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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

meinem Leben einen großen Dichter! Da schritt er! Wie sein ernstes Antlitz sich mit dem Roth der Freude überzog, als der Gesang begann! Und gar der Blick, der unsern Gruß belohnte! Solche Augen hat kein anderer Mensch, ihr Blick umfaßt alles Herrlichste der Augen, von der begeisternden Hoheit der Manneswürde bis zur strahlenden Wärme der Mutterliebe. Ein solcher Blick war uns zu Theil geworden, er war wie eine heilige Weihe in uns gefahren und erfüllte unsere frischen Seelen den ganzen Tag.

Das war Freimund Reimar, der patriotische Dichter der „geharnischten Sonette“, das war Friedrich Rückert, der Sänger der „Oestlichen Rosen“ und des „Liebesfrühlings“, der Beherrscher der Weisheit und Dichtkunst des Morgenlands mit jener deutschen Sprachgewalt, die bereits über die „Makamen des Hariri“ ihren kühnen Sieg gewonnen hatte.

Giebt es ein schöneres Glück auf Erden, als ein geliebter Dichter seines Volks zu sein, und als das Bewußtsein, diese Liebe redlich verdient zu haben? – Beides, diese Liebe und dieses Bewußtsein, schmückte schon damals das Leben des jugendlichen Mannes, und sie sind die zwei Hälften seines Dichterkranzes geworden, der, dauernder als tausend Diademe, alle Stürme in den vielen wilden Bewegungen der Geister seiner Zeit überstand, von keinem neuen Streben verdunkelt, von keinem eigenen Fehl betastet wurde und nun auf des Greisen Locken als der reinste Schmuck glänzt, den in unseren Tagen ein Haupt in Deutschland trägt.

Das wahre Verdienst dieses großen Dichters, Gelehrten und Menschen um die Veredelung des deutschen Herzens, um die Bereicherung des deutschen Geistes, um die Verherrlichung des deutschen Lebens hat, trotz aller bisherigen Anerkennung, seine volle Würdigung erst noch zu erwarten. Denn wenn auch Friedrich Rückert in der That ist, was er eben genannt wurde, ein geliebter Dichter seines Volks, so ist er dies schon um das verhältnißmäßig Wenige, was bis jetzt nur von der Gesammtheit seiner Werke in das Volk gedrungen ist. Der Schatz, den dieser Dichter aus seinem eigenen Geist und aus dem vieler Völker geschöpft und in den kunstreichsten Gefäßen seiner Formenfülle aufgestellt hat, erschien gleichsam dem Volke (d. h. hier der großen Masse der Lesenden und Singenden) theils zu prächtig, zu „vornehm“, theils zu fremd, als daß es sich an denselben gewagt hätte. Dazu kam die lange schlimme Zeit der wohlgepflegten Verwässerung der Volkslectüre. Es ist eine alte und deshalb um so traurigere Erfahrung, daß in Zeiten politischer Erschlaffung jede gemeine Speculation zur Ausbeutung derselben herbeieilt und daß dabei leider die literarische und buchhändlerische nicht die letzte ist. Auch der wenig bemittelte Theil des Volks ist in seiner Masse ein reicher Käufer, aus dessen Schwächen und Liebhabereien von oben und unten Rechnung gemacht wird. Da findet die leichteste Waare Absatz; der Mensch ist aber so, daß in schlaffen Zeiten der leichte geistige Genuß bei ihm rasch zur lieben Gewohnheit wird und daß eine sehr kräftige Aufrüttelung dazu gehört, um ihn für Besseres wieder empfänglich zu machen. Seit den Befreiungskriegen haben wir drei solche Sumpfzeiten erlebt, nach 15, nach 30 und nach 48; sie waren stets die schlechtesten für die Würdigung der guten freisinnigen Dichter, während jede Zeit nationaler Erhebung ihnen neue Blüthentage des Wirkens und der Anerkennung brachte. Auch Rückert’s Werke haben diese Erfahrung gemacht. Sie wurden bei Seite geschoben, so lange die Schwäche in den Herzen des Volks zu Thron saß; es war, als schämte man sich vor ihnen, wie vor einem Spiegel der Wahrheit. Nur die Männer voll ernsten Strebens, die Frauen voll reinen Empfindens und die Jugend voll redlichen Feuers – sie hielten treu zu ihrem Dichter, und durch sie, eine rechte Leibgarde des ewig siegreichen wahren Genius, gewann er bei jedem neuen Aufschwung des deutschen Volksgeistes neuen Boden, neues frisches Feld des Wirkens.

Ein solcher neuer Aufschwung ist das hohe Glück unserer Tage. Abermals ist ein Sumpf überwunden, und männlicher, entschlossener, ernster, als je, hat das Volk die Bahn des nationalen und socialen Fortschritts betreten. Der Stolz ist wieder erwacht auf die Ehre, deutsch zu sein! Deutsch zu sein, ist wieder eine Tugend, ein Ruhm; die Männer der deutschen Ehre, von jeder Reaction sorglich in die Winkel, aus dem Gesichtskreis der Menge geschoben, werden im Triumph wieder auf die Sessel des Forums getragen; das deutsche Volk hat seinen Schiller, seinen Arndt, seinen Humboldt, seinen Uhland gefeiert, es feiert seinen Seume, seinen Jean Paul – und sie alle sind todt! Das deutsche Volk kennt seine große Schuld, es sehnt sich, endlich an Lebenden gut zu machen, was es so reichlich an denen verschuldet, die nun todt sind, und darum verlangt es die Feier seines größten Dichters unter allen noch lebenden, es verlangt die Bekränzung seiner letzten hohen Ehrensäule aus der ersten großen Kampfzeit des Jahrhunderts. Und dieses Verlangen des Volks ist’s, dem die Gartenlaube hiermit entspricht, indem sie das Bildniß Friedrich Rückert’s, der am 16. Mai 1863 sein fünfundsiebzigstes Jahr[1] vollendet, und diese Worte mittheilt, als ein bescheidenes Geleit zum Bilde.

