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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Umstand war es, der mit einem Schlage die Künstlerwelt für sich gewann, der zahlreiche Kunstfreunde herbeizog, die zur schnellen Verbreitung seines Ruhmes beitrugen. Von nah und fern, „soweit die deutsche Zunge klingt,“ und darüber hinaus, aus Amerika, liefen Aufträge zu Orgelbauten ein, die natürlich nur zum Theil befriedigt werden konnten. Indeß was Ladegast dennoch in einer verhältnißmäßig kurzen Zeit geleistet, mag ein Vergleich darthun.

Silbermann erreichte ein hohes Alter. Die meisten seiner sechsundvierzig Werke, die er überhaupt schuf, sind von kleinem, oder nach heutigen Begriffen, von mittelmäßigem Umfange. Nur drei derselben haben drei Manuale nebst Pedal. Unter diesen zählt sein letztes Werk in der katholischen Hofkirche zu Dresden nur 46 Stimmen.[1]

Ladegast steht zur Zeit in seinem 43. Lebensjahre. Im Herbst 1849 sah ich sein erstes, im Herbst 1862 bereits sein sechsunddreißigstes Werk. Gewiß, eine staunenswürdige Thätigkeit, wenn man erwägt, daß 15 derselben ein Manual, 15 zwei Manuale, 4 drei Manuale, die obigen Riesenwerke aber 4 und 5 Manuale nebst Pedal haben, und daß sie alle von einer Sorgfalt zeugen, die derjenigen seines berühmten Vorgängers um keinen Deut nachsteht und hinsichtlich der Dauer nicht nachstehen wird.

Wenn Gott diesem thätigen Manne auch die Gnade eines so hohen Alters erweist wie Silbermann, der im 70. Lebensjahre starb, so dürfte es wohl möglich sein, daß ihm später eine gleiche Popularität zu Theil wird und kommende Geschlechter, wenn von guten Orgeln die Rede ist, mit der Frage bereit sind: „Ist die Orgel von Ladegast?“ –

D. H. Engel.


Blätter und Blüthen


Der Taranteltanz. Während meines mehrjährigen Aufenthaltes in Spanien und besonders in den südlichen Provinzen Murcia und Andalusien habe ich vielfach Gelegenheit gehabt, den Taranteltanz zu beobachten, und die von dem Insect gebissenen Personen auch tanzen sehen. Nur verhält sich die Sache etwas anders, als nicht naturwissenschaftlich Gebildete anzunehmen pflegen.

Die Tarantel (Lycosa tarentula) ist eine einen Zoll lange Spinne mit rothem Bauch und schwarz geflecktem Nacken. Sie findet sich im ganzen südlichen Italien, Spanien und der Berberei. Sie hat, die Größe abgerechnet, das Aussehen der Hausspinne. Ihre Brust sieht aus wie Schildkrot. Die Augen aller anderen Spinnen sind hart, schwarz oder roth, die der Tarantel aber weich und fallen nach dem Tode zusammen, gelblich weiß, glänzend und funkelnd, wie die Augen der Katze bei Nacht. Vier stehen im Viereck und vier kleinere in einer geraden Linie am vorderen Rande der Stirn. Sie gräbt in lehmigen, sumpfigen Boden senkrechte Höhlen, welche sie ganz ausfüllt. Man fängt sie dadurch, daß man einen Stroh- oder Grashalm in ihre Höhle steckt und sie damit kitzelt, worauf sie augenblicklich in denselben beißt und sich so verbeißt, daß man sie damit herausziehen kann. Hauptsächlich ist sie des Nachts thätig und geht dem Fange von Insecten nach. Daß sie auch andere Thiere umbringen soll, ist mir nicht bekannt. Die Tarantel ist leicht reizbar und gleicht in dieser Beziehung dem Scorpion, wird auch in Spanien nebst dem Scorpion weit mehr als alle stechenden Kerbthiere gefürchtet.

Dem Biß der Tarantel folgt ein heftig stechender Schmerz, ähnlich wie dem Bisse einer Hornisse oder Wespe. In kurzer Zeit schwillt der gebissene Theil an, wird roth, die Röthe dunkler und geht zuletzt in Blauroth über. Der Schmerz hält ungefähr zwölf Stunden an, geht aber ohne weitere Folgen vorüber. Gestorben ist noch Niemand davon.

