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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

ein zu alter Freund, als daß er ihm treulos werden könne. An seiner Seite habe er gelebt, an seiner Seite wollte er auch sterben. Welch ein nichtig Ding es aber um die Hoffnungen und Vorsätze der Menschen sei, sollte auch Baffetto erfahren.

Eines Nachmittags rüttelte ein kleiner Bube Baffetto aus der süßesten Siesta und schrie dem Verschlafenen in’s Ohr, er möge augenblicklich nach Haus kommen, mit seiner Mutter steh’ es gar übel, sie selber glaube keine Stunde mehr am Leben zu bleiben und verlange sehnlichst ihn vor ihrem Tode noch einmal zu sprechen. Lockern gleich in den untern Ständen die Familienbande zeitig genug, so brachte ihn diese Nachricht doch schnell genug auf die Beine. Keuchend stürmte er die engen Treppen hinan, trat in das niedere Dachstübchen, in welchem Frau Anna Pastone auf der mit Maisstroh gestopften Matratze lag, und rief gegen die Krante mit jenem halben Zorn, welcher bei rohen Gemüthern Schmerz oder Wehmuth bezeichnen und verhüllen soll: „Aber Mutter, was sind denn das einmal wieder für Einfälle? Sterben wollen – Sanguinaccio di Dio! Laßt Euch doch solche Gedanken vergehen.“

„Nein, nein,“ seufzte die Alte mit matter Stimme, „ich fühl’s wohl, mit mir geht’s zu Rande. Aber höre, Gigi, vorher muß ich Dir noch ein Geheimniß anvertrauen – merk’ auf: Du bist nicht mein Sohn, sondern der der Prinzessin Castrucci. Ich habe Euch Beide vertauscht, um meinem Kinde das reiche Gut zuzuwenden. Ach, Gigi, sei mir nur nicht bös – noch ist’s ja nicht zu spät, meine Sünde zu bekennen – es kann noch Alles gut werden.“

Baffetto fuhr verdutzt zurück und schüttelte, halb an der Möglichkeit der Aussage zweifelnd, halb daran glaubend, langsam den Kopf. „Hört einmal, Alte,“ hob er endlich an, „da habt Ihr einmal wieder einen verzweifelt dummen Streich gemacht. Ich – der Sohn des Principe – ach, geht doch – Ihr faselt. Und wenn ich’s nen wirklich wäre – wer glaubt’s mir denn? He?“

„Geh’ zum Pater Tommaso, Gigi, in’s Kloster Maria sopra Minerva. Er ist der Beichtvater der alten Principessa. Sag’ ihm – er möge gleich herkommen und mein Bekenntniß vernehmen – aber gleich. Geh – spute Dich – eh’s zu spät wird.“

„Je nun, wenn’s damit abgemacht wäre, den Pater wollen wir schon herbeischaffen. Aber hört, Mutter!“ rief er, in der Thür noch einmal sich umwendend, „zum Sterben ist’s ja noch immer Zeit. Geduldet Euch doch nur, bis ich mit dem Padre zurückkomme, sonst ist meine ganze Prinzlichkeit – pfüt!“

Der ehrwürdige Pater Tommaso ließ vor Schrecken seine Schnupftabaksdose fallen, als er Baffetto im Kreuzgange auf sich losstürzen sah; er wähnte, wie er späterhin erzählte, einen entsprungenen Tollhäusler vor sich zu haben, als dieser ihm mit entsetzlicher Brigantengrimasse vordeclamirte, wie er der eigentliche Principe Castrucci sei, wie seine Mutter, welche aber nicht seine Mutter wäre, im Sterben liege, und was nun dergleichen verwirrtes Zeug mehr war. Jemehr der Mönch sich retirirte, je hastiger stürmte Baffetto auf ihn ein – es brannte ihm auf den Nägeln. Beide schrieen aus vollem Halse, der Dominicaner um Hülfe, der noch nicht bestätigte Prinz nach einem Zeugen. Jede Minute Verzug konnte ihm die Fürstenkrone kosten, und um eine solche hat Mancher schon weit mehr Lärmen gemacht. Es verging wohl eine halbe Stunde, ehe sich die schreienden Parteien durch Intervention einiger fremden Mächte verständigen konnten, eine andere halbe Stunde, ehe sich der Padre auf den Weg gemacht, und alles Treibens des Kronprätendenten ohnerachtet noch eine dritte halbe, bis er die in der Via della Purificazione gelegne Wohnung der alten Anna Pastone erreicht hatte. Wider alles Erwarten war die Mutter nicht nur noch am Leben, sondern auch noch bei hinreichendem Bewußtsein, um ihr Bekenntniß in Gegenwart des Padre Tommaso und zweier Zeugen wiederholen zu können. Ja, sie schien sich sogar, nachdem sie jene Felsenlast von ihrem Gewissen gewälzt, neu belebt zu fühlen, indem sie unmittelbar nach dem Geständniß eine verzehrende Sehnsucht nach einer Schüssel Stockfisch mit Pomidori äußerte, und allen Warnungen zum Trotz die ihr nur zögernd gereichte Speise mit staunenswürdigem Appetit verspeiste.

„Wir sind alle, meine Kinder,“ begann der Mönch mit salbungsvoller Stimme, „Zeugen eines der außerordentlichsten Wunder gewesen. Ich zweifle keinen Augenblick, daß es San Domenico, der Stifter unseres heiligen Ordens, gewesen sei, welcher das Herz eines sündigen Weibes auf dem Todtenbette gerührt, sie zum freiwilligen Bekenntniß ihrer Schuld bewogen hat und sich erbarmungsvoll der unterdrückten Unschuld annimmt.“

„Mancomale!“[1] brummte hier Beifall nickend die unterdrückte Unschuld Baffetto in den Bart.