Kehren wir nun zu unserem Anfang zurück. Damals, als Rückert’s Gruß unsere jungen Seelen so glücklich machte, war er ein blühender Mann am Ziel der Dreißiger. Er wohnte seit einigen Jahren als Professor in Erlangen, verlebte aber die Ferienzeit am liebsten in Neuseß bei Coburg, wo er durch seine Gattin Besitzer eines anmuthig gelegenen Landguts geworden war. Rückert hatte bis dahin ein geistig sehr bewegtes Leben geführt, und da gerade er nur Dichter ist, da all sein Anschauen, all sein Denken sich wie von selbst in Blüthen und Früchte der Dichtkunst verwandelt, so könnte der allumfassende Inhalt seiner Lyrik nicht wohl allgemein erkannt werden, wenn wir sein äußeres Leben hier ganz unberührt lassen wollten.

Von Haus aus zum Juristen bestimmt, entfloh Rückert dem Corpus juris auf das Gebiet der Philologie und der Kunst. Aber auch die Lehrerthätigkeit, die er als Privatdocent in Jena (1811) begann und als Gymnasiallehrer in Hanau fortsetzte, sagte ihm, wohl wegen der langen Pedantenzöpfe in den Schulhallen jener Zeit, nicht zu, und so ließ er sich bald als Privatgelehrter in Würzburg nieder. Hier traf ihn das große Jahr 1813. Finden wir in seinen Liedern schon seit 1810 den kühnen patriotischen Ton angeschlagen, so schleuderte er jetzt wahre Feuerbrände von Feindeshaß und Vaterlandsbegeisterung in das Volk, dem er zugleich die geduldete Schmach mit den glühendsten Farben malte. Seine „Geharnischten Sonette“, seine „Deutschen Lieder“, seine „kriegerischen Spott- und Ehrenlieder“ stellten ihn in die gleiche Kämpferreihe mit Arndt und Körner, nur daß er jenen durch Klarheit und die humoristische Frische des Volkstons, diesen an Natürlichkeit und durch entschiedene Originalität, und beide an Schwung, an der stählernen Festigkeit der Verbindung von Form und Inhalt übertraf, denn schon damals zeigte er den Meister in der Form, als der er nun einzig unter den Dichtern aller Nationen dasteht. Noch heute behaupten die genannten Zeitgedichte, sowie seine politische Komödie „Napoleon“ und sein „Kranz der Zeit“ den Werth geschichtlicher Quellen, denn ausgeprägter ist das Gesicht und Herz jener Zeit nicht zu finden, als in ihnen; sie können in ihrem Werthe nicht veralten; ja, viele haben noch heute volle Geltung. Möge eines der geharnischten Sonette hier für alle sprechen.

„Nicht mehr das Gold und Silber will ich preisen;
     Das Gold und Silber sank herab zum Tande,
     Weil würdiglich vom ernsten Vaterlande
     Statt Golds und Silbers ward erhöht das Eisen.
Wer Kraft im Arm hat, geh’ sie zu beweisen,
     Ein Eisenschwert zu schwingen ohne Schande,
     Es heimzutragen mit zerhau’nem Rande,
     Und dafür zu empfahn ein Kreuz von Eisen.
Ihr goldnen, silbren Ordenszeichen alle,
     Brecht vor dem stärkeren Metall in Splitter,
     Fallt, denn ihr rettetet uns nicht vom Falle.
Nur ihr, zukünft’ge neue Eisenritter,
     Macht euch hinfort zu einem Eisenwalle
     Dem Vaterland, das Kern jetzt sucht statt Flitter.“

So ganz erfüllt von der Herrlichkeit und begeistert für den Preis des deutschen Wesens war Rückert, daß er damals den Plan entwarf, den glanzreichsten Theil unserer Reichsgeschichte, die Zeit der Hohenstaufen, zum Gegenstand eines großen Epos oder eines Cyclus von Epopöen zu machen. Er ging an die Vorstudien dazu mit der Gewissenhaftigkeit eines deutschen Geschichtsforschers, und weil ihm die nöthigen Quellen in Deutschland fehlten, so verließ er im Herbste 1817 Stuttgart (wo er seit 1815 die Redaction des Morgenblattes


  1. Rückert ist nicht, wie bisher angenommen und verbreitet worden, im Jahre 1789, sondern schon 1788, bekanntlich in Schweinfurt, geboren. – Unser Portrait Rückert’s ist allerdings schon vor zwanzig Jahren gezeichnet, aber es ist das beste vorhandene und von der Hand seines Freundes und Gevatters Karl Barth, eines Mannes, der sich als Kupferstecher, Zeichner und Dichter Ruf erworben und zu den Menschen gehörte, die, um ihres großen innern Werths willen, sich auch durch nur wenige Werke unvergeßlich machen. Eine vortreffliche Büste Rückert’s besitzen wir von dem Bildhauer Ernst Conrad in Hildburghausen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 86. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_086.jpg&oldid=- (Version vom 5.7.2020)