Noch heutigen Tages ist der Aberglaube bezüglich des Taranteltanzes in Spanien, sowohl unter Vornehmen als Geringen, allgemein verbreitet. Die Leute sagen, der von einer Tarantel Gebissene müsse tanzen, er möge wollen oder nicht; und sobald jemand gebissen wird, ruft man einige Musikanten mit Guitarren herbei und läßt sie den Tanz, welchen man Tarantela nennt, spielen. Der Kranke wird aufgefordert zu tanzen, die Musiker spielen den Tanz immer rascher und rascher, und der unglückliche Tänzer macht verzweifelte Sprünge, bis er zuletzt, in Schweiß gebadet, ermüdet hinsinkt.

In der Provinz Murcia hatte ich zuerst Gelegenheit, einen derartigen Taranteltanz mit anzusehen. Der Mann war vor ungefähr einer halben Stunde von der Tarantel gebissen worden. Je eifriger er tanzte, um so aufmunternder erschallten die Beifallsbezeigungen und Aufforderungen der Zuschauer. Ich rief den Kranken zu mir heran, und er leistete ohne Weiteres Folge. Ich unterbrach also seinen Tanz, ohne weitere Folgen, ganz willkürlich. Ich besah mir die gebissene Hand, und da ich beständig etwas Salmiakgeist bei mir führte, so machte ich, ohne ihn weiter zu fragen, einen kleinen Kreuzschnitt in die Geschwulst und rieb ihm etwas Ammoniak ein. Der auf die Operation folgende Schmerz ließ ihn noch einige, wenn auch nicht gerade Tanzsprünge machen, dann aber setzte er sich ruhig hin, und in kurzer Zeit waren die Schmerzenssymptome, sowohl die des Bisses, als die der Operation, verschwunden.

Durch noch einige wiederholte derartige Operationen kam die Tarantela bei dem Landvolke der Provinz Murcia in kurzer Zeit in Mißcredit. Man überzeugte sich bald, das die agua fuerte des deutschen Arztes ganz andere Wirkungen äußere, als die Musik, und zog bald die vernünftig angewandte Arznei dem Mittel vor, welchem nur durch Ueberlieferung des Aberglaubens Jahrhunderte lang sich erhalten hat. Die sogenannten Gebildeten, d. h. die Leute, welche sich zu den Vornehmen zählen, ließen sich freilich von ihrem theurem Wahn nicht so schnell abbringen und widersprachen hartnäckig den Erzählungen, welche ihnen die durch mich Geheilten machten. Auch einige der hochstudirten Señores medicos konnten sich nicht entschließen, an jene neue Heilmethode zu glauben. Sie versicherten, daß das Ammoniak wohl bei Schlangenbissen und Insektenstichen wirksam sei, dagegen aber beim Bisse der Tarantel sicher nichts helfe; da gebe es nur ein einziges Mittel, und dieses wäre eben die Musik und möglicherweise auch das durch den in der glühenden Sonne abgehaltenen Tanz hervorgerufene Schwitzen des Leidenden. Ob diese Herren den Grundsatz unserer Homöopathen „mundus vult decipi“ theilten, oder ob sie, wie diese, von naturgemäßer Behandlung keinen Begriff haben, lasse ich dahingestellt. Uebrigens will ich bemerken, daß auch die wirklichen oder sogenannten Homöopathen, welche Spanien beglücken, bei Tarantelbissen Musik anstatt ihrer sonst gebräuchlichen „Nichtse“ verordnen. Ich theile dies hauptsächlich aus dem Grunde mit, weil ich Herrn Sanitätsrath Arthur Lutze in Cöthen und seine Glaubensgenossen auf dieses von Herrn Medicinalrath Dr. Larius in Madrid, früheren Postsecretair, besonders in Schwung gebrachte Heilmittel aufmerksam gemacht haben will, da es ja doch in Deutschland alle zehn Jahre einmal vorkommt, daß wenigstens ein von der Kreuzotter Gebissener in die Hände der betreffenden Herren Homöopathen fällt. Vielleicht könnte Herr Sanitätsrath Arthur Lutze durch Musik noch größere Wunder bewirken, als durch den in Kisten eingepackten und 20–30 Meilen versandten „starken Willen“.

Dr. med. R. Brehm.


