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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)


bezogen, von Thatenlust getrieben wurde; – genug, eine Patrouille von circa 30 Dänen, unter Führung eines Lieutenants, hatte sich, durch die Knicks gedeckt, bis nahe an den Hof herangeschlichen, ehe der aufgestellte Posten sie bemerkt hatte. Plötzlich fiel – für die Tanzenden ein sehr unerwarteter Taktschlag – ein Schuß, und gleich hinterher ertönte das Hurräh! der heranstürmenden Dänen. Kaum hatten die überraschten Jäger Zeit, ihre im Hause aufgestellten Büchsen zu ergreifen und sich hinter die Wirthschaftsgebäude und Zäune des Hofes zu werfen. Von hier aus eröffneten sie dann ein möglichst lebhaftes Feuer und unterhielten dasselbe, obwohl sie, durch die Uebermacht gedrängt, den Hof verlassen und sich hinter die Knicks retiriren mußten, so wirksam, daß die Dänen, die ihren Ueberraschungscoup ohnehin vereitelt sahen, es doch für gerathen hielten, den Rückweg anzutreten. Die kühnen Jäger, halb aus Kampfeslust, halb aus Aerger über den unterbrochenen Ball, trugen nicht einen Augenblick Bedenken, ihrerseits nun zum Angriff überzugehen, und verfolgten die Rückkehrenden weit über das Gut hinaus.

Mittlerweile hatte das lebhafte Feuern natürlich unsre Feldwache alarmirt und den Commandirenden, der die Veranlassung richtig vermuthete, ernstlich beunruhigt. Alle disponible Mannschaft wurde daher der im Gefechte befindlichen sofort nachgesandt. Deren Besorgniß mußte steigen, als das Feuer plötzlich aufhörte und trotzdem von der Patrouille nichts zu sehen war, denn es blieb nun nichts Anderes übrig, als anzunehmen, daß derselben ein ernstlicher Unfall zugestoßen, die Mannschaft vielleicht gar gefangen sei. Im Sturmschritt rückte das Soutien vor, traf endlich in Marienfeld ein und fand die Patrouille – bei der Fortsetzung des unterbrochenen Balles und bei der fünften Tasse Kaffee.

Ob eine solche Verwegenheit vom militärischen Gesichtspunkte aus in der Ordnung war, will ich nicht behaupten; ich weiß nur, daß die Jäger deshalb keinen dienstlichen Verweis „besehen“ haben; dagegen erhielten sie von Einzelnen ihrer Committenten die bittersten Vorwürfe, weil einige der mitgebrachten Eier in den Blechgeschirren „in der Hitze des Gefechtes“ zerschlagen waren, und sahen sich genöthigt, um die Unzufriedenen zu beschwichtigen, mit Rücksicht auf den „Kaffee-Ball“ den Schaden auf eigenes Conto zu übernehmen.

Die „Butter-Patrouillen“ wurden nach wie vor commandirt, es ist aber leider keine mehr – zum Kaffee eingeladen worden.


Blätter und Blüthen.


