

„Nun denn,“ rief der Pastor, „wenn Sie grausam genug sind, den Bruch jäh herbeizuführen, versichern Sie Amanda wenigstens, daß diese Entsagung mein Herz zerreißt, daß ich ewig an sie denken und keine Andere mein Weib nennen werde!“

Neue Gelübde?“ fragte Michaelis bitter. „Wählen Sie dazu einen leichtgläubigeren Boten! Meine Pflicht hier ist für alle Zeit zu Ende. Amanda’s Zukunft wird nun meine Sorge; Ihnen aber wünsche ich – –“ Er bezwang seine Aufregung und schloß: „Ihnen wünsche ich – wohl zu schlafen!“

Als Doctor Michaelis die Hausthüre hinter sich zuwarf, trat ihm Scybylski in den Weg.

„Was haben Sie zur Antwort? Was wird aus Fräulein Günther?“

Der Arzt wollte den Zudringlichen barsch abfertigen, doch ein Blick auf den angstvollen Ausdruck des Gesichts, das vom Schein einer Straßenlaterne beleuchtet wurde, hielt ihn zurück. „Das Schlimmste,“ erwiderte er kurz, „man hat mich abgewiesen.“

„Abgewiesen?“ rief Jener erblassend. „Der Pastor bricht sein Wort? … O!“ Nach einer kurzen Pause schüttelte der Schreiber zornig seine Faust gegen das Predigerhaus. „Wenn ich nie wieder in die Kirche gehe, so sind die Zwei dort schuld! – Adieu, Herr Doctor, und ich danke Ihnen, daß Sie an der Tochter meines – ja, meines Freundes so gut und edel – –“ Er sprach nicht weiter; die Thränen liefen ihm über die Backen.

„Mein guter Scybylski!“ sagte der Doctor gerührt.

„Es weht eine scharfe Luft,“ sprach der Schreiber nach einer Weile, indem er die Thränen mit dem Zipfel seines Mäntelchens rasch abwischte.

„Wohin gehen Sie?“ fragte Michaelis.

„Ich gehe in den Gasthof. Dort treff’ ich den Cantor. … Dem will ich ein Licht aufstecken, was für einen Pastor wir haben! Gute Nacht, Herr Doctor!“

„Gute Nacht!“

Während Michaelis seinen Weg fortsetzte, ging der Mond auf. Sein sanfter Schein fiel auf die Fenster des Rendantenhäuschens.

„Sie hat Licht,“ dachte Michaelis. Er trat in den Garten, lüftete den Hut und fuhr mit dem Taschentuch über die Stirn. „Der schwerste Gang meines Lebens!“ Die Thüren waren offen, aber die Zimmer still und menschenleer. Mondenglanz lag auf Wänden und Geräthen; der Geruch von Wachskerzen erfüllte noch den Raum.

„Amanda!“ rief der Doctor.

Niemand antwortete.

Aengstlicher wiederholte er den Ruf. Alles still. Da traf sein Blick Brief und Schmuck. Hastig machte er in einer Taschenlaterne, die er für nächtliche Krankenbesuche bei sich trug, Licht. Der Brief war an ihn.

„Liebster, bester Doctor!“ las Michaelis. „Als ich vorgestern Abends im dunkeln Zimmer neben dem todten Vater allein saß und von aller Welt verlassen schien, da traten plötzlich Sie herein und sprachen so gut und liebreich, daß ich meinte, der heilige Christ selber habe Ihre Gestalt angenommen und sei zu mir Aermsten vier Wochen früher denn Weihnachten gekommen. Sie gaben mir Ihre gute, ehrliche Hand und gelobten mir, Vater zu sein. Da that ich Ihnen im Geist fußfällige Abbitte, weil ich früher auch in das blinde, dumme Geschrei eingestimmt und Sie hart und unchristlich gedacht hatte; und als Sie fort waren, that ich den Schwur, Ihnen ewig gehorchen zu wollen, wie eine Magd, und Sie zu lieben wie eine Tochter.

Und nun wag’ ich heute schon einen Schritt, der sich zur Unterwürfigkeit und Demuth einer Magd gar übel schickt; wag’ ich etwas, um dessen willen mich alle Welt ein leichtsinniges, ehrvergessenes Mädchen nennen wird. Aber, glauben Sie mir, liebster, bester Doctor, gerade weil ich meine Ehre hoch halten will, verlass’ ich die Heimath!

Sie wollten heute zu Reinhold’s gehen. Ich ahn’ es, welche Antwort Sie bringen werden. Er muß mir entsagen, das sagt

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 49. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_049.jpg&oldid=- (Version vom 29.7.2021)