Eine höchst merkwürdige elektrische Erscheinung. Die feuchte Luft ist bekanntlich ein guter Leiter für die Elektricität, und daher gelingen z. B. auf Cayenne in der so feuchten Luft elektrische Versuche fast gar nicht. Da nun im größten Theile der nordamerikanischen Freistaaten die Luft sehr trocken ist, so zeigen sich dort die auffallendsten elektrischen Erscheinungen. Geht man z. B. in New York mit schleifenden Füßen auf dem mit Teppichen belegten Fußboden der durch Luftheizung erwärmten und ausgetrockneten Zimmer, so wird der Körper so elektrisch, daß von ihm auf die berührten Thürklinken oder auch auf eintretende Personen Funken überspringen und daß leichte Kleider, die man trägt, benachbarten Gegenständen sich nähern. Es ist daher auch möglich, daß Personen durch die atmosphärische Elektricität in einen elektrischen Spannungszustand versetzt werden, in welchem sie eine große Reizbarkeit und Exaltation zeigen, so daß sie bisweilen unzurechnungsfähig erscheinen.

Professor Loomis in New-York hat darüber eine Reihe interessanter Thatsachen gesammelt, aber den merkwürdigsten Fall theilte mir kürzlich ein Freund, der Chef-Redakteur des New-York Demokrat und Direktor der deutschen Hoboken-Akademie, Herr Dr. Douai, in folgender Weise mit: „An einem der letzten Tage (4. August d. J.) schlug hier während einer ziemlich stillen, mehr wetterleuchtenden Gewitterentladung der Blitz in das Haus eines meiner Bekannten auf Staten-Island, aber ohne zu zünden. Die Familie saß beim Abendbrode, als der betäubende Schlag erfolgte und die Familienglieder eine Feuerkugel sich um einen Zinnkrug auf dem Tische schlängeln sahen. Die Hausfrau war getroffen worden. Sie war zwar auffällig ruhig und gefaßt, zeigte auch keine Spur von Verletzung, aber Tages darauf begann sie zu klagen. Ihre Verdauung war gestört und sie war in einer solchen elektrischen Spannung, daß, so oft man sie berührte, elektrische Schläge von beiden Theilen empfunden wurden. Ihre Hoops (Reifrock) verursachten ihr heftige Schmerzen, besonders beim Entfernen derselben. Es konnte nur ihr Schwager sie anrühren, ohne ihr Krämpfe zuzuziehen, und wenn er ihre Hand in der seinigen hielt, schlief sie allmählich ein. Als der Arzt, ein kräftiger, energischer Mann, wenige Schritte vom Bette entfernt und ihr den Rücken zukehrend, eine Medicin in einer Schale umrührte, empfand er und sie einen heftigen elektrischen Schlag. Am dritten Tage starb sie im Augenblicke des Aderlasses an einem kurzen Krampfanfalle. Die Luft war auch mehrere Tage nach dem Blitzschlage noch fortwährend elektrisch gespannt und gewitterhaft.

Nach meiner Ansicht hätte die Kranke nichts retten können, als der häufige Gebrauch von warmen Bädern, um durch das gut leitende Wasser den elektrischen Spannungszustand ihres Körpers, welcher dem regelmäßigen Stoffwechsel bei der organisch-elektrischen Thätigkeit entgegenwirkte, zu vermindern und endlich aufzuheben.

Ph. Spiller.


Eine deutsche Bocksbeutelei. Es war nach den Befreiungskriegen, als der Kampf gegen das aus dem Französischen verderbte Wort Mamsell losbrach. Die Tochter anständiger bürgerlicher Familien ließen es sich wohl gefallen, nicht mehr Mamsells, sondern Fräulein genannt zu werden, nur die Junker und ihr Anhang widersprachen; sie meinten, anständige

  1. Silbermann’s 46. und letzte Orgel mit eben so viel Stimmen, wurde ihm mit 20,000 Thaler bezahlt. Ein noch heute beispiellos hoher Preis, ganz abgesehen von der seit 100 Jahren erfolgten Entwertung des Geldes. Ein Vergleich mit der Summe, welche für Ladegast’s 85stimmige Nicolai-Orgel in Leipzig contractlich festgestellt ist, würde dies überraschend beweisen, wollte ich die Indiscretion so weit treiben.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 95. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_095.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)