„Und,“ fuhr der Dominicaner fort, „daß es endlich die Wunderkraft des Heiligen sei, welche der reuigen Sünderin neue Lebenskräfte verleiht, um das glorreich begonnene Werk zur Verherrlichung des allerheiligsten Glaubens eben so glorreich zum Ziele zu führen. Preis ihm und Ruhm dafür durch alle Ewigkeiten. Amen! Somit nehme ich denn keinen Anstand, Euch, Eccellenza, mit dem Titel Eurer erlauchten Vorfahren als Prinz Castrucci von Castro San-Martino zu begrüßen. Ich ermahne Euch, dem Himmel und dessen Heiligen, vor Allem aber San Domenico für die Euch bewiesene Gnade auf den Knieen zu danken, und die Aufrichtigkeit Eurer Erkenntlichkeit durch reiche Gaben an die Armen, und besonders an die Zuflucht derselben, ich meine unser Kloster von Santa Maria sopra Minerva, zu bethätigen. Vor der Hand aber ersuche ich Ew. Excellenz, das Geheimniß Eurer erhabenen Geburt noch auf kurze Zeit zu bewahren, bis ich Zeit gehabt, Eure erlauchte Mutter, die Principessa Maria Castrucci, deren Beichtvater zu sein ich unwürdigerweise berufen bin, auf diesen überraschenden Fall vorzubereiten, und Euch in ihre Arme zu führen. Schon morgen schmeichle ich mir, mein Prinz, Euch als solchen in den Palast Eurer Väter geleiten zu dürfen.“

Mit einer tiefen Verbeugung wandte der Dominicaner sich zum Gehen, da erhaschte Prinz Baffetto den Scheidenden beim Aermel des fliegenden Gewandes und zischelte ihm heimlich zu: „Padre, es wär’ doch ein hübsches Ding, wenn Ihr mir noch heute auf Abschlag meiner Erbschaft ein Stücker zwei, drei Thaler geben wolltet. Mit dem Prinzwerden ist mir der ganze Nachmittag verloren gegangen. Da sollte ich bei dem deutschen Maler an der Ecke von Via Rafella Modell stehen – hätte meine drei Paoli verdient – sicher ist sicher – wenn mich die alte Principessa nicht mag, so bin ich um mein Geld.“

„Seid ohne Furcht, mein Sohn, Eure Mutter wird Euch nicht verleugnen, die fürstliche Erbschaft Euch nicht entgehen. Wohl bin ich nicht der Mann, über zeitliche Güter zu gebieten – in sofern Ihr aber einstweilen das Scherflein der Wittwe nicht verschmäht, so sei es Euch gar willig gereicht.“

„Zeigt her, Padre,“ rief ungeduldig der Prinz und starrte mit großen Augen auf das keine Lederbeutelchen, welches der Mönch hervorzog. „Zwei Papetti[2] – noch drei – macht einen Scudo – her damit – noch einen Paul – reicht just zu einer Flasche Orvieto. Nichts weiter? – Va bene. Bis morgen langen wir schon. Auf Wiedersehn, Padre. Elf Paul in der Tasche – per Bacco! da kann man schon den Signore spielen.“

Die verwittwete Prinzessin Maria Castrucci war eine ältlich-kältliche, vornehm-gedörrte Dame, gehörig geizig und über alle Maßen bigott. Sie war hochgewachsen und hager; ihre regelmäßigen Gesichtszüge hätten in früheren Jahren auf Schönheit Anspruch machen können, wenn sie nicht eben von jener verbissenen Galle und Hochmuth, und im Gegensatz wieder von frömmelnder Kriecherei gezeugt hätten. Nase lang und zugespitzt, der Mund mit häßlicher Faltendraperie und blassen Lippen, Wangen unmäßig geschminkt, das Haar gepudert, ewig den Rosenkranz zur Hand, in einen kleinen Divan gesenkt, auf welchem neben ihr nur noch der kurzathmige Leibmops Platz hatte, vor ihr auf einem niedrigen Tabeuret ein grobkuttiger Mönch oder ein geschniegelter Abbate.

Der Prinz Gaetano Castrucci, ihr bisher geglaubter Sohn, ein liebenswürdiger junger Mann und echter Cavalier, war von seinem aufgeklärten Vater sorgfältig erzogen und, den Sitten des römischen Adels gänzlich zuwider, schon frühzeitig in’s Ausland gesandt worden. Dort hatte er nun wohl freilich Mancherlei gesehen und gelernt, was mit den in der lieben Heimath als normal geltenden Grundsätzen collidirte; namentlich hatte die Priesterherrschaft ihren Nimbus in seinen Augen eingebüßt. Als der alte Principe Manlio Castrucci das Zeitliche gesegnet hatte, war Gaetano nach Rom zurückgekehrt, um sich der Verwaltung der ihm zugefallenen Güter zu unterziehen. Er fand seinen Palast in eine Synode von schwarzen, weißen, braunen, grauen, barfüßigen, beschuhten, bärtigen und glattkinnigen Mönchen verwandelt, und der letzte Kahlkopf hatte mehr darin zu sagen, als er selber. Vergeblich versuchte er alle Mittel, um das heilige Ungeziefer aus seinen vier Wänden zu bannen – er erkannte leider die Wahrheit des Sprüchwortes,


  1. So mußt’ es kommen!
  2. Papetto, ein 2 Paulstück, von denen 5 auf einen Scudo romano gehn.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 82. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_082.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)