Einen „Beitrag zur Geschichte wissenschaftlicher Entdeckungen“, welcher allgemeine Beachtung verdient, verdanken wir dem Professor der Gewerbekunde in Oranienburg, Dr. F. F. Runge. Er liefert ein Beispiel mehr zu dem gewöhnlichen Loos, welches Erfinder und Entdecker in Deutschland zu erwarten haben. Es ist 28 Jahre her, daß Runge bei einer chemischen Untersuchung des Steinkohlentheer-Oels zu der Entdeckung eines Stoffs geleitet wurde, auf welchen das Chlor (das bekanntlich auf alle Stoffe pflanzlichen und thierischen Ursprungs vorzugsweise farbezerstörend oder bleichend wirkt) zu Runge’s großem Erstaunen farbeerzeugend wirkte. Er wollte nämlich Steinkohlentheer-Oel durch Schütteln mit Chlorkalkauflösung von seinem üblen Geruch befreien. Der Geruch verschwand zwar nicht, aber die wasserklare Chlorkalkauflösung, die nach einiger Ruhe sich unten absetzte, nahm eine kräftige tiefblaue Farbe an, wie Kupferammoniak! – Da dies auf das Vorhandensein eines neuen, bis dahin ganz unbekannten Stoffs deutete, so forschte Runge weiter nach und fand, daß man denselben durch Säuren dem Steinkohlenöl entziehen könne, daß er, für sich dargestellt, als farblose, ölartige Flüssigkeit erscheine, aber die Eigenschaft einer Basis habe und mit Säuren weiße Salze gebe, und daß jedes dieser Salze, mit einer kalkhaltigen Chlorkalkauflösung in Berührung gebracht, stets eine veilchenblaue Färbung erleide. Deshalb nannte Runge den Stoff Kyanol oder Blauöl und beschrieb die wesentlichen chemischen Eigenschaften desselben in Poggendorf’s „Annalen der Physik und Chemie“ im Jahrgang 1834.

Diese merkwürdigen Thatsachen hätten wohl verdient, sofort gründlich geprüft und nach ihrer Wichtigkeit gewürdigt zu werden; anders bei unsern lieben „gründlichen“ Deutschen und insbesondere bei den Gründlichkeitsstoltzesten aller Gründlichen, bei unsern Gelehrten. Die große Masse der Chemiker zog es vor, nicht an die Sache zu glauben, ja, der durch seine Entdeckung des Kreosots und Paraffins ausgezeichnete Dr. Reichenbach in Mähren beeiferte sich sogar, in einer großen Abhandlung der Welt zu beweisen, daß es mit Runge’s Entdeckungen nichts sei! Runge’s Entgegnung blieb ebenfalls erfolglos, und die Angelegenheit schien „gründlich“ beseitigt. Da erscheint 10 Jahre später eine Schrift: „Chemische Untersuchung der organischen Basen im Steinkohlentheer-Oel, von Dr. A. W. Hoffmann“ (Gießen, 1843), welche alle Angaben Runge’s über seinen neuen Färbestoff für richtig erklärt und noch neue Thatsachen hinzufügt. Nunmehr von der Wichtigkeit des Gegenstands für das chemische Gewerbe überzeugt, wendet Runge sich an die königl. Seehandlung mit dem Vorschlag, in ihrer damals von Runge verwalteten chemischen Fabrik zu Oranienburg den Steinkohlentheer auf alle die neuen verschiedenen, von ihm namhaft gemachten Stoffe verarbeiten zu lassen und im Großen zu verwerthen. Dieser Vorschlag scheiterte an dem Gutachten eines unwissenden Beamten. Runge schien vergessen zu haben, daß er in Deutschland lebe, d. h. zu warten habe (wie unser Wilhelm Bauer!), bis ein Engländer den Triumph der Ausführung im Großen vorweg genommen. So geschah’s. Perkins trat auf, nahm die Sache mit englischen Mitteln in die Hand, und so ward in kurzer Zeit das Kyanol oder (wie man es jetzt gewöhnlich nennt) das Anilin einer der wichtigsten neueren Industrie- und Handelsartikel.

Dem deutschen Entdecker ging es damit, wie mit seinen Kerzen aus Torf und Braunkohlen, mit denen er ebenso zurückgewiesen wurde und die jetzt ebenso eine Handelswaare geworden sind. –

Auch die Anerkennung für seine Entdeckung mußte er erst dem Ausland verdanken, indem die Preisrichter der letzten Londoner Gewerbeausstellung ihm einstimmig die Preisdenkmünze als Belohnung zuerkannten. Mit Recht kann Runge ausrufen: „Es ist nur gut, daß mich diese Nachricht noch am Leben getroffen hat!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 64. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_064.jpg&oldid=- (Version vom 4.11